Niels AnnenSPD - Gedenken an die Opfer des Völkermordes in Ruanda
Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegin Schulz-Asche, ich möchte Ihnen für Ihre eindrücklichen, sehr persönlichen Worte recht herzlich danken.
(Beifall im ganzen Hause)
Am 6. April 1994 wurde die Maschine des ruandischen Präsidenten im Landeanflug auf Kigali abgeschossen. Dabei kamen alle Insassen ums Leben. Nur wenige Minuten später begann der Mord an Hunderttausenden Tutsi, aber auch an moderaten Hutu, die sich schützend vor ihre Nachbarn gestellt hatten. Es war keine spontane Eruption von Gewalt, sondern ein von langer Hand organisatorisch und ideologisch vorbereiteter Mord. In den Reden ist darauf hingewiesen worden: Die Verantwortlichen dafür – meine Damen und Herren, das macht es besonders schwer zu verstehen – waren bekannt.
Auch für mich hat die Erinnerung an den Genozid in Ruanda einen sehr persönlichen Bezug: Am 6. April 1994 habe ich meinen 21. Geburtstag gefeiert. Die Tragweite der Ereignisse, die wir eher beiläufig über das Radio erfahren haben, habe ich damals, wie so viele andere auch, nicht erfasst.
In Ruanda sind zwischen April und Juli 1994 systematisch unvorstellbare Verbrechen begangen worden, Verbrechen, die unser Fassungsvermögen auf eine harte Probe stellen; der Außenminister hat dazu die richtigen Worte gefunden. Ich glaube – ohne unpassende Vergleiche anstellen zu wollen –: Für uns Deutsche stellt dieser Gedenktag eine besondere – wie soll man sagen? – Herausforderung dar. Wir wissen, wie schwer es ist, zu den dunklen Seiten der eigenen Vergangenheit zu stehen. Ich bin deshalb dankbar und ich freue mich darüber, dass es CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen gelungen ist, einen gemeinsamen Antrag vorzulegen, den wir heute verabschieden wollen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der heutige Gedenktag erinnert uns nicht nur an den von Deutschen begangenen Völkermord an den Juden, sondern auch an das Versagen der internationalen Gemeinschaft, dem Morden in Ruanda ein Ende zu bereiten; auch darauf ist zu Recht hingewiesen worden. Dieses – man kann das gar nicht häufig genug betonen – Versagen der internationalen Gemeinschaft ist auch unser Versagen, ist auch ein Versagen der deutschen Politik gewesen.
Seit dem Völkermord in Ruanda stellen wir uns in diesem Parlament, in der deutschen Öffentlichkeit bei Nachrichten über massive Menschenrechtsverletzungen die Frage: Ist unsere Antwort angemessen? Der häufig ausgesprochene, manchmal aber auch unausgesprochene Maßstab für die Antwort ist Ruanda; in gewisser Weise ist Ruanda somit zum Synonym für Menschheitsverbrechen geworden.
Wenn wir heute der Opfer gedenken, müssen wir uns auch die Frage stellen, ob wir aus diesem gemeinschaftlichen Versagen die notwendigen, die richtigen Lehren gezogen haben. Krisen betreffen häufig nicht nur ein Land – wir haben häufig nicht mehr die klassischen Akteure innerstaatlicher Konflikte –, Konfliktursachen kennen oftmals keine Staatsgrenzen mehr. Das stellt uns vor große Herausforderungen. Gerade die aktuellen Krisen in Mali, in der Zentralafrikanischen Republik und im Südsudan, die den Deutschen Bundestag und die deutsche Öffentlichkeit beschäftigen, machen allesamt nicht an – manchmal aus der Kolonialzeit stammenden, willkürlichen – Grenzen halt, und sie können leicht über diese Grenzen hinaus Auswirkungen haben. Unsere Politik, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss darauf angemessen reagieren. Wir alle wissen: Das ist nicht immer einfach.
Ruanda hat, auch wenn uns einige innenpolitische Entwicklungen durchaus Sorgen bereiten, in den letzten Jahren beeindruckende Fortschritte gemacht. Wir ermutigen die Regierung, auf diesem Wege weiterzugehen. Ich möchte die Gelegenheit deshalb gerne nutzen, den Generalkonsul Ruandas in Vertretung der Botschafterin heute auf der Bühne zu begrüßen: Seien Sie uns herzlich willkommen!
(Beifall)
Der Genozid in Ruanda hat in der Zwischenzeit sehr konkrete politische, aber auch völkerrechtliche Konsequenzen ausgelöst. So wurde die sogenannte Schutzverantwortung als Kategorie des Völkerrechts entwickelt. Das ist ein Fortschritt, weil Staaten, die massive Menschenrechtsverletzungen zu verantworten haben, sich nicht mehr hinter der nationalen Souveränität verstecken können. Natürlich ist auch diese Norm nicht perfekt, und die Diskussion über den Einsatz der NATO in Libyen zeigt uns, wie schmal der Grat zwischen berechtigtem – auch militärischem – Eingreifen auf der einen und der Überinterpretation eines auf der Schutzverantwortung basierenden Mandates der Vereinten Nationen auf der anderen Seite ist.
Gerade deshalb sei hier ausdrücklich daran erinnert: Die eigentliche Bedeutung der Schutzverantwortung liegt in der Verpflichtung, Staaten in die Lage zu versetzen, Massengewalttaten im Vorfeld solcher Ereignisse zu verhindern. Ich halte es für eine zentrale Aufgabe der deutschen Politik, diese Fähigkeiten aufzubauen und dabei mit den afrikanischen Staaten und der Afrikanischen Union zusammenzuarbeiten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, deswegen möchte ich dem Bundesaußenminister dafür danken, dass er ausdrücklich darauf hingewiesen hat, wie wichtig diese Kooperation mit den afrikanischen Staaten ist. Ich will das hier einmal vielleicht auch etwas salopp formulieren: In der Wahrnehmung der deutschen Politik, aber auch in der Wahrnehmung der deutschen Öffentlichkeit wird Afrika manchmal wie ein Land behandelt, und dabei vergessen wir, wie unterschiedlich die Entwicklungen in Afrika sind. Wir müssen die positiven Entwicklungen unterstützen, und ich glaube, dazu können wir als Parlamentarier beitragen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Heute – und das ist ein Fortschritt – herrscht ein weitgehender Konsens darüber, dass die Staatengemeinschaft in Ruanda versagt hat. Der ehemalige amerikanische Präsident Bill Clinton, der sein Wegschauen in Ruanda als das schwerste Versäumnis seines Lebens bezeichnet hat, hat in einer Rede in Kigali Folgendes formuliert – ich zitiere –: Wir haben nicht schnell genug reagiert, die Verbrechen nicht das genannt, was sie waren: ein Genozid. Wir können die Vergangenheit nicht ändern, aber alles in unserer Macht Stehende tun, um eine Zukunft ohne Angst, aber voller Hoffnung zu bauen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das bleibt auch weiterhin unsere Aufgabe.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wolfgang Gehrcke hat nun das Wort für die Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3274799 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 27 |
Tagesordnungspunkt | Gedenken an die Opfer des Völkermordes in Ruanda |