04.04.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 27 / Tagesordnungspunkt 18

Norbert Lammert - Gedenken an die Opfer des Völkermordes in Ruanda

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In diesen Tagen jährt sich der Völkermord in Ruanda – am kommenden Montag findet eine Gedenkveranstaltung in Ruanda selbst statt – zum 20. Mal. Zwischen April und Juni 1994 wurden über 800 000 Menschen, vorwiegend Tutsi, aber auch gemäßigte Hutu, Opfer eines unbeschreiblichen Sterbens. Der Deutsche Bundestag verneigt sich mit diesem Gedenken und den Initiativen, die wir ergriffen haben, vor den Opfern von Gewalt, Mord und Vertreibung. Wir wollen durch unser Gedenken sicherstellen, dass dies nicht vergessen wird.

Wir bedauern insbesondere, dass es der internationalen Gemeinschaft trotz zahlreicher Hinweise aus dem Land und außerhalb des Landes damals nicht gelungen ist, die Vorboten des Völkermords zu erkennen und die Entwicklung zu verhindern. Deshalb wollen wir mit dieser Debatte nicht nur anregen, der Opfer zu gedenken – dies tun wir –, sondern wir wollen auch darüber sprechen – das ist in den vorherigen Wortbeiträgen bereits geschehen –, wie Völkermord insgesamt verhindert werden kann und welchen Einfluss europäische Politik, positiv wie negativ, auf Afrika haben kann.

Die Ursachen dieses Völkermords sind von meinem Vorredner sehr deutlich herausgearbeitet worden. Eines muss man sagen: Selbstverständlich haben auch europäische Länder dort aufgrund ihrer Interessenpolitik herumexperimentiert. Dies hat dem Land nicht gutgetan, und das haben viele Menschen mit dem Tod bezahlt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)

Die autoritäre Militärregierung hat damals versucht, die Opposition niederzuringen und dringend notwendige Reformen zu verhindern. Als 1973 Präsident Juvénal Habyarimana durch einen Staatsstreich ins Amt kam, war die Rollenverteilung nicht nur in ethnischer Hinsicht klar, sondern auch machtpolitisch zementiert. Zur Konsolidierung seiner Macht platzierte der Präsident diverse Hutu-Anhänger in nahezu allen Schlüsselpositionen, vor allem in der Armee des Landes.

Anfang der 90er-Jahre eskalierten die Auseinandersetzungen mit der Patriotischen Front, der Rwandese Patriotic Front, des heutigen Staatspräsidenten Paul Kagame, der später den Völkermord beendet hat. Lokale Pogrome kosteten damals bereits Hunderte von Tutsi das Leben.

Nach langwierigen Verhandlungen unterzeichneten Regierung und Opposition am 4. August 1993 in Tansania ein Friedensabkommen, das eine Teilung der Macht sowie eine Integration der Rebellenarmee vorsah. Beide Parteien befürworteten die Stationierung einer UN-Blauhelmtruppe, um die Umsetzung der Vereinbarung zu überwachen.

Am 5. Oktober 1993 richtete der UN-Sicherheitsrat mit der Resolution 872 auf Vorschlag des damaligen Generalsekretärs Boutros Boutros-Ghali eine UNO-Mission für Ruanda ein. Aber auch das hat den späteren Völkermord nicht verhindert. Der damalige UNAMIR-Kommandeur traf am 22. Oktober 1993 in der ruandischen Hauptstadt Kigali ein, die ersten Soldaten fünf Tage später. Das heißt, die UNO war damals schon präsent. Die Etablierung einer Übergangsregierung unter Einschluss der Patriotischen Front Kagames scheiterte jedoch. Über Radio – das wurde bereits gesagt – wurde damals bereits dazu aufgerufen, die Tutsi umzubringen.

Die Situation eskalierte vollkommen, als am 6. April 1994 das Flugzeug abgeschossen wurde, in dem Präsident Habyarimana saß, und dieser dabei ums Leben kam. Dadurch wurde eine neue Eskalationsstufe erreicht. Die Planungen dazu wurden aber wahrscheinlich schon vorher getroffen.

