Ulla JelpkeDIE LINKE - Sachverständigenbestellung Rechtsextremismus-Datei-G
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Tat sprechen wir heute über die Verbunddatei Rechtsextremismus, die 2012 hier beschlossen worden ist. Der Kollege Binninger hat eben schon gesagt: 36 Polizeibehörden und Geheimdienste von Bund und Ländern haben Zugriff auf diese Datei.
Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat diese Datei vor dem Hintergrund des Versagens der Sicherheitsbehörden gegenüber der Mordserie der Naziterrororganisation NSU eingeführt. Wir sagen hier ganz klar, dass eine Evaluierung dringend nötig ist. Aber die Frage ist eben: In welcher Form und von wem wird sie durchgeführt? Wir denken schon, dass Bürgerrechtsorganisationen eigentlich die Richtigen wären, wenn man über die Evaluierung spricht; denn gerade sie können am besten bewerten, wie Grundrechte möglicherweise verletzt werden.
Wir von der Linken haben damals der Einrichtung dieser Datei nicht zugestimmt, weil wir mehr als skeptisch waren. Das sind wir weiterhin. Wir leiden keineswegs unter Paranoia. Aber ich möchte daran erinnern, dass dieses Haus beschlossen hatte, ein Abwehrzentrum gegen rechts einzurichten. Das war im Prinzip richtig. Aber unsere Befürchtung, dass aus der Datei möglicherweise eine Zentraldatei bzw. aus dem Abwehrzentrum gegen rechts ganz schnell ein Abwehrzentrum gegen Extremismus wird, hat sich bewahrheitet. Nur wenige Monate nachdem dieses Abwehrzentrum gegen rechts eingerichtet wurde, haben Sie ein Abwehrzentrum gegen Extremismus eingerichtet. Damit haben Sie im Grunde genommen den Kampf gegen Rechtsextremismus instrumentalisiert, um nicht nur Islamisten und Rechtsextremisten, sondern auch Antifaschisten und Antikapitalisten einzubeziehen. Da macht die Linke auf gar keinen Fall mit.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Verstrickung des Verfassungsschutzes in den NSU-Skandal und in den Nazisumpf, der sich hier aufgetan hat, macht sehr deutlich, dass die Geheimdienste im Grunde genommen zur Verschleierung beigetragen haben, indem sie beispielsweise Akten vernichtet haben. Die Geheimdienste sind nicht kontrollierbar. Nichtsdestotrotz bekommen sie mit der Datei und dem Abwehrzentrum mehr Rechte. In diesem Zusammenhang ist es unbedingt notwendig, zu klären, wie mit dem grundgesetzlichen Gebot der Trennung von Geheimdiensten und Polizei verfahren werden soll. Die Linke hat dazu eine klare Meinung. Die Trennung muss weiter bestehen, um überhaupt Kontrollstrukturen einzurichten. Solche Strukturen gibt es gegenwärtig kaum.
(Beifall bei der LINKEN)
Bei der Evaluierung ist für uns die Effektivität im Kampf gegen Rechtsextremismus und Naziterror entscheidend. Dabei muss nicht nur die Datei, sondern müssen alle Instrumente unter grundgesetzlichen Aspekten überprüft werden. Wie Herr Binninger eben gesagt hat, wurden viele Institutionen geschaffen, bei denen es keine Trennung zwischen polizeilicher und geheimdienstlicher Arbeit gibt. Wir haben es bei der Rechtsextremismusdatei mit einer erneuten Aufweichung des grundgesetzlichen Trennungsgebots zu tun. Man kann nicht einfach eine Sache klonen. Sie haben auf die Antiterrordatei hingewiesen. Diese Datei, die sieben Jahre existiert, ist bis heute nicht evaluiert, obwohl es immer wieder gefordert wurde.
(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Intern evaluiert!)
Deswegen fordern wir eine weiter gehende Evaluierung, und zwar nicht nur der Rechtsextremismusdatei.
