Matthias BartkeSPD - Programm für Barrierefreiheit
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dies ist heute meine erste Rede im Deutschen Bundestag.
(Beifall)
Ich freue mich sehr darüber, dass ich sie zur UN-Behindertenrechtskonvention halten darf. Es gibt wohl kaum einen Sozialpolitiker, dem Behindertenpolitik nicht ein Herzensanliegen ist. Denn der Umgang einer Gesellschaft mit ihren Menschen mit Behinderung ist immer ein Gradmesser für ihre Qualität.
Seit Einführung des SGB IX vor fast 14 Jahren und vor allem mit der UN-Behindertenrechtskonvention hat sich in unserem Land viel zum Besseren gewandelt. Aber die Lage ist noch lange nicht so, dass man sagen könnte, sie ist gut. Mit der UN-Behindertenrechtskonvention wurde die Inklusion zum neuen Leitgedanken der Behindertenpolitik. Sie beinhaltet eine Abkehr von der alten Zweiklassentheorie „Behindert“ versus „Nicht behindert“. Inklusion heißt, dass alle Menschen gleichberechtigte Teile eines gemeinsamen Ganzen sind:
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Nicht der Mensch muss an die Rahmenbedingungen angepasst werden, sondern der Sozialraum so gestaltet sein, dass allen Mitgliedern der Gesellschaft ein Zugang offen ist. Dies, meine Damen und Herren, ist ein grundlegender Paradigmenwechsel, den die Konvention bewirkt hat.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Nur ist eines auch klar: Eine inklusive Behindertenpolitik gibt es nicht zum Nulltarif. Die Schaffung eines barrierefreien Sozialraumes ist teuer, manchmal sogar sehr teuer. Die Unterzeichnung der UN-Konvention ist auch ein Bekenntnis zu diesen Kosten. Schwarz-Rot bekennt sich mit dem Koalitionsvertrag dazu, die Kommunen nicht mit den Kosten für die Behindertenpolitik alleinzulassen. Sie werden bei der Eingliederungshilfe um 1 Milliarde Euro jährlich entlastet. Mit Verabschiedung des Bundesteilhabegesetzes kommt eine jährliche Entlastung um weitere 5 Milliarden Euro hinzu,
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
und zwar, Herr Kurth, im Jahr 2016. Dies sind wahrlich keine Peanuts.
Im Koalitionsvertrag haben wir außerdem eine Stärkung des inklusiven Arbeitsmarktes vereinbart. Das ist auch dringend notwendig, denn die Arbeitslosenquote bei Menschen mit Behinderung ist mehr als doppelt so hoch wie bei Menschen ohne Behinderung. Besonders alarmierend ist dabei der hohe Anteil von jungen Schwerbehinderten. Hier besteht dringender Handlungsbedarf.
In meiner Heimatstadt Hamburg ist man für Mitarbeiter von Werkstätten für Behinderte im Rahmen eines neuen Modellprojekts „Budget für Arbeit“ neue Wege gegangen. Zu diesem Budget gehört unter anderem ein unbefristeter Lohnkostenzuschuss für Arbeitgeber, die in ihren Unternehmen geistig behinderte Mitarbeiter einstellen. Das Projekt funktioniert hervorragend. Das Schöne ist, dass sich das Betriebsklima in den Unternehmen häufig verbessert hat: Unternehmen, die zuvor ausschließlich auf Effizienz ausgelegt waren, bekommen durch die geistig behinderten Mitarbeiter plötzlich eine menschliche Komponente;
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
sie stellen eine Bereicherung für die Betriebe dar. Das ist gelebte Inklusion. Es freut mich sehr, dass das Modellprojekt „Budget für Arbeit“ Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden hat. Es ist sinnvoll, über dauerhafte Lohnkostenzuschüsse nicht nur für Arbeitnehmer mit geistiger Behinderung, sondern auch für Langzeitarbeitslose mit körperlichen Behinderungen nachzudenken. Damit erhalten vor allem junge behinderte Arbeitslose eine neue Perspektive.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, auf ein Problem zu sprechen kommen, das mir besonders am Herzen liegt. Die UN-Konvention fordert völlig eindeutig, dass Arbeitnehmer nicht wegen ihrer Behinderung diskriminiert werden oder weniger Lohn bekommen dürfen und dass auch sie das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard haben.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Bei schwerstbehinderten Arbeitnehmern mit persönlichem Assistenzbedarf wird hingegen täglich auf das Krasseste verstoßen. Bei ihnen werden alle Ersparnisse über 2 600 Euro gegengerechnet und müssen an den Staat abgeführt werden. Das gilt auch für die Ehepartner. Ich finde, diese Regelung ist ein Skandal.
(Beifall im ganzen Hause)
Vor zwei Wochen haben wir im Ausschuss für Arbeit und Soziales in einem formellen Akt eine Petition mit über 126 000 Unterschriften gegen diese Regelung erhalten. In ihr ist prägnant formuliert:
(Zurufe von der SPD: Oh!)
Diese Verrechnungspraxis entspricht vielleicht den Buchstaben des SGB XII; den Normen und vor allem dem Geist der UN-Konvention widerspricht sie auf das Eklatanteste. Hier tut eine Abhilfe dringend not.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Im Bereich der Behindertenpolitik sind wir schon einen weiten Weg gegangen, aber es liegt auch noch ein weiter Weg vor uns. Zum Abschluss möchte ich daher Erich Kästner zitieren, der einmal wunderbar passend gesagt hat:
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Vielen Dank, Herr Kollege. Das ganze Haus gratuliert Ihnen zu Ihrer ersten Rede im Bundestag. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg, nicht nur im Kampf für die große Liebe.
(Heiterkeit und Beifall – Dr. Matthias Bartke [SPD]: Die habe ich schon!)
Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege Peter Weiß von der CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3276616 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 27 |
Tagesordnungspunkt | Programm für Barrierefreiheit |