04.04.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 27 / Tagesordnungspunkt 18

Dagmar WöhrlCDU/CSU - Gedenken an die Opfer des Völkermordes in Ruanda

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist heute Morgen schon viel von internationaler Verantwortung damals und heute gesprochen worden. Ich möchte Ihnen zunächst einmal zwei Zitate vorlesen. Erstes Zitat:

Zweites Zitat:

Liebe Kolleginnen und Kollegen, erkennen Sie einen Unterschied? Das erste Zitat ist 20 Jahre alt, das zweite nur ein paar Monate. Das erste stammt aus Ruanda, das zweite aus der Zentralafrikanischen Republik. Das stellt uns vor die Frage, wie es heute mit unserer internationalen Schutzverantwortung steht, zumindest gegen die schlimmsten Verbrechen: Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Wir haben es gehört: Zwischen dem 6. April und dem 17. Juli 1994 wurden in Ruanda über 800 000 Menschen ermordet – kaltblütig, systematisch, grausam –, das heißt, fast 10 Prozent der Bevölkerung. Mit anderen Worten: mindestens 8 000 Menschen am Tag, in der Minute fünf Tote. Eine mediale Hetzkampagne im Land stachelte die Mörder zusätzlich an. Radiosender meldeten: Das Grab ist nur halb voll. Wer hilft uns, es zu füllen? – Nur eine halbe Stunde nach dem Abschuss des Flugzeuges des Präsidenten wurden die ersten Tutsi und Oppositionspolitiker ermordet. Es war ein organisierter Völkermord. Es war kein Bürgerkrieg. Es war auch kein Stammeskrieg, wie die Weltpresse damals einfältig titelte. Es war vorbereitet. Hutu-Milizen hatten vorbereitete Listen mit Namen und Adressen von allen Tutsis. Wochen vorher wurden über 100 000 Macheten aus China bestellt. Das hätten Warnungen sein sollen.

Wer Ruanda kennt, liebe Kolleginnen und Kollegen, weiß, dass Ruanda ein kleines Land ist. Es ist das am dichtesten bevölkerte Land in ganz Afrika: 432 Einwohner pro Quadratkilometer. Es gab einen Verteilungskampf um knappe Ressourcen.

Es war ein ethnischer Konflikt, der seit Generationen brodelte und dann zum Ausbruch kam. Es gab nur ein Ziel. Das einzige Ziel war, die Minderheit der Tutsis vollständig auszurotten. Während in Ruanda blindwütig gemordet wurde – dies wurde angesprochen –, hat die internationale Gemeinschaft versagt: die Vereinten Nationen, der Westen, die afrikanischen Bruderstaaten und die Weltpresse. Es fehlte der Mut, international Verantwortung zu übernehmen, der Mut, die Situation zu verstehen, der Mut einzugreifen und der Mut, gegen die Instrumentalisierung von Glaube und Ethnien vorzugehen. Durch eine ehrliche Analyse damals wären wir gezwungen gewesen, einzugreifen. Mut hatte damals niemand außer einigen Ruandern, die unter Einsatz ihres Lebens versucht haben, ihren Brüdern und ihren Schwestern zu helfen und sie vor den Mordlustigen zu verstecken, so wie der Direktor des Hôtel des Mille Collines in Kigali, der mehr als 1 000 Menschen gerettet hat.

Haben wir aus dem Versagen damals Lehren gezogen? – Es hat sich das Rechtsinstitut der Schutzverantwortung entwickelt. Der Internationale Strafgerichtshof für Ruanda wurde eingerichtet; heute nimmt der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag über seine Rechtsprechung Einfluss. Es ist das erste Mal, dass die Straflosigkeit für schwerwiegende Verbrechen politischer Amtsträger beendet wurde. Es ist das erste Mal, dass Vergewaltigung als Begehungsform des Völkermordes vor Gericht anerkannt worden ist. Die Vereinten Nationen haben sich bei den Friedensmissionen einen neuen strategischen Ansatz gegeben, nämlich dass die zentralen Aufgaben der Schutz der Zivilbevölkerung, der Schutz der Menschenrechte sind und dass ein robustes Mandat, nicht nur eines zur Selbstverteidigung, notwendig sein kann.

Inzwischen sind 20 Jahre vergangen. Ruanda wird als Musterland dargestellt mit Wachstumsraten von 8 Prozent. Die Weltbank hat Ruanda letztes Jahr als unternehmerfreundlichstes Land ganz Afrikas bezeichnet. Der Wiederaufbau schreitet voran, auch dank internationaler Unterstützung, auch dank deutscher Unterstützung im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit. Ruanda übernimmt international Verantwortung. Ruanda ist zu einem verlässlichen Partner bei Friedensmissionen auf dem afrikanischen Kontinent geworden. Allein 850 Soldaten aus Ruanda sind an MISCA beteiligt, der Mission in der Zentralafrikanischen Republik, auch aufgrund der eigenen schmerzlichen und leidvollen Erfahrungen.

