03.04.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 26 / Tagesordnungspunkt 12

Andrea LindholzCDU/CSU - Kontoeröffnungen für Flüchtlinge

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Friedensnobelpreis ging 2006 zum ersten Mal nach Bangladesch. Die dortige Grameen-Bank und ihr Gründer, der Wirtschaftsprofessor Muhammad Yunus, wurden ausgezeichnet für die Bereitstellung von Finanzdienstleistungen für besonders arme Bevölkerungsschichten. Yunus und die Grameen-Bank eröffnen mit ihrer Arbeit vielen Menschen einen Weg aus der Armut, und sie tragen zum Frieden bei.

Die Möglichkeit, ein Konto zu eröffnen – da sind wir uns einig –, eine Banküberweisung zu tätigen oder einen sogenannten Mikrokredit aufzunehmen, kann ein zentraler Grundstein für wirtschaftliche und soziale Entwicklung sein.

(Zuruf von der SPD: Sehr richtig!)

In den Industrieländern halten wir Finanzdienstleistungen für eine Selbstverständlichkeit. Doch das sind sie nicht. Yunus spricht sogar von einem System der finanziellen Apartheid, durch das zahllose Menschen auf der Welt von Finanzdienstleistungen und somit vom Zugang zum Wirtschaftskreislauf ausgeschlossen werden. Auch in Europa haben 58 Millionen Menschen kein eigenes Bankkonto. Diesen Menschen fehlt eine zentrale Voraussetzung, um am modernen Wirtschaftsleben teilnehmen zu können.

Die Idee, mit der Bereitstellung von rudimentären Finanzdienstleistungen Armut zu bekämpfen, hat in Deutschland eine lange Tradition. Im Grunde hat der Friedensnobelpreisträger die Arbeit der beiden deutschen Sozialreformer Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Hermann Schulze-Delitzsch weiterentwickelt. Die beiden Urväter der Raiffeisen- und Volksbanken hatten bereits im 19. Jahrhundert, während der industriellen Revolution in Deutschland, mithilfe von Kreditgenossenschaften der verarmten Landbevölkerung wirtschaftliche Entwicklung ermöglicht. Insofern, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist die Grundidee des vorliegenden Antrags nicht neu.

Auch das Kernanliegen des Antrages, nämlich Flüchtlingen den Zugang zu Bankkonten zu ermöglichen, ist nicht neu und ist überholt.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber seit Jahren ungelöst!)

– Herr Beck, ich bin Ihre Zwischenrufe gewöhnt. Ich habe schon gesagt, Sie wollen mit mir unbedingt so weitermachen wie mit meinem Vorgänger, Herrn Geis.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben Sie sich ja Fußstapfen ausgesucht!)

– Ich freue mich darauf. – Diese Idee wurde von der Bundesregierung und insbesondere vom Bundesfinanzminister bereits in Angriff genommen, und zwar sehr viel weiter gehend, als es im Antrag gefordert wird.

Die Bundesregierung unterstützt ausdrücklich das Vorhaben der EU-Kommission, auf europäischer Ebene für Verbraucher, auch, Herr Kollege Beck, für Verbraucher ohne Aufenthaltserlaubnis, Asylbewerber, Verbraucher ohne festen Wohnsitz und andere ein Recht auf Zugang zu einem Zahlungskonto einzuführen. Im Rahmen der sogenannten Zahlungskontenrichtlinie sollen Flüchtlinge nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa ein Recht auf ein Guthabenkonto erhalten.

Bereits am 20. März 2014 wurde im Trilog zwischen dem Rat, der Kommission und dem Europäischen Parlament eine Einigung über die Zahlungskontenrichtlinie erzielt. Das EU-Parlament wird sie voraussichtlich am 15. April 2014 verabschieden. Ich gehe davon aus, dass das Bundesfinanzministerium, das hierfür zuständig ist, sich umgehend an die Umsetzung der Richtlinie macht. Der Antrag ist damit obsolet und kann aus unserer Sicht aus diesem Grunde abgelehnt werden.

Entscheidend ist aber, dass dieses Konto für jedermann – da möchte ich an Frau Jelpke anschließen – in der Praxis auch tatsächlich umsetzbar ist. Es ist heute schon so – das weiß ich aus meiner Tätigkeit als Fachanwältin für Familienrecht –, dass es für viele Menschen in prekären Verhältnissen schwierig ist, überhaupt ein Konto zu eröffnen. Es sind, Herr Kollege Grötsch, auch nach meiner Erfahrung tatsächlich vor allen Dingen die Raiffeisen- und Volksbanken, aber auch die Sparkassen, die dieser sozialen Verpflichtung gerecht werden. Ich stimme Ihnen zu: Wir können sie damit nicht alleinlassen. Es ist weniger eine Frage des finanziellen Risikos – das hat man bei einem Guthabenkonto nicht –, sondern eher eine Frage des Aufwandes. Da muss es auch an uns liegen, diesen so bankenfreundlich wie möglich zu gestalten.

Ein letzter Punkt. Ich möchte an Sie, Herr Kollege Grötsch, anknüpfen. Sie haben vorhin geschildert, was von einem solchen Konto alles heruntergeht. Ich hoffe nicht, dass die hier von uns genannten und betroffenen Menschen Rechtsanwälten Raten zahlen müssen.

(Uli Grötsch [SPD]: Das weiß man heute nicht!)

Für die Bezahlung der Anwälte bietet sich die Prozesskostenhilfe oder die Verfahrenskostenhilfe an. Ich glaube, meine Kollegen Rechtsanwälte müssen davon nicht bezahlt werden. Insofern bitte ich Sie alle um Unterstützung für die Sache selbst bei der Umsetzung der Vorgaben des Bundesfinanzministeriums. Der Antrag hat sich überholt und wird daher von unserer Fraktion heute abgelehnt.

Vielen Dank.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3274022
Wahlperiode 18
Sitzung 26
Tagesordnungspunkt Kontoeröffnungen für Flüchtlinge
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