Frithjof SchmidtDIE GRÜNEN - Bundeswehreinsatz EUFOR RCA (Zentralafrik. Rep.)
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die humanitäre Lage in der Zentralafrikanischen Republik ist dramatisch. Das wissen wir alle. Die staatliche Infrastruktur ist in weiten Teilen des Landes zusammengebrochen. Täglich gibt es Berichte über Vertreibungen und Morde. Ethnische Unterschiede spielen dabei eher weniger eine Rolle als religiöse Zuordnung zum christlichen oder muslimischen Glauben. Aber meist ist auch das eher ein Vorwand.
Frau Buchholz, kriminelle Banden und örtliche Warlords terrorisieren weite Teile des Landes. Es gibt meistens keine klaren Frontlinien und auch keine klar erkennbaren Gegner.
(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Was sollen da Soldaten machen?)
Das ist der Kern des Problems. Darauf geben Sie keine Antwort.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Zurufe der Abg. Christine Buchholz [DIE LINKE])
Ich räume gerne ein, dass es nicht falsch ist, wenn wir uns angesichts dieser Situation eine gewisse politische Ratlosigkeit offen eingestehen. Die Eskalation der Gewalt in den letzten Monaten spricht da auf schreckliche Weise für sich. Es darf aber nicht zur Ausrede werden, nicht einzugreifen.
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Richtig!)
Aber die große Unübersichtlichkeit der Lage und viele offene Fragen stellen uns schon vor eine schwierige Entscheidung.
Der Konflikt droht sich weiter auszubreiten. Die Krise in Zentralafrika hat eine Sprengkraft, die die gesamte Region vom Tschad bis zum Norden des Kongo destabilisieren könnte. Der Einsatz von Truppen der Afrikanischen Union und ihre Unterstützung durch Frankreich war daher richtig, reicht aber nicht aus. Deshalb ist es gut, dass die UNO jetzt ihre Verantwortung wahrnehmen will und heute ein Mandat beschlossen hat. Das ist eine gute Nachricht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Diese Krise muss auf der Ebene der Vereinten Nationen behandelt werden. Wo sonst?
Wenn es ein UN-Mandat gibt, dann müssen wir uns damit auseinandersetzen, dass die Anforderung an uns gestellt wird, das zu unterstützen. Eine dauerhafte UN-Peacekeeping-Mission ist angesichts der Situation in diesem Land dringend notwendig.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Nur so können mehr Stabilität und mehr Sicherheit für die Menschen in Zentralafrika erreicht werden; da hat die UNO recht. Es ist wichtig, dass diese Mission zustande kommt. Im September soll es so weit sein, und das ist nicht viel Zeit für die Umsetzung einer so schwierigen Mission. Deshalb ist eine Zwischenlösung für die nächsten sechs Monate absolut notwendig. Es ist richtig, dass die Europäische Union und Deutschland sich dabei engagieren, dabei helfen. Ich sage das, auch wenn heute noch nicht sicher ist, dass sie in diesem Zeitrahmen funktioniert.
Die Zentralafrikanische Republik gehört übrigens zur Gruppe der Afrika/Karibik/Pazifik-Staaten, die seit Jahrzehnten sogar eine Paritätische Parlamentarische Versammlung mit der Europäischen Union haben. Ich selber war dort mal fünf Jahre Mitglied. Es gibt für uns Europäer auch deshalb eine besondere politische Verpflichtung, der Bevölkerung dieses Partnerlandes beizustehen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Das bedeutet: In den nächsten sechs Monaten müssen die Voraussetzungen für die humanitäre Versorgung und die elementare Sicherheit auch durch Militär hergestellt werden. Es ist richtig, dass Deutschland trotz der unübersichtlichen Lage dabei hilft. Was aber nach der humanitären Nothilfe benötigt wird, ist ein langfristiges Entwicklungskonzept für Zentralafrika.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Die Stabilisierung der Sicherheitslage muss mit einem Konzept des zivilen Wiederaufbaus verbunden werden.
Dass Minister Müller nun 10 Millionen Euro an Soforthilfe für das Land und die zentralafrikanischen Flüchtlinge zur Verfügung gestellt hat, das ist sehr zu begrüßen. Aber angesichts der katastrophalen Lage ist das nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Das kann nur ein erster Schritt sein.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Der UN-Nothilfekoordinator beziffert den Bedarf des Landes gegenwärtig auf fast 550 Millionen US-Dollar. Wir können und wir müssen bei der zivilen Hilfe sehr viel mehr tun. Wir erwarten hier weitere Initiativen der Bunderegierung.
Der militärische Beitrag Deutschlands, über den wir heute zu entscheiden haben, ist dabei nur ein, wenn auch notwendiges Element, das helfen soll, die Voraussetzungen für zivile Hilfe zu stabilisieren.
(Roderich Kiesewetter [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
Meine Fraktion wird dem Antrag der Bundesregierung auf Mandatierung der Bundeswehr für diesen Einsatz deshalb mit großer Mehrheit zustimmen.
