04.04.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 27 / Tagesordnungspunkt 18

Andreas NickCDU/CSU - Gedenken an die Opfer des Völkermordes in Ruanda

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „ Wir möchten Ihnen mitteilen, dass wir morgen mit unseren Familien umgebracht werden.“ So steht es in einem am 15. April 1994 in Mugonero geschriebenen Brief. Das Zitat ist auch Titel eines Buches mit Berichten über das unvorstellbare Grauen des Völkermords in Ruanda.

Wir gedenken heute der Opfer. Von April bis Juli 1994 verloren in Ruanda mehr als 800 000 Menschen ihr Leben durch unvorstellbare Gewalttaten, die das malerische Land der tausend Hügel in ein Meer von Blut und Tränen verwandelten. In knapp 100 Tagen töteten Angehörige der Hutu-Mehrheit etwa 75 Prozent der im Land lebenden Tutsi-Minderheit ebenso wie moderate Hutus, die sich dem Völkermord widersetzten. Wir ehren deshalb heute auch die Bemühungen derjenigen Ruander, die sich oft unter Einsatz ihres eigenen Lebens für die Rettung von Frauen, Männern und Kindern eingesetzt haben, zum Beispiel der über 1 200 in das Hôtel des Mille Collines in Kigali geflohenen Menschen, an deren Rettung der preisgekrönte Film Hotel Ruanda erinnert.

Die Ereignisse in Ruanda waren keineswegs – darin sind sich die meisten Beobachter heute einig – ein heftiger Ausbruch uralter „Stammesfehden“ zwischen Hutu und Tutsi, traditionellen Ackerbauern und Viehzüchtern. Sie tragen vielmehr zahlreiche Merkmale eines systematischen und geplanten Völkermords als Teil eines brutalen Machtkampfs, bei dem nicht zuletzt – das wurde schon angesprochen – der Einsatz von Radiosendern als „Hassmedien“ zur Aufstachelung der Gewalt eine wichtige Rolle spielte.

In seinem Buch Handschlag mit dem Teufel – Die Mitschuld der Weltgemeinschaft am Völkermord in Ruanda schreibt der kanadische General Roméo Dallaire:

Er ist an dieser Erfahrung fast zerbrochen. Als Kommandeur der in Ruanda stationierten Blauhelmtruppen musste er ertragen, dass ihm trotz seiner eindringlichen Berichte seitens der Weltgemeinschaft die benötigte Hilfe verweigert wurde, um den Völkermord zu stoppen. Wir bedauern daher auch nachdrücklich die wenig entschiedene Rolle der internationalen Gemeinschaft, die trotz vielfältiger Informationen über das mörderische Handeln vor Ort nicht ausreichend versucht hat, diese Gräuel zu beenden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Ein Völkermord wie der in Ruanda ist teuflisch; aber er ist kein Werk des Teufels, sondern er wird von Menschen an Menschen begangen. Wir Europäer, wir Deutschen zumal, haben an dieser Stelle mit Blick auf unsere eigene Geschichte wahrlich keinen Anlass zu Hochmut gegenüber den Menschen in Afrika. Die Ortsnamen Auschwitz und Srebrenica sind dafür Mahnung genug.

Fassungslos stehen wir aber immer wieder vor diesen Ereignissen und fragen: Wie ist das möglich? Wie können Menschen sich derart entmenschlichen, dass sie zu solchen Taten fähig werden? Die Entmenschlichung steht dabei nicht am Ende, sondern bereits am Anfang, nämlich die Entmenschlichung des anderen in den Augen der späteren Täter als entscheidender Schritt auf dem Weg zur eigenen Entmenschlichung, die derartige Verbrechen erst möglich macht. Das Gegenüber wird reduziert auf seine vermeintliche Zugehörigkeit zu einer andersartigen Gruppe; ein einzelnes seiner vielen Identitätsmerkmale wird verabsolutiert, sei es die Sprache, das religiöse Bekenntnis, die ethnische Herkunft oder der soziale Status. Wenn der andere Mensch aber nicht mehr als in seinem Menschsein gleich und gleichwertig angesehen wird, dann ist eine ganz wesentliche Hemmschwelle zur Entmenschlichung der Täter gefallen.

Die Philosophin Hannah Arendt hat zu Recht darauf hingewiesen, dass Völkermord – anders als es sich in einer wenig treffsicheren deutschen Übersetzung eingebürgert hat – im Kern nicht ein „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ ist, sondern ein „Verbrechen gegen die Menschheit“. Genau deshalb kann sich die Völkergemeinschaft ihrer Verantwortung nicht entziehen, wie sie es 1994 in Ruanda viel zu lange getan hat. Denn erst bei der Aufarbeitung des Völkermords in Ruanda wurde die UN-Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes aus dem Jahre 1948 erstmals praktisch angewendet: Im November 1994 wurde der Internationale Strafgerichtshof für Ruanda eingesetzt. Mit rund 60 Verurteilungen vor allem der Drahtzieher – hochrangige Politiker, Offiziere, Amtsträger und Journalisten – hat das sogenannte Arusha-Tribunal durchaus Maßstäbe gesetzt:Erstmals wurde ein Regierungschef wegen Völkermord verurteilt, und auch die Rolle der sogenannten Hassmedien wurde juristisch aufgearbeitet.

