04.04.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 27 / Tagesordnungspunkt 19

Astrid FreudensteinCDU/CSU - Programm für Barrierefreiheit

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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Katholische Jugendfürsorge in meiner Heimatstadt Regensburg betreibt eine eigene Facebook-Seite, die „Teilhabeprojekte“ heißt. Dort wird erfreulicherweise nicht nur gelegentlich etwas gepostet, sondern es tut sich sehr viel auf dieser Seite. Die Volkshochschule zum Beispiel bietet eine Altstadtführung in leichter Sprache an. Bei „Radio sag’ was!“ gehen junge Radiomacher mit Behinderung im örtlichen Lokalfunk mit bemerkenswerten Interviews auf Sendung. Das Atelier der KJF stellt seine Werke im örtlichen Künstlerhaus Andreas-Stadel inmitten der Werke anderer Künstler aus. Und, und, und. Die KJF Regensburg präsentiert auf dieser Facebookseite einen Überblick über ihre Teilhabeprojekte und über das, was jeden Tag im Kleinen passiert.

Die gute Nachricht nach fünf Jahren UN-Behindertenrechtskonvention lautet daher: Es ist nicht bei der Idee einer inklusiven Gesellschaft geblieben. Die Sache lebt, und wir sind damit gut unterwegs.

In der UN-Behindertenrechtskonvention wird bekräftigt – ich zitiere –, „… dass alle Menschenrechte und Grundfreiheiten allgemein gültig und unteilbar sind, einander bedingen und miteinander verknüpft sind und dass Menschen mit Behinderungen der volle Genuss dieser Rechte und Freiheiten ohne Diskriminierung garantiert werden muss“. Klar, denkt man, wieso sollten Menschenrechte auch nicht für Menschen mit Behinderungen gelten? Doch was sich wie ein Allgemeinplatz anhört, stößt in der Realität oft an Grenzen: an Barrieren im wörtlichen Sinne.

Umso wichtiger war es, dass die Vereinten Nationen mit der Konvention vor fünf Jahren die erste verbindliche universelle Menschenrechtsquelle für behinderte Menschen geschaffen haben. Die unterzeichnenden Staaten haben sich verpflichtet, die darin festgeschriebenen Rechte in ihre nationale Gesetzgebung zu übertragen. Auch Deutschland hat das getan.

Unsere Aufgabe ist es, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass Teilhabe für alle Menschen gleichberechtigt ermöglicht wird und Barrieren eingerissen werden. Nun fiel die Behindertenrechtskonvention in Deutschland nicht in ein behindertenpolitisches Vakuum. Erst am Mittwoch haben wir uns im Ausschuss mit dem Teilhabebericht der Bundesregierung befasst. Dieser Teilhabebericht zeigt – neben dem Staatenbericht – auf, an welchen Stellen wir noch etwas tun müssen, um unsere Verpflichtungen zu erfüllen.

Der Bericht zeigt aber auch, dass die Bundesrepublik, vor allem auf gesetzgeberischer Seite, schon eine Menge im Sinne der Konvention für die Menschen mit Behinderung getan hat und tut. Neben den SGB sind das vor allem die – auch in dem Antrag der Grünen angesprochenen – Gesetze zur Gleichstellung behinderter Menschen, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und das Behindertengleichstellungsgesetz. Sie trugen und tragen ganz maßgeblich zur Gleichberechtigung bei und sind nur einige Beispiele.

Zurzeit werden diese Gesetze vor dem Hintergrund der Konvention evaluiert. Diese Evaluation soll bis zum Sommer abgeschlossen sein. Dabei geht es um genau die Punkte, die Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, in Ihrem Antrag ansprechen: nämlich um den Behinderungsbegriff, um den Einsatz leichter Sprache usw.

Es ist wichtig, nicht nur die Gleichstellung an sich rechtlich festzuzurren, sondern eben auch das veränderte Verständnis von Behinderung, das der Behindertenrechtskonvention zugrunde liegt. Da sind wir ganz bei Ihnen.

Trotz dieser Gesetze, die die gleichen Rechte garantieren, haben Menschen mit und ohne Behinderungen in der Praxis immer noch häufig ungleiche Chancen auf Teilhabe. Während ein Viertel der behinderten Menschen keine oder nur wenige Behinderungen durch die Umwelt erfährt, erlebt ein anderes Viertel große Einschränkungen in allen betrachteten Lebensbereichen.

Ein Gießkannenprinzip hilft uns deshalb nicht weiter. Wir müssen Nachteilsausgleiche und Programme differenziert auf besonders betroffene Gruppen und Situationen ausrichten. Die Barrieren, die noch am meisten an der Teilhabe hindern, müssen als Erste eingerissen werden.

Aufgabe der Politik ist es jedoch nicht nur, die Barrieren für die Betroffenen so weit wie möglich abzubauen. Jede Barriere ist zwar eine zu viel, aber aus der Behindertenrechtskonvention folgt noch etwas anderes: Die individuelle Lebensplanung und die Selbstbestimmung der Menschen mit Behinderung muss mehr geachtet und gestärkt werden. Viele Barrieren werden bedeutungslos, wenn dem Menschen mehr Wahlfreiheit gelassen wird, wenn er die Entscheidungen zu seiner Lebensplanung selbstbestimmt treffen kann und Teilhabe erfährt.

Die Entwicklung der Eingliederungshilfe zu einem modernen Teilhaberecht ist deshalb einer der wichtigsten Bausteine bei der Umsetzung der Behindertenrechtskonvention. Dadurch wird sie auch eine der wesentlichen gesellschaftlichen und sozialpolitischen Aufgaben dieser Legislaturperiode werden. Wir wollen weg von einer überwiegend einrichtungsbezogenen hin zu einer personenzentrierten Hilfe, und daran arbeiten wir.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Der Mensch mit Behinderung muss mit seinen spezifischen Bedürfnissen im Mittelpunkt stehen. Wir wollen deshalb bei der Reform die Perspektive der Betroffenen kontinuierlich mit einbeziehen. Ein solcher Prozess dauert tatsächlich; er gewinnt dadurch aber auch an Legitimität und an Qualität.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächste Rednerin ist Sabine Zimmermann für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3276587
Wahlperiode 18
Sitzung 27
Tagesordnungspunkt Programm für Barrierefreiheit
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