Es besteht Nachholbedarf; das ist klar. In den Bereichen Meinungsfreiheit und politische Teilhabe ist noch viel zu tun. Trotz vieler Fortschritte ist – das ist uns bewusst – ein nachhaltiger innerer Friede noch nicht gegeben. Die Unterscheidung zwischen Hutus und Tutsis ist präsent, auch wenn die Verfassung heute eine Unterscheidung verbietet. Es gibt noch viele traumatisierte Täter und Opfer. Zur Versöhnung wurden die Gacaca- Gerichte eingerichtet, an denen bis 2012 2 Millionen Fälle verhandelt wurden. Aber kann sich ein Täter mit dem Opfer versöhnen, das er vergewaltigt und gefoltert hat, dessen Familie er ermordet hat? Opfer und Täter leben notgedrungen noch heute Tür an Tür. Man versucht zu verdrängen; vergessen wird man kaum können.

Wir versuchen, die Menschen bei der Versöhnung zu unterstützen. Dies tun wir mit unserem Zivilen Friedensdienst und mit der GIZ, die gemeinsam mit dem Dachverband IBUKA die Überlebenden des Genozids bei dem Versöhnungsprozess in den Dörfern unterstützt. Dieser Tage gedenken Millionen Ruander ihrer verstorbenen Familienmitglieder. Der Verlust ist jedoch nicht mehr gutzumachen.

Aber auch heute, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden Menschen getötet, leben noch immer viele Menschen in Gefahr vor Folter und Vergewaltigung. Ich denke an Syrien mit inzwischen über 150 000 Toten. Ich denke an den Südsudan. Ich denke an die Zentralafrikanische Republik, in der ein blutiger Konflikt zwischen Moslems und Christen stattfindet und ein Versöhnungsprozess in weiter Ferne ist. Er hat noch nicht einmal begonnen. Das Morden geht weiter. Wie müssen wir, wie muss eine verantwortungsbewusste Weltgemeinschaft darauf reagieren?

Der Genozid hat die Weltbevölkerung aufgeschreckt. Es ist gut, dass wir heute diese Debatte führen. Vor 20 Jahren haben wir sie nicht geführt. Das war ein ganz großer Fehler. Wir haben die Verantwortung, Menschen weltweit zu schützen, denen Mord und Vergewaltigung droht. Wir wissen aber auch, dass der Einfluss, auf nationale Konflikte zu reagieren, oft begrenzt ist. Ein Engagement kann gefährlich sein. Das Leben unserer Soldaten kann auf dem Spiel stehen. Verantwortung zu übernehmen heißt nicht, dass wir uns künftig überall militärisch engagieren müssen. Verantwortung zu übernehmen heißt vielmehr, sich nach Kräften und Möglichkeiten innerhalb der Europäischen Union und innerhalb der Vereinten Nationen zu engagieren, zu vermitteln, präventiv tätig zu werden, um gemeinsam Gräueltaten frühzeitig zu verhindern.

Die Weltgemeinschaft muss lernen, öfter mit einer Stimme zu sprechen; denn nur dann schaffen wir es, Konflikte auch helfend mit zu beseitigen. Wir müssen das Konzept der Schutzverantwortung mit unseren Partnern noch konkreter ausgestalten und die Entwicklung eigener afrikanischer Instrumente zur Krisenprävention unterstützen. Wir versuchen, im Rahmen unserer Möglichkeiten, auch im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit, Einfluss zu nehmen, frühzeitig gezielte entwicklungspolitische und präventive Maßnahmen zu ergreifen, damit unsere Partnerländer sich selbst helfen können, um wirtschaftliche Stabilität, politische Teilhabe und langfristigen Frieden für sich zu erreichen.

Ruanda ist seit 2000 ein Schwerpunktland der bilateralen Zusammenarbeit. Wir wissen, dass unser Antrag heute auch zeigt: Wir müssen und werden uns weiterhin für die Stärkung der Demokratie und der Menschenrechte als Grundlage des Friedens in Ruanda einsetzen. Wir werden Ruanda weiterhin beim Aufbau einer starken Zivilgesellschaft und unabhängiger Medien unterstützen. Wir haben die Verpflichtung – die Opfer, die Ermordeten verpflichten uns –, Menschen in anderen Ländern, die von Gräueltaten bedroht sind oder an denen Gräueltaten verübt werden, zu helfen. Es müssen noch viele mutige Schritte getan werden, bis wir wirklich und ehrlich von einer internationalen Verantwortung sprechen können.

Wir gedenken heute zusammen mit den Ruandern ihrer Opfer, zu denen auch viele unschuldige Hutus gehören – auch das muss man erwähnen –, die versucht haben, Unterstützung zu leisten. Ich glaube, wir alle gemeinsam hier im Hause können zusichern, dass wir sie auf dem Weg zu Stabilität und langfristigem Frieden auch weiterhin begleiten werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Frank Heinrich hat nun das Wort für die CDU/CSU- Fraktion

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3274834
Wahlperiode 18
Sitzung 27
Tagesordnungspunkt Gedenken an die Opfer des Völkermordes in Ruanda
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