Im Grunde genommen wird der Rechtsextremismus instrumentalisiert, um den Grundrechteabbau fortzuschreiben. Wir gehen aber davon aus, dass es eher mehr Demokratie bedarf, um Rechtsextremisten zu bekämpfen. Ich glaube, dass es für die Rechtsextremisten ein Sieg wäre, wenn die Trennung von geheimdienstlicher und polizeilicher Arbeit weiterhin so verläuft, wie Sie es beschlossen haben.
Danke.
(Beifall bei der LINKEN)
Als nächster Redner hat Michael Hartmann das Wort.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um es klar vorweg zu sagen: Was uns hier in diesem Haus und weit darüber hinaus – bis hin zu den vielen bürgerschaftlich engagierten Gruppen – eint, ist die Klarheit, dass in unserem Land nie mehr, zu keiner Minute und an keiner Stelle, zugelassen werden darf, dass die Rechten, die Nazis, noch einmal ihr Haupt erheben und uns verhöhnen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Nicht etwa der Abbau von Behördenkompetenzen und behördlichem Handeln ist gefordert, um Nazis und ihre Helfershelfer zu bekämpfen. Vielmehr sind und bleiben effiziente und gute staatliche Strukturen die Antwort der wehrhaften Demokratie im Kampf gegen rechts.
(Beifall bei der SPD)
Wir reden heute über die Evaluierung eines Gesetzes, das im August 2012 verabschiedet wurde. Der Anlass war schlimm genug. Es ist bekannt geworden, dass weit über zehn Jahre hinweg ein Mördertrio durch unser Land ziehen konnte, das glaubte, Menschen, nur weil sie anderer Abstammung waren, töten zu können. Diese Erschütterung, die uns allen noch in den Knochen steckt, hat dazu geführt, dass wir uns gemeinsam überlegt haben, welche Konsequenzen wir ziehen können und müssen. Eine der ersten Konsequenzen war die Bildung dieser Datei, weil sich gezeigt hat, dass wir bei vielen Behörden, an vielen Stellen Wissen über diese drei und ihr Netzwerk hatten, dies aber nie vernünftig zusammengeführt wurde. Insofern ist die Bildung dieser Datei kein Schlag gegen Bürgerrechte, liebe Ulla Jelpke, sondern eine Bedingung, um zu verhindern, dass in Zukunft Nazis weiter schadlos agieren können.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Wir haben, wie Sie, Herr Kollege Binninger, völlig zu Recht gesagt haben, nicht nur diese Datei mit ausdrücklicher Zustimmung der SPD eingerichtet. Es wurde auch das Abwehrzentrum gegen rechts gegründet. Das waren gute und notwendige Schritte; denn wir stellen immer wieder fest: Wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Behörden – zwischen Bund und Ländern, aber auch zwischen den verschiedenen Behörden –, die sich oft genug mit ungesundem Misstrauen begegnen, erst einmal gemeinsam am Tisch sitzen, sich in die Augen schauen und Sachverhalte gemeinsam erörtern, dann wird jenes Misstrauen abgebaut und eine Kultur des Miteinanders und der Zusammenarbeit geschaffen, die in einem föderalen Staat die Grundvoraussetzung dafür ist, dass Sicherheitsorgane effizient funktionieren. Deshalb war es richtig, diese Datei einzurichten. Aber eine Bedingung für die Zustimmung der SPD war damals, dass jene Evaluierung, über die wir heute reden, in das Gesetz aufgenommen wird. Das hat zwei Gründe.
Erstens. Es gehört zu einer modernen Gesetzgebung, überhaupt zu evaluieren und nicht zu sagen: Das ist in Stein gemeißelt und immer wahr. Die Verhältnisse können sich ändern. Man kann feststellen, dass Fehler begangen wurden, dass die angestrebte Tiefe nicht erreicht wurde oder dass das Übermaßverbot nicht gewahrt wurde. Insofern gehört es dazu, Gesetze von Zeit zu Zeit auf den Prüfstein zu stellen und sie gegebenenfalls zu korrigieren oder sogar zurückzunehmen.