Wir müssen kritisch überprüfen, was die UNO-Mission damals gebracht hat und ob sie vielleicht Schlimmeres hätte verhindern können. Die UNO hat sich deshalb Jahre später, im Jahr 1999, unter dem früheren schwedischen Premierminister Carlsson ausführlich mit diesem Völkermord und mit seinem Zustandekommen beschäftigt. Ich möchte aus dem Bericht zitieren:

Aus diesem Bericht und aus den vielen Bemühungen, die es damals gab, um den Völkermord und das Versagen der internationalen Staatengemeinschaft aufzuarbeiten, ist die Diskussion um die sogenannte Responsibility to Protect entstanden. Sie spielt hier sehr häufig eine Rolle. Häufig wird aber vergessen, dass der Ausgangspunkt eigentlich das Versagen der UNO im Hinblick auf den Völkermord in Ruanda war. Deshalb ist es richtig, wenn man die Responsibility to Protect bemüht oder als politisches Hilfsargument anführt, dass man sich vergewissert, dass dieser Gedenktag eine ganz wichtige Funktion hat, und dass man sieht – es ist uns gelungen, die Debatte um RtoP in der UNO voranzubringen –: Häufig führt die Selbstblockade der UNO dazu, dass es keine Garantie dafür gibt, dass dieses Prinzip auch angewandt wird.

Vor diesem Hintergrund möchte ich an einem Punkt – gar nicht polemisch – widersprechen. Auch hier im Hause gibt es unterschiedliche Auffassungen darüber, ob man im Rahmen der Responsibility to Protect oder im Rahmen weiterer Möglichkeiten zur Verhinderung eines Völkermordes militärische Maßnahmen ergreifen sollte oder nicht.

Ich stimme dem, was gesagt worden ist, zu. Man kann generell sagen: Es ist besser, wenn man vorausschauend agiert. – Die verfehlte Kolonialpolitik hat dazu geführt, dass man Ruanda zu wenig geholfen hat, dass man Ruanda in diese Situation gebracht hat, dass man Ethnien zuerst kreiert und sie dann gegeneinander aufgehetzt hat. Aber nichtsdestotrotz: Wenn so etwas falsch gelaufen ist und sich ein Land in eine falsche Richtung bewegt, dann muss man bereit sein, zum Schutz der Zivilbevölkerung als äußerstes Mittel der Politik auch militärische Maßnahmen zu ergreifen. Da stimmen wir hier im Haus eben nicht alle überein. Deshalb möchte ich mich noch einmal dafür starkmachen, dass ein Mittel im Rahmen der Responsibility to Protect als äußerste Möglichkeit eben auch militärische Maßnahmen sein sollten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Der Bundesaußenminister hat klargemacht, dass er einen Schwerpunkt seiner Arbeit auf Afrika legt; ich glaube, seine jüngste Reise vor ein paar Tagen dokumentiert das sehr deutlich. Deshalb möchte ich heute unsere Bereitschaft betonen, mit der Regierung in Ruanda ein neues Kapitel der bilateralen Zusammenarbeit aufzuschlagen. Kritische Punkte in Bezug auf Präsident Kagame sind angesprochen worden. Aber eines sollten wir nicht vergessen: Dieser Mann hat den Völkermord damals beendet und zur Aussöhnung im Land erheblich beigetragen.

Wir sehen, dass Ruanda Schwierigkeiten hat. Wir sehen aber auch, dass die wirtschaftlichen Perspektiven, die Perspektiven von Good Governance und Regierungsführung im Allgemeinen viel besser sind als in vielen anderen Ländern. Vor diesem Hintergrund sollten wir am heutigen Tage mit Blick auf die Zukunft festhalten, dass wir, gerade was die Region der Großen Seen oder die Diskussion über den Kongo angeht, mit Ruanda zusammenarbeiten, die politische und die bilaterale Zusammenarbeit vertiefen und weiterhin versuchen wollen, ein freundschaftliches und partnerschaftliches Verhältnis zur Regierung zu pflegen.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort erhält nun die Kollegin Kordula Schulz- Asche für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3274729
Wahlperiode 18
Sitzung 27
Tagesordnungspunkt Gedenken an die Opfer des Völkermordes in Ruanda
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