Elisabeth ScharfenbergDIE GRÜNEN - Gesundheit
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister! Herr Laumann, schön, dass auch Sie da sind. Es ist Zeit, Tacheles zu reden über die Pflegepolitik dieser Koalition. Anders als Sie uns seit Tagen glauben machen möchten, haben wir keinen Anlass zur Freude. Ihre pflegepolitischen Aktivitäten und Ihre Streitigkeiten sind eher Anlass zur Enttäuschung.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jens Spahn [CDU/CSU]: Was für Streitigkeiten? – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Worüber streiten wir denn? Sagen Sie uns das!)
Ja, Sie wollen viel Geld für die Pflegereform in die Hand nehmen. Das ist auch dringend notwendig. Sie hatten eigentlich genug Zeit, in den unionsgeführten Bundesregierungen zentrale Reformen anzupacken, aber das ist nicht geschehen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Mehr Geld für die Pflege – ja, aber mehr Geld allein ist kein Wert an sich. Wir sind es den Pflegebedürftigen und den Versicherten schuldig, genau zu schauen, was mit dem Geld eigentlich passieren soll; denn die müssen das schließlich alles bezahlen.
Vor allem sollte man, gerade kurz vor Ostern, nicht über ungelegte Eier gackern.
(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Für die erste Stufe der Pflegereform liegt uns seit gestern ein Gesetzentwurf vor. Für den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff wird da schon mal kein Geld verwendet. Am Dienstag haben Sie, Herr Gesundheitsminister Gröhe, auf einer Pressekonferenz laut verkündet, dass nun die Erprobung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs beginnt. Eigentlich, so haben Sie gesagt, beginnt damit ja schon die Einführung des Pflegebegriffs. – Herr Gröhe, was beginnt denn mit der Erprobung? Das stimmt doch einfach nicht!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die Erprobung einer Sache ist doch nicht gleichbedeutend mit ihrer Einführung. Sie gackern nur. Ich sage Ihnen: Dieses Ei ist noch lange nicht gelegt.
(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vor 2017, das haben Sie selbst gesagt, rechnen Sie nicht mit der Umsetzung des Pflegebegriffs. Das sind aber fast noch drei Jahre! Warum denn eine weitere Erprobung? Die könnte längst abgeschlossen sein. Vier Jahre haben Sie in der schwarz-gelben Koalition einfach verplempert und nichts davon auf den Weg gebracht. Wie erklären Sie den Menschen, dass sie weiter warten müssen? Gerade Menschen mit einer Demenz oder einer geistigen Behinderung bekommen heute oft keine oder nur unzureichende Leistungen von der Pflegeversicherung. Mit dem neuen Pflegebegriff soll der Pflegebedarf dieser Menschen endlich objektiv festgestellt werden. Sie sollen endlich einen festgeschriebenen Anspruch auf Leistungen der Pflegeversicherung erhalten. Das ist bisher nicht der Fall. Daran ändern auch die Leistungsverbesserungen, die Sie mit diesem Gesetzentwurf auf den Weg bringen wollen, nichts.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich frage Sie: Warum schustern Sie am bestehenden System herum, an dem System, das Sie mit dem neuen Pflegebegriff grundlegend verändern wollen? So machen Sie die Einführung des neuen Pflegebegriffs nur noch schwieriger, übrigens auch immer teurer. Die Wahrheit ist: Sie schinden wieder einmal Zeit. Sie verteilen jetzt ein paar Wohltaten und halten sich damit ein Hintertürchen offen. Werden Sie am Ende des Tages den neuen Pflegebegriff doch noch ad acta legen?
Klar ist: Der neue Pflegebegriff ist nicht umsonst zu haben. Sollten Sie befürchten, dass der neue Pflegebegriff zu teuer wird, dann sollten Sie vielleicht jetzt über eine alternative Finanzierung nachdenken. Dazu fordere ich auch die SPD auf.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Meine Damen und Herren von der SPD, erinnern Sie sich doch an Ihre eigenen Konzepte, und setzen Sie sich für eine Pflege-Bürgerversicherung ein! Eine Pflege- Bürgerversicherung wäre solidarisch und gerecht. Durch die Einbeziehung aller Bürgerinnen und Bürger und aller Einkunftsarten würden neue finanzielle Spielräume entstehen. So könnten wir den neuen Pflegebegriff auf zumutbare Weise finanzieren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Zum Schluss: Lassen Sie endlich die Finger vom Pflegevorsorgefonds! Damit legen Sie den Beitragszahlern ein besonders faules Ei ins Nest.
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Was denn jetzt? Ungelegte Eier oder gelegte?)
Das mag von außen ganz schön gefärbt sein; aber unter der Schale, wenn der Lack ab ist, Herr Spahn, fängt es ordentlich an zu stinken. Bis gestern hatte ich die Hoffnung, dass sich Herr Spahns Märchen vom Vorsorgefonds als goldener Topf nicht durchsetzt. Gestern hat uns leider die Realität eingeholt: Der Fonds steht tatsächlich im Gesetzentwurf.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein großer Fehler!)
Alle Befürchtungen, die wir und zahlreiche Experten Ihnen seit Monaten vortragen, werden sich bestätigen. Dieser Fonds kann und wird nicht funktionieren. Er ist auch bei der Bundesbank nicht davor geschützt, zu anderen Zwecken missbraucht zu werden. Das konnten wir in einem Beitrag von Herrn Laumann lesen, der das ebenfalls bezweifelt. Das sagt übrigens auch die Bundesbank selbst, beispielsweise im Monatsbericht vom März. Herr Gröhe, ich frage Sie: Lesen Sie so etwas überhaupt? Das muss man doch wissen.
Das Entscheidende ist: Der Fonds soll bis zum Jahr 2055 wieder leer sein. Das steht so im Gesetzentwurf. Und dann? Dann muss der Beitragssatz natürlich wieder steigen. Das scheint zu Ihnen überhaupt nicht durchzudringen. Wir wissen doch schon heute, dass die Zahl der Pflegebedürftigen etwa ab 2060 leicht sinken wird. Es wird aber auch weniger junge Menschen geben, die Beiträge zahlen. Die Formel ist unterm Strich doch ganz einfach: Weniger junge Menschen zahlen für mehr alte Menschen.
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Eben! Richtiges Ergebnis! Falsche Schlussfolgerung!)
Also kann der Beitragssatz nicht sinken. Der Beitragssatz wird dann konstant auf hohem Niveau bleiben. Dieser Fonds ist nicht nachhaltig und nicht generationengerecht. Er ist ein einziger Bluff.
Herr Minister, wenn Sie den neuen Pflegebegriff wirklich wollen – das bezweifle ich, ehrlich gesagt, inzwischen –, dann können wir uns diesen Fonds nicht leisten, dann brauchen wir eine solidarische Bürgerversicherung. Steuern Sie um! Noch haben Sie die Zeit dazu.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Vielen Dank. – Maria Michalk ist jetzt die nächste Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3294197 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 30 |
Tagesordnungspunkt | Gesundheit |