Ekin DeligözDIE GRÜNEN - Arbeit und Soziales
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich fange mit der Rente an. Das derzeitige Aushängeschild Ihres Hauses ist Ihr Rentenpaket. Das kann man auch sehen: Es gab dazu rechtzeitig Werbeplakate und eine ganze Kampagne.
(Zuruf der Abg. Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Frau Ministerin, da ich jetzt die Berichterstattung in diesem Bereich übernommen habe, fange ich damit an: Diese Kampagne ist und bleibt politisch indiskutabel und haushaltsrechtlich absolut bedenklich.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Mir ist jetzt zu Ohren gekommen, dass Sie in Ihrem Haus eine weitere Kampagne planen, nämlich zum Mindestlohn – noch bevor dieser Haushalt beschlossen wird. Ich kann dazu nur sagen: Es ist völlig okay, dass wir in Deutschland keinen Shutdown wie in Amerika haben, aber wir haben Regeln, und wir haben auch Regeln beim Haushalt. Wir sind jetzt in den Verhandlungen. Es hat etwas mit Respekt vor dem Parlament und vor den Haushältern zu tun, dass man sich an diese Regeln hält und nicht gutsherrenartig über Mittel für Öffentlichkeitsarbeit befindet.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE])
Aber kommen wir zur Sache selber. Das Rentenpaket belastet den Einzelplan 11 durch die zurückgenommene Beitragssatzsenkung schon jetzt mit rund 1,5 Milliarden Euro. Dazu werden die Belastungen der Beitragszahler selbst kommen sowie die Belastungen der Länder- und Kommunalhaushalte, die wir noch gar nicht beziffern können. Die Leistungsausweitung selber kostet 9 Milliarden Euro jährlich. Herr Kollege Schiewerling, ich weiß nicht, ob ich Sie richtig verstanden habe. Das Problem ist: Die Mittel kommen nicht aus den Steuermitteln, sondern sie kommen von den Beitragszahlern. Die werden das gegenfinanzieren. Das Risiko einer Frühverrentungswelle etwa – wir haben im Haushaltsausschuss gehört, wozu das alles führen kann – ist bei diesen Kosten noch gar nicht berücksichtigt. Es gibt schon jetzt Zahlen, nach denen sich das Ganze bis zum Jahr 2030 auf 175 Milliarden Euro summieren wird. Das Ganze ist nicht sachgerecht finanziert. Das Schlimmste ist: Es geht definitiv nicht die drängendsten Probleme unserer Gesellschaft an.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich will das für Sie ein bisschen konkretisieren. Sie haben, Frau Ministerin, jetzt und auch bei einer anderen Debatte zum Rentenpaket von der Anerkennung von Lebensleistung gesprochen. Armut in Deutschland ist im Augenblick jung und weiblich. Sie trifft die alleinerziehende Mutter, und sie trifft Eltern von Kindern. Armut in Deutschland wird älter, bleibt aber weiblich. Viele von den Frauen, die in Armut hinein älter werden, werden 45 Beitragsjahre nicht erreichen, weil sie Kinder erzogen oder jemanden gepflegt haben oder aus anderen Gründen nicht durchgängig gearbeitet haben.
Sie werden aber wohl auch leider nichts von Ihrer Mütterrente haben, weil in dem Moment, wo sie Sozialleistungen in Anspruch nehmen, etwa Grundsicherung beziehen, Witwenrente bekommen oder auch nur Wohngeld erhalten, diese Leistungen gegengerechnet werden. Das heißt, sie werden mit Nullkommanullnull aus Ihrem Paket herausfallen. Und wer redet hier von der Anerkennung von Lebensleistung?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wer redet hier von der Verantwortung gegenüber diesen Frauen? Auch sie haben eine Anerkennung verdient. Wir Grüne sind für eine Garantierente, weil wir die Verantwortung für soziale Gerechtigkeit ernst nehmen.
Wenn ich mir Ihr Paket angucke, dann muss ich feststellen: Die Lebensleistungsrente wird auf der Zeitschiene erst einmal verschoben, wenn sie in dieser Wahlperiode überhaupt noch kommt. Leistungen im Falle von Erwerbsminderung, Rehabilitationsleistungen – das alles kommt doch vorn und hinten nicht hin. Genau diese Menschen werden bei Ihnen leer ausgehen. Deren Kinder wiederum werden das Ganze gegenfinanzieren.
(Abg. Dr. Martin Rosemann [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)
– Bitte schön, Herr Kollege.
Ich sehe, dass die Zwischenfrage schon gestattet worden ist. Deshalb haben Sie das Wort, Herr Kollege.
(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an den Abg. Dr. Martin Rosemann [SPD] gewandt: Lassen Sie es lieber, Herr Kollege! Das geht nicht gut für Sie!)
Liebe Frau Pothmer, die Debatte ist ein bisschen langweilig. Deswegen muss ich ein bisschen Würze hineinbringen.
Ich fand meine Rede nicht langweilig.
Liebe Frau Kollegin Deligöz, vielen Dank, dass Sie mir die Zwischenfrage gestatten. – Meine Frage lautet wie folgt: Können Sie mir zustimmen, dass die Legislaturperiode nicht 100 Tage, sondern vier Jahre dauert und dass die Große Koalition genau die Probleme, die Sie angesprochen haben, zum Beispiel die solidarische Lebensleistungsrente, als weiteres Rentenpaket in ihren Koalitionsvertrag aufgenommen hat?
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von welchem Geld denn?)