Zweitens. Natürlich bedeutet eine Datei, die zur Bekämpfung von Rechtsextremisten und Neonazis eingerichtet wird, einen Eingriff in die Bürgerrechte. Deswegen muss sehr sorgfältig und sorgsam damit umgegangen werden. Darum haben wir gesagt – und wir halten dies nach wie vor für richtig –, dass wir diesem Gesetz nur zustimmen können, wenn wir nach einer gewissen Zeit noch einmal prüfen: Wurde erreicht, was wir erreichen wollten? Sind wir zu weit gegangen? Sind vielleicht Personen oder Spuren zusammengeführt worden, die wir in einer solchen Datei nicht zusammengeführt sehen wollen?
Das sind die beiden Gründe: Gründlichkeit moderner Gesetzgebung und Schonung der Bürgerrechte. Deshalb war es wichtig, die Evaluierung einzuführen, und deshalb ist es richtig, heute zu beschließen, dass ein entsprechender Auftrag erteilt wird.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Erika Steinbach [CDU/CSU])
Damit sind wir aber nicht am Ende bei unserem Kampf gegen den Nationalsozialistischen Untergrund und gegen Rechtsextremisten. Es muss viel weiter gehen. Die Große Koalition hat beschlossen, dass die Empfehlung des NSU-Untersuchungsausschusses, die in erfreulicher Gemeinschaftlichkeit beschlossen wurde – das sage ich ausdrücklich –, eins zu eins umgesetzt wird.
(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir alle beschlossen, nicht nur die Koalition!)
– Ich habe gesagt: gemeinschaftlich beschlossen. Damit meine ich: ausdrücklich auch mit Ihren Stimmen und in einer guten Zusammenarbeit mit allen Fraktionen. Das war eine Meisterleistung des Deutschen Bundestages und des parlamentarischen Regierungssystems. Ich will hier niemandem Anerkennung und Respekt dafür verweigern, sondern – im Gegenteil – dies allen erweisen.
Aber Sie müssen schon anerkennen, dass diese Große Koalition gesagt hat, dass alles eins zu eins abgearbeitet und umgesetzt wird. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Auch hier mussten Hindernisse überwunden werden. Wenn wir jetzt gemeinsam dafür sorgen, dass das gemacht wird, dann setzen sich der gute Geist und die gute Kultur des Untersuchungsausschusses fort.
Für uns bedeutet das mindestens, dass wir beim Umbau der Sicherheitsbehörden noch weiter gehen müssen, dass beim Verfassungsschutz Fenster und Türen geöffnet werden, dass gelüftet wird und eine andere Kultur der Arbeit eintritt. Das bedeutet für uns auch, dass wir bei der Führung von V-Personen sehr viel genauer, besser und kritischer werden müssen, und, liebe Ulla Jelpke, dass die Zusammenarbeit mit den Einrichtungen und Institutionen, und zwar auch der kritischen und sehr kritischen, in der Bürgergesellschaft intensiviert werden muss.
Das alles und noch viel mehr gehört dazu, wenn wir Lehren aus dem ziehen wollen, was uns dieses Mördertrio an schlimmer Geschichte in unser Stammbuch geschrieben hat. Ich bin sicher, dass der Deutsche Bundestag dies will. Wir halten die Beauftragung des Instituts in Speyer für richtig, weil dort kompetente und erfahrene Leute sitzen, die ihre Unabhängigkeit und hohe Expertise bereits oft bewiesen haben, und hoffen, alle in diesem Hause sehen das ebenso.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Jetzt hat Irene Mihalic das Wort.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3273979 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 26 |
Tagesordnungspunkt | Sachverständigenbestellung Rechtsextremismus-Datei-G |