04.04.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 27 / Tagesordnungspunkt 19

Ulla SchmidtSPD - Programm für Barrierefreiheit

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für mich bedeutet die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention eine große gesellschaftspolitische Aufgabe. Diese Umsetzung und die damit verbundene Diskussion darüber, welche Schritte wir gehen müssen, gehören zu den größten gesellschaftspolitischen Herausforderungen zu Beginn dieses Jahrhunderts und sind für mich genauso bedeutsam wie die Bildungsreformen, die wir in den 60er-Jahren durchgeführt haben und die das Land nachhaltig verändert haben. Das in der Behindertenrechtskonvention festgelegte Menschenrecht auf Teilhabe an und in der Gesellschaft sollte die Diskussionen übergreifend bestimmen. Die Diskussionen machen sehr deutlich, dass dieses Menschenrecht in unserem Land, das sonst alles versucht, um die Menschenrechte einzuhalten, Tag für Tag verletzt wird. Ich glaube, dass wir dieses Menschenrecht nur durchsetzen können, wenn wir das zu einer gemeinsamen Aufgabe des ganzen Parlaments machen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich bin sehr viel unterwegs und habe viele Bundesländer besucht. Egal wer gerade regiert, in keinem Land und in keiner Kommune wird zu 100 Prozent das umgesetzt, was wir eigentlich wollen. Ob Brandenburg, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Bayern oder Schleswig-Holstein – ich könnte eigentlich alle Bundesländer aufzählen –, überall gibt es gelungene Beispiele. Aber es gibt noch viel zu tun, bis das, was wir wollen, nämlich die volle Teilhabe aller Menschen, tatsächlich umgesetzt ist. Deshalb bitte ich Sie: Lassen Sie uns nicht gegeneinander arbeiten, sondern überlegen, was wir miteinander machen können, um dies umzusetzen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Für mich ist neben den Artikeln betreffend Arbeitsmarkt, Schule und Kindergarten der Art. 9 der Behindertenrechtskonvention, der die Barrierefreiheit behandelt, essenziell. Menschen können nicht teilhaben, wenn Barrieren sie daran hindern. Aber beim Abbau von Barrieren handelt es sich um einen Prozess. Barrieren lassen sich nicht per Gesetz von einem Tag auf den anderen niederreißen. Vielmehr muss jede Barriere Schritt für Schritt abgebaut werden. Ich bin sehr froh, dass wir im Präsidium des Deutschen Bundestags beschlossen haben: Wir wollen, dass der Deutsche Bundestag Vorbild beim Abbau von Barrieren wird.

(Beifall im ganzen Hause)

Wir wollen, dass Menschen mit Behinderung nicht nur an Anhörungen und Debatten teilhaben, sondern dass sie sie auch verfolgen können. Wir wollen unsere Publikationen und Debattenübertragungen so aufbereiten, dass Blinde, Gehörlose, Sehbehinderte, Hörgeschädigte sowie Menschen mit kognitiven oder psychischen Einschränkungen am gesellschaftlichen Prozess teilhaben und sich dafür interessieren können, was wir politisch entscheiden.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Natürlich kann man der Meinung sein, dass das Teilhabegesetz nicht alles ist. Aber ich sage Ihnen aufgrund meiner Erfahrung: Die Gestaltung des Teilhabegesetzes, das zum Ziel hat, die Eingliederungshilfe aus dem System der Fürsorge herauszuholen und zu einem modernen Teilhaberecht zu entwickeln, wird der Lackmustest sein, der deutlich macht, wie ernst es uns damit ist.

(Beifall bei der SPD)

Dabei geht es um vieles, was heute von der Eingliederungshilfe nicht geleistet wird. Es geht um Selbstbestimmung und Partizipation, aber auch um Mitmachen und Beteiligung. Ich bin sehr froh, das unsere Ministerin Andrea Nahles gesagt hat: Wir beginnen in diesem Jahr und werden mit den Menschen mit Behinderung einen entsprechenden Gesetzentwurf erarbeiten und diesen im Jahr 2016 verabschieden. Lassen Sie sich gesagt sein: Wer Andrea Nahles kennt, weiß, dass sie das tut.

(Beifall bei der SPD)

Wenn man ein modernes Teilhaberecht gestaltet, ist eines wichtig: Wir sind als Staat verpflichtet, die Barrieren abzubauen. Wir haben uns als Staat verpflichtet, dafür zu sorgen, dass Nachteile, die durch eine Behinderung entstehen, ausgeglichen werden. Deshalb sage ich Ihnen: Es kann nicht sein, dass auf Dauer der Ausgleich der Nachteile vom Staat in die private Einkommenssituation des Einzelnen gelegt werden. Auch behinderte Menschen haben ein Recht auf ein Sparbuch.

(Beifall im ganzen Hause)

Behinderte Menschen haben nach der UN-Konvention ein Recht darauf, dass sie ihre Lebenssituation stetig verbessern können. Deshalb wird es ein wichtiger Schritt sein, dass wir diesen Prozess voranbringen. Wir wollen nicht, dass sich Eltern behinderter Kinder darum sorgen müssen, ob sie für ihre Kinder ein Guthaben anlegen können, damit sich die Kinder, wenn die Eltern einmal nicht mehr leben, Sonderwünsche erfüllen können. Wir wollen, dass Menschen mit Behinderung ihre Wohnung und ihre Arbeit frei wählen können. Dann müssen wir ihnen aber zugestehen, dass sie ansparen dürfen, damit sie sich Möbel oder andere Dingen kaufen können.

(Beifall im ganzen Hause)

Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Lasst uns daran arbeiten! Das ist eine große Aufgabe, nicht allein des Bundestages, sondern auch der Länder und der Kommunen.

Ich bin sehr für die Entlastung der Kommunen, aber diese Aufgabe ist so groß, dass wir sie nur gemeinsam schultern können. Erst kommen die Inhalte, erst brauchen wir ein modernes Teilhaberecht, und dann können wir darüber entscheiden, wie wir die Kommunen oder andere bei dieser Aufgabe entlasten. Machen Sie mit! Das ist ein ganz wichtiges Projekt.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Ulla Schmidt. – Nächste Rednerin in der Debatte ist die Kollegin Jutta Eckenbach für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3276611
Wahlperiode 18
Sitzung 27
Tagesordnungspunkt Programm für Barrierefreiheit
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