Lieber Herr Kollege, es wäre schön, wenn ich sagen könnte: Ja, Sie haben noch drei Jahre Zeit.
(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wenn die in den drei Jahren noch einmal so viel Geld ausgeben?)
Aber das, was Sie hier machen, ist leider keine Ausnahme. Sie bedienen sich der Beitragsgelder nicht nur im Rentensystem, sondern auch im Gesundheits- und Pflegebereich; das hat Methode. Deshalb kann man feststellen: Sie konsolidieren den Haushalt, indem Sie einfach Mittel aus den sozialen Sicherungssystemen herausnehmen, um gut dazustehen.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Deshalb glaube ich Ihnen das nicht. Sie sind in diesem Fall nicht glaubwürdig.
Ich nenne ein anderes Beispiel: Angesichts dessen, dass Sie im Moment so viel Geld verfrühstücken, wissen wir doch beide, dass uns dies früher oder später auf die Füße fallen wird. Wir werden es gegenfinanzieren müssen. Dann haben Sie nur zwei Alternativen: Entweder Sie nehmen es aus dem Bundeshaushalt – dann können Sie Ihre Konsolidierung nicht weiterführen – oder aus den Beitragsgeldern. Das werden dann die Kinder der Mütter finanzieren müssen.
(Abg. Dr. Martin Rosemann [SPD] nimmt wieder Platz)
– Ich bin noch nicht ganz fertig.
(Dr. Martin Rosemann [SPD]: Sie beantworten die Frage nicht!)
Sie werden den Unterhalt für ihre Mütter gewährleisten müssen, und sie werden erhöhte Beiträge und Steuern zahlen müssen. Das wird die Konsequenz Ihrer Politik sein. Mir fehlt der Glaube, dass es in den nächsten drei Jahren viel besser werden wird.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Kommen wir zurück. Sie haben sich überall in den Sozialversicherungssystemen bedient. In einem Bereich schlagen Sie nicht zu. Das ist der Arbeitsmarkt. Warum? Weil dort die Bundesmittel schon ausgeschöpft sind. Sehen Sie sich einmal die Rücklagen an, die es in der Bundesagentur gibt. Es gibt gerade einmal eine Rücklage von 2,5 Milliarden Euro, also einen kleinen Puffer. Wenn es nur eine leichte Eintrübung am Arbeitsmarkt gibt – ich weiß, Sie gehen davon aus, dass alles super werden wird –, dann werden wir in diesem Land weder ausreichend Kurzarbeitergeld zahlen können noch anderweitig adäquat darauf reagieren können. Sie beuten die Mittel der Sozialkassen bzw. der Sozialversicherung auf Kosten der Menschen aus. Sie nehmen uns damit die Handlungsfähigkeit im Falle einer Krise bzw. sogar im Falle eines Ansatzes einer Krise. Eine höhere Rücklage wäre notwendig, um überhaupt reaktionsfähig zu sein.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sehen wir uns Ihre Sozialpolitik an. Die Eingliederungshilfe wird auf die ganz lange Bank geschoben. Den Kommunen wird eine Kompensation zugesagt, und dann werden sie gleich damit getröstet, dass es in diesem Jahr leider nichts wird und sie vielleicht im nächsten Jahr kommen wird.
(Kerstin Griese [SPD]: Stimmt doch gar nicht!)
Schauen wir uns die Bereiche Arbeitsmarkt, Armutsbekämpfung und Inklusion an. Hier müssen wir feststellen: Da ist leider nicht viel dahinter. Ehrlich gesagt, Frau Ministerin, war ich von Ihrer Antwort auf die Frage der Kollegin Zimmermann von den Linken enttäuscht.
(Kerstin Griese [SPD]: Sie hat doch ausführlich geantwortet!)
Frau Zimmermann hat zwar eine komplizierte und detaillierte Frage gestellt, aber der Grundtenor war doch: Was tun Sie gegen eine 1 Million Langzeitarbeitslose in diesem Land? Ihre Antwort: „Aber 79 haben etwas davon“ reicht nicht aus. Als Ministerin müssen Sie Konzepte vorlegen. Als Ministerin müssen Sie uns sagen, welche Ideen Sie haben. Sie dürfen sich nicht mit detailreichem Klein-Klein auseinandersetzen. Wir wissen, dass das, was im Haushaltsentwurf steht, hinten und vorne nicht ausreichen wird.
Kommen wir zu einem anderen Programm, zu MobiPro-EU. Wie groß war die Freude – zugegebenermaßen vorwiegend von Ihrer Vorgängerin und der Kanzlerin –, als sie dieses Programm mitten im Wahlkampf nach außen getragen haben! Haben wir nicht Europa damit versprochen, dass wir Jugendliche ausbilden werden? Heute bekam ich die Antwort: Lediglich ein Bruchteil der Anfragen wird beantwortet. Eigentlich müssten Sie doppelt so viele Mittel zur Verfügung stellen, um auch nur im Ansatz einem Teil der Anfragen, die es gibt, überhaupt entsprechen zu können.
(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das zeigt doch, wie toll das Programm ist!)
Sie kündigen im Internet großartig an: „The Job of my Life.“ Heraus kommt ein „No Job of my Life“; denn nur ein Bruchteil der Menschen, die sich dafür interessieren, wird davon etwas haben.
Frau Ministerin, es liegt an Ihnen, ob dies der Job Ihres Leben wird. Im Moment sehen wir leider keine Ansätze dazu.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Für die Sozialdemokraten erteile ich das Wort dem Kollegen