Bettina HagedornSPD - Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Kollegin Lötzsch, ich kann Ihre Aussage nicht unwidersprochen stehen lassen, dass 2008/2009 die schwarze Null den Banken geopfert wurde. Nein, wir haben damals in der Großen Koalition angesichts der Krise und in der Hoffnung, dass ein Haushalt ohne Schulden in greifbarer Nähe war – einen solchen Haushalt hatten wir mit ganzer Kraft angestrebt –, das gemacht, was klug und verantwortlich gegenüber den Menschen in Deutschland war. Wir haben nämlich zwei Konjunkturpakete im Umfang von über 80 Milliarden Euro aufgelegt. Wir haben diese Pakete weit gefächert und den Kommunen 10 Milliarden Euro gegeben, um zu investieren. Wir haben übrigens auch das Kurzarbeitergeld eingeführt, was viel Geld gekostet hat.
Warum haben wir das gemacht? Wir haben das gemacht, um die Menschen in Deutschland in dieser Krise in Lohn und Brot zu halten. Wir haben das gemacht, um die Unternehmen zu stärken, damit sie ihre guten Mitarbeiter nicht entlassen müssen. Wissen Sie was? Das war eine großartige Entscheidung; denn das ist das Geheimrezept dafür, dass wir so gut durch die Krise gekommen sind.
(Beifall bei der SPD)
Insofern fällt es mir natürlich ausgesprochen schwer, ausgerechnet Ihnen, Frau Lötzsch, die Erinnerung an Peer Steinbrück zu überlassen. Darum möchte ich meine Rede gerne mit einem Zitat beginnen:
Ich bin sicher, Herr Schäuble, dass Sie sagen würden, dieses Zitat könnte von Ihnen sein. Es ist aber nicht von Ihnen. Es ist im September 2007 hier im Deutschen Bundestag bei der Haushaltsdebatte von Peer Steinbrück, dem Finanzminister der Großen Koalition, gesprochen worden.
(Beifall bei der SPD – Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Guter Mann!)
Ich stelle dieses Zitat deshalb an den Anfang, weil es so schön deutlich macht, dass wir mit der Großen Koalition von 2005 bis 2009 und mit der Großen Koalition jetzt ab 2013 sehr wohl einen langen roten Faden haben. Der Faden ist so lang und so rot, dass ich sogar die Kolleginnen und Kollegen der Grünen noch mit einbeziehen will. Wir Haushälter konnten damals im Tiefschlaf vor uns hersagen, dass unser größtes Ziel konsolidieren, sanieren und investieren ist, dass dieser Dreiklang eine gute und verantwortbare Haushaltspolitik darstellt.
(Beifall bei der SPD)
– Der Beifall könnte eigentlich vom ganzen Haus kommen. – Denn dieser Dreiklang hat eine Tradition von mindestens zehn Jahren in diesem Haus. Dass wir das auch über Fraktionsgrenzen hinweg über viele Jahre so ernst genommen haben, ist der Grund dafür, warum es uns in Deutschland insgesamt im Verhältnis zu anderen so gut geht.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir waren auch immer von dem Bewusstsein getragen, dass wir nicht um des Sparens willen sparen, sondern dass wir das einerseits in Verantwortung vor der neuen Generation tun – Generationengerechtigkeit ist ein heute Morgen zu Recht häufig genannter Begriff –, aber auch um Spielräume zu erwirtschaften, um in wichtigen Bereichen die Zukunftsfähigkeit unseres Landes sicherzustellen. Die gute Botschaft ist: Auch da haben wir über Fraktionsgrenzen hinweg Einigkeit.