Danke für die Aufmerksamkeit.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)
Für die SPD spricht jetzt der Kollege Karl-Heinz Brunner.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Sehr verehrter Herr Präsident! Frau Bundesminister von der Leyen! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ist es nicht bittere Ironie der Geschichte, wenn Ban Ki-moon, der Generalsekretär der Vereinten Nationen, auf dem Weg zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Genozids in Ruanda in der Zentralafrikanischen Republik haltmachen muss, um die dortigen Konfliktparteien eindringlich zu ermahnen? Er sagte:
Ihnen, Kollegin Buchholz, will ich sagen: Wiederholen Sie nicht die Fehler der Vergangenheit, ziehen Sie die Lehren daraus. – Sie haben noch bis zum Ende dieser Debatte, bis zur namentlichen Abstimmung, Zeit, den richtigen Weg zu finden.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zurufe der Abg. Christine Buchholz [DIE LINKE] und Stefan Liebich [DIE LINKE])
Meine Damen und Herren, das vor wenigen Tagen auch im Hohen Hause beschworene Credo „Nie wieder Ruanda! – Nie wieder Völkermord!“ droht ausgerechnet im Jahr der Erinnerung, dem Jahr der Mahnung, zu einer Farce zu werden. Ethnisch-religiöse Säuberungen, Massenmorde ohne Sinn und Verstand sind in der Zentralafrikanischen Republik traurige Realität. Bewaffnete Truppen, nein, Horden von Christen und Muslimen stehen sich mit nur dem einen Ziel gegenüber, die jeweils anderen zu vernichten. Unaussprechliche Gräueltaten, bei denen ohne Grund in Menschenmengen geschossen wird, wodurch jene getroffen werden, die sich nicht wehren, die nicht um ihr Leben laufen können, die schutzlos sind: Kinder, Alte, Behinderte, Frauen, Schwangere.
Kolleginnen und Kollegen, ein Land, eine Gesellschaft, läuft dort Amok; es droht in kompletter Anarchie zu versinken, es befindet sich im freien Fall. Nicht nur, weil die Milizen dort schlecht organisiert sind, sondern auch, weil ihnen die Koordination fehlt, ist ein Völkermord im Augenblick noch unwahrscheinlich.
Ja, meine Kolleginnen und Kollegen, ich kann mich täuschen, ich möchte mich auch gern täuschen, wenn ich Parallelen zu Ruanda, zu Srebrenica, zu Bosnien-Herzegowina herstelle.
(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Nein, das sind sehr verschiedene Sachen!)
Doch als jemand, der in seinem Leben selbst erleben musste, was aus Hass gegenüber anderen Religionen und Ethnien und aus Rassenwahn geschieht, bin ich zutiefst davon überzeugt, dass wir Einhalt gebieten müssen, dass wir nicht neutral sein können, sondern Farbe bekennen müssen. Ich bin überzeugt, dass es Auftrag und Pflicht der internationalen Gemeinschaft ist, wenn schon die bisherige Gewalt nicht verhindert werden konnte, eine weitere Eskalation zu verhindern.
Meine Kolleginnen und Kollegen, wenn wir wirklich eine Wertegemeinschaft sein wollen, dann müssen wir dazu stehen, und dies nicht nur bei Sonntagsreden, dann dürfen wir nicht wie 1994, als die Blauhelme aus Ruanda abgezogen und Hunderttausende ihrem Schicksal überlassen wurden, nicht wie 1995 in Srebrenica, als die Blauhelme zusahen, wie 8 000 Bosniaken niedergemetzelt wurden, die Augen verschließen. Wenn wir unsere Werte ernst nehmen, dann braucht es unseren Einsatz, und zwar jetzt eines kleinen, den die Menschen dort benötigen,
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
einen Einsatz für die Afrikanische Union, die dringend unsere Hilfe braucht, einen Einsatz, um die französischen Soldaten, die bereits dort sind, dabei zu unterstützen, Gewalt zu beenden, einen Einsatz, um zu helfen, demokratische Strukturen zu schaffen und die Wahlen im Jahr 2015 vorzubereiten. Die Verantwortung, die Zivilisten zu schützen, ist Leitgedanke unseres Handelns und damit der militärischen Überbrückungsmission, deren Fokus auf medizinischer Versorgung und Lufttransport liegt.
Anders als 1995 in Rest-Jugoslawien, anders als beim Bürgerkrieg in Syrien sind sich dieses Mal die Afrikanische Union, die Vereinten Nationen, die etwa vor einer Stunde im Sicherheitsrat der Peacekeeping Mission zugestimmt haben, und die Europäische Union einig, dass Hilfe unmittelbar, jetzt und umfassend notwendig ist, um das Morden zu stoppen und das Land wieder zu stabilisieren. Nutzen wir diese Einigkeit als wichtiges Zeichen, als Zeichen einer Wertegemeinschaft, die dem sinnlosen Morden die Stirn zeigt.
Unser Versprechen im Rahmen des EU-Afrika-Gipfels vergangene Woche, an einem Afrika der Chancen mitzuwirken, ist nur glaubhaft, wenn wir jetzt unseren Willen und unsere Entschlossenheit zeigen, der afrikanischen Bevölkerung in einer ihrer dunkelsten Stunden mit allen Mitteln beizustehen. Afrika braucht afrikanische Lösungen. Afrika braucht auch afrikanische Chancen. Auch Zentralafrika! Gerade deshalb dürfen wir Zentralafrika nicht seinem Schicksal überlassen. Das sind wir den Menschen schuldig.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Das sind wir aber auch uns schuldig, wenn wir Worte wie „Nie wieder Auschwitz!“, „ Nie wieder Ruanda!“, „ Nie wieder Srebrenica!“ nicht zu leeren Worthülsen werden lassen wollen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, dem Ersuchen der Bundesregierung auf Entsendung im Rahmen eines Übergangsmandats zuzustimmen. Ich glaube, die Menschen in Afrika haben es verdient, unseren Beistand zu erhalten.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Nächster Redner ist der Kollege Roderich Kiesewetter, CDU/CSU.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 30 |
Tagesordnungspunkt | Bundeswehreinsatz EUFOR RCA (Zentralafrik. Rep.) |