In Reaktion auf das Versagen der internationalen Gemeinschaft in Ruanda wurde das Konzept der Schutzverantwortung, der Responsibility to Protect, entwickelt und 2005 von den Vereinten Nationen verabschiedet – Kollege Mißfelder ist darauf schon ausführlich eingegangen –: Schutz vor Kriegsverbrechen, ethnischen Säuberungen und anderen Menschheitsverbrechen. Dabei geht es um eine dreifache Verpflichtung der Staatengemeinschaft: zur Prävention, zur Reaktion und zum Wiederaufbau.

Wo steht Ruanda heute? Mehr als drei Viertel der Ruander sind jünger als 36 Jahre, viele haben im Völkermord ihre Eltern verloren und sind als Waisen aufgewachsen. Neben der Aufarbeitung durch die nationalen Gerichte haben bis 2012 etwa 200 000 Laienrichter in den wiederbelebten traditionellen Gacaca-Gerichten am Prozess von Wahrheitsfindung, Gerechtigkeit und Versöhnung mitgewirkt. Die Bezugnahme auf ethnische Identitäten als Hutu oder Tutsi ist heute verboten. Bei allen noch bestehenden Problemen, auch in der Festigung demokratischer Strukturen und umfassender bürgerlicher Rechte: Ein Mitte der 90er-Jahre als kaum lebensfähig erachtetes Land gilt heute in vielen Bereichen als Erfolgsgeschichte, als eines der sichersten und am wenigsten korrupten Länder Afrikas. Mit einem wirtschaftlichen Wachstum von jährlich 7 bis 8 Prozent ist Ruanda auf gutem Wege, die meisten Millenniumsziele der Vereinten Nationen zu erreichen.

Wir unterstützen die erfolgreichen Ansätze zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Entwicklung in Ruanda in vielfältiger Weise. Viele Menschen in meiner Heimat Rheinland-Pfalz haben dabei eine ganz besondere und persönliche Beziehung zum Land der tausend Hügel; denn auf Initiative des damaligen Ministerpräsidenten Bernhard Vogel ist Ruanda seit 1982 das Partnerland von Rheinland-Pfalz. Es ist eine Partnerschaft, die trotz aller Verwerfungen den Genozid 1994 nicht nur überlebt, sondern sich bis heute als eines der wirksamsten und beständigsten Hilfsprogramme in Ruanda erwiesen hat. Es ist eine beispielhafte Graswurzelpartnerschaft, auf Augenhöhe, mit breitem zivilgesellschaftlichem Engagement und konkreten Projekten: 250 Schulpartnerschaften, 50 Initiativgruppen und mehr als 1 000 erfolgreich umgesetzte Kleinprojekte sind eine eindrucksvolle Bilanz.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie mich kurz nur wenige Beispiele aus meinem Wahlkreis nennen. Die Gemeinde Holzheim ist mit 930 Einwohnern die kleinste Gemeinde in Rheinland- Pfalz, die seit 1988 eine kommunale Partnerschaft in Ruanda unterhält. Aus Veranstaltungserlösen und privaten Spenden sind in dieser Zeit über 300 000 Euro projektbezogen nach Ruanda geflossen, für Wasser- und Stromversorgung, eine Primarschule und eine Gesundheitsstation. – Die Kreishandwerkerschaft Rhein-Westerwald hat vor kurzem ein Schulbauprojekt für 300 Kinder finanziert. Die Wirtschaftsjunioren Westerwald- Lahn sammeln, ebenfalls unter dem Dach der Stiftung „fly and help“, derzeit für ein vergleichbares Projekt. – Der Verein „Hilfe für Ruanda aus Hachenburg e. V.“ engagiert sich seit 2005 in vielfältigen Projekten vor allem im medizinischen Bereich, bei Bildung und Landwirtschaft.

Was diese Partnerschaft so wertvoll macht, ist, neben ihrer Nachhaltigkeit, der unmittelbare Bezug und die Vielzahl der persönlichen Begegnungen zwischen Menschen aus Ruanda und Rheinland-Pfalz. Alle Besucher berichten von der Freude und der Dankbarkeit und von strahlenden Kinderaugen, die sie in der Begegnung mit den Menschen in Ruanda erleben durften und die sie als große persönliche Bereicherung empfinden. „ Wir sind nach dieser Reise andere Menschen als vorher“ – so beschrieb kürzlich ein Reisender seine Erfahrung.

Der frühere Bundespräsident Horst Köhler hat vor einigen Tagen gesagt:

Die heutige Erinnerung an den Völkermord in Ruanda vor 20 Jahren gibt dazu allen Anlass und die Partnerschaft von Rheinland-Pfalz mit Ruanda ein gutes Beispiel.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erteile das Wort jetzt der Kollegin Gabriela Heinrich für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3274824
Wahlperiode 18
Sitzung 27
Tagesordnungspunkt Gedenken an die Opfer des Völkermordes in Ruanda
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