Den Löwenanteil der Investitionen, die wir schon seit vielen Jahren tätigen und auch in dieser Großen Koalition wieder tätigen werden, bekommt der wichtige Bereich der Bildung. Investitionen in die Köpfe der jungen Generation sind in einem Land, das einen demografischen Faktor wie das unsere hat, wichtig, um unsere Zukunftsfähigkeit zu garantieren. Diese Bildungsinvestitionen im Umfang von 3 Milliarden Euro geben wir in dem Bereich aus, für den wir ursächlich zuständig sind, Hochschulbildung und Forschung. Aber auch die 6 Milliarden Euro, die wir über die Länder den Kommunen zur Verfügung stellen, geben wir nicht einfach so, quasi als Almosen wegen der Unterfinanzierung. Nein, wir geben ihnen das Geld in dem Bewusstsein, dass Bildung schon in der Krippe und in der Kita anfängt.
Es geht auch um eine noch bessere Qualität in den Schulen, um eine höhere Lehrerdichte, um Ganztagsschulen, es geht um eine qualitativ gute Bildungsbetreuung in ganz Deutschland. In weiten Teilen sind eben Länder und Kommunen dafür zuständig. Wenn es denen schlecht geht, dann können sie an dieser Stelle nicht das leisten, was sie im gesamtstaatlichen Interesse in der Bildung dringend leisten müssen. Darum tun wir das.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
In dieser und auch in der gestrigen Debatte sind die Kommunen schon gewürdigt worden. Ich glaube, hier einen etwas falschen Zungenschlag vernommen zu haben. Manche Äußerung ist verständlich; schließlich finden im Mai in Deutschland zehn Kommunalwahlen statt. Daher steht hier manchmal der Wahlkampf mehr als die Faktenlage im Mittelpunkt. Ich selbst habe 20 Jahre ehrenamtlich Kommunalpolitik gemacht. Ich war ehrenamtliche Bürgermeisterin und Amtsvorsteherin. Seit 2005 bin ich stellvertretende Sprecherin der AG Kommunalpolitik unserer Fraktion. Insofern bin ich, glaube ich, frei von dem Vorwurf, dass ich bei den Sorgen und Nöten der Kommunen nicht genügend hinschauen würde. Ich finde schon, dass wir als Bundestag auch insgesamt stolz auf das sein dürfen, was wir für die Kommunen schon getan haben und was auch in Zukunft zu tun wir uns im Koalitionsvertrag richtigerweise verpflichtet haben.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Auch da, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, will ich Sie daran erinnern, dass wir es waren, die dafür gesorgt haben, dass 4 Milliarden Euro für den Ausbau der Ganztagsschulen in Deutschland zur Verfügung gestellt wurden, und dass wir es waren, die 2004 angestoßen haben, dass der Bund mehr Verantwortung für die Schaffung von mehr Krippenplätzen in Deutschland übernimmt. In der Großen Koalition haben wir unser Eintreten dafür fortgesetzt, indem wir dafür gesorgt haben, dass finanzielle Mittel im Umfang von fast 5 Milliarden Euro bis 2013 zur Verfügung gestellt werden. Dies geschah, um den Kommunen in Deutschland die Möglichkeit zu geben, eine verlässliche Krippeninfrastruktur aufzubauen. Darüber hinaus haben wir mit den Kommunen verabredet – dieses Geld fließt seitdem Jahr für Jahr über steuertechnische Umverteilungen –, dass wir sie mit den Betriebskosten der Krippen nicht alleinlassen. Round about sind, wenn ich es richtig im Hinterkopf habe, knapp 1 Milliarde Euro pro Jahr vom Bund an die Länder dafür geflossen und fließen weiter, in der Hoffnung, dass sie sie an die Kommunen weiterleiten, damit sie mehr Geld zur Verbesserung der Krippenbetreuung haben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Gestern sagte ein Kollege – das war ein bisschen wie Geschichtsklitterung –, dass Rot-Grün die Grundsicherung eingeführt und damit die Kommunen belastet habe. Das ist nicht wahr. Als wir 2003 die Grundsicherung eingeführt haben – übrigens mit Zustimmung des Bundesrates –, haben wir uns auf eine Kostenteilung verständigt. Wir jedenfalls haben das Recht auf Grundsicherung überwiegend mit Blick auf diejenigen Frauen geschaffen, die sich, weil sie den Rückgriff auf ihre Verwandten befürchteten, nicht getraut haben, zum Sozialamt zu gehen und Sozialhilfe zu beziehen; man sprach auch von verschämter Altersarmut. In Wahrheit haben wir mit der Grundsicherung eine Entlastung der Kommunen bewirkt. Für uns stand die Würde der Menschen im Mittelpunkt. Die Schaffung des Rechtsanspruchs auf Grundsicherung in Deutschland – nicht nur im Alter, sondern auch bei Erwerbsunfähigkeit – ist eine große Leistung dieses Hauses gewesen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
– Ja, ich finde, da können wir alle klatschen. Wir waren alle daran beteiligt.
Der Punkt ist der, dass die Ausgaben für die Grundsicherung wegen der demografischen Entwicklung immer weiter gestiegen sind und dass diese Ausgaben damit die kommunalen Haushalte gesprengt haben. Wir haben also in den letzten Jahren – auch das haben Bundestag und Bundesrat sehr wohl gemeinsam gemacht – eine schrittweise Entlastung der Kommunen herbeigeführt. Obwohl die Kosten für die Grundsicherung ständig steigen und auch in Zukunft steigen werden, sollte der Bund sie in immer höherem Maße tragen. In diesem Jahr übernimmt er sie zu 100 Prozent. Die Kostenübernahme ist in vier Schritten vonstattengegangen. Vor vier Jahren – damals war ich innerhalb meiner Fraktion für den Haushalt Arbeit und Soziales zuständig – hat der Bund noch 500 Millionen Euro pro Jahr für seinen Anteil an der Grundsicherung ausgegeben, und jetzt werden es 5,5 Milliarden Euro sein. Das ist eine Entlastung der Kommunen von 5 Milliarden Euro pro Jahr.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Diese Entlastung wird steigen, weil die Kosten für die Grundsicherung steigen werden, und wir schultern diese Kostensteigerung allein.
All das ist richtig. Es ist angesichts dessen richtig, dass wir den Menschen diesen Rechtsanspruch gewähren wollen. Richtig ist auch, dass wir als Bund die Kosten dafür schultern. Aber ich finde, es darf in der aktuellen Debatte nicht vergessen werden.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Ich will auch daran erinnern: Als Bundestag und Bundesrat die Entlastung der Kommunen verabredet haben, haben wir das im Zusammenhang mit anderen Themen, die wir miteinander beraten haben, getan. Dabei ging es um ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts und um die Frage, ob Kinder aus bildungsfernen Schichten eigentlich genug Zugang zu Bildung haben. Wir haben damals zwar nicht festgelegt, warum und wofür wir die Kommunen entlasten. Wir haben aber sehr wohl unserer Erwartung Ausdruck gegeben, dass diese Entlastung nicht nach dem Motto „Linke Tasche, rechte Tasche“ – wir verschulden uns, andere entschulden sich – erfolgt, sondern wir haben das Geld in der Erwartung gegeben, dass es dort landet, wo es hingehört, nämlich in den Krippen, in den Kitas, in den Schulen und bei den Familien, die nicht so gut situiert sind, dass sie ihren Kindern gute Bildung ermöglichen können. Wir brauchen in Deutschland jedes Kind, und zwar deshalb, weil wir zu wenige Köpfe, zu wenige junge Menschen haben. Es muss Geld investiert werden, damit in Zukunft nicht mehr so viele junge Menschen ohne Schulabschluss die Schule verlassen. Die Verantwortung dafür tragen die Länder und zum Teil auch die Kommunen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Ich möchte zum Schluss zu einem weiteren Punkt kommen, bei dem schon lange Zeit große Einigkeit besteht, dass mehr investiert werden muss: zu den Investitionen in die Infrastruktur. Herr Dobrindt, es ist festzuhalten, dass die Lkw-Maut schon lange in großem Umfang zu den Investitionen im Verkehrsbereich beiträgt. Auch sie haben wir übrigens vor langer Zeit gemeinsam eingeführt, verbunden mit den Geburtswehen, an die wir uns alle noch gut erinnern können, Stichwort „Toll Collect“.
(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt ist ein großes Loch da!)
Nachdem die Einnahmen durch die Lkw-Maut von 2005 bis 2008 zwischen 2,9 und 3,5 Milliarden Euro pro Jahr geschwankt sind, liegen sie seit 2009 verlässlich bei 4,3 bis 4,5 Milliarden Euro jährlich. Wir haben im Koalitionsvertrag festgelegt, dass die Mehreinnahmen aus der Maut eins zu eins die Investitionen im Verkehrsetat stärken sollen. Dabei haben wir alle gedacht: Super, wenn wir mehr Geld einnehmen, können wir mehr Geld ausgeben. – Brauchen werden wir es in diesem Bereich; da sind wir uns einig.
Leider wird es, Herr Dobrindt, laut Wegekostengutachten in den nächsten Jahren zu einem Minus von 2 Milliarden Euro kommen. Da wird es schon darauf ankommen, dass wir gemeinsam handeln. Wir können diese Lücke nicht einfach so hinnehmen und sie aus Steuermitteln stopfen. Dass wir sie stopfen wollen, ist ganz klar. Wir haben auch dazu in unserem Koalitionsvertrag eine Verabredung getroffen, nämlich die, dass wir die Lkw-Maut auf alle Bundesstraßen ausweiten wollen. Das dauert; das wissen wir. Die Einnahmen von 2 Milliarden Euro pro Jahr wird man vielleicht erst am Ende dieser Legislatur generieren können,
(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was machen wir eigentlich bis dahin?)
vielleicht auch erst Anfang der nächsten Legislatur. Es sollte nachhaltig denkenden Abgeordneten aber nicht egal sein, ob diese Mehreinnahmen kommen. Denn für die Zukunft garantieren sie, und zwar nachhaltig, dass wir mehr Geld für die Infrastruktur, für unsere maroden Straßen, Brücken, Wasserwege, Schienen usw., zur Verfügung haben. Wir brauchen dieses Geld.
(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das soll ja alles nur in den Ausbau gehen! Was ist mit dem Erhalt der Straßen?)
Darum bitte ich Sie, Herr Dobrindt, sich hierfür mit ganzem Engagement einzusetzen. Thomas Oppermann hat vorhin schon gesagt: Bei allem, was Sie in diesem Bereich machen, haben Sie unsere Unterstützung.
Gerade erst haben Sie angekündigt, 1 000 weitere Kilometer vierspuriger Bundesfernstraßen einbeziehen zu wollen; das ist ausdrücklich richtig. Auch die Einbeziehung von Lkw ab 7,5 Tonnen ist richtig; wir unterstützen das. Das wird in Anbetracht des bestehenden Konzessionsvertrages auch möglich sein. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass aktuell nur ungefähr 14 000 Kilometer durch die Maut erfasst werden. Eigentlich streben wir knapp 40 000 Kilometer an. Insofern ist die Einbeziehung 1 000 weiterer Kilometer von Bundesfernstraßen natürlich ein kleiner Schritt, gleichwohl in die richtige Richtung. Ich glaube, wir müssen uns gemeinsam mit ganzem Engagement der Aufgabe widmen, die vorhandene Lücke zu schließen, damit wir in Zukunft in der Tat mehr Geld für die Verkehrsinfrastruktur in Deutschland zur Verfügung haben.
(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit der Pkw-Maut, Bettina?)
Ich freue mich auf die gemeinsame Arbeit mit Ihnen.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie steht ihr als SPD zur Pkw- Maut?)
Die Kollegin Tabea Rößner hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3290667 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 29 |
Tagesordnungspunkt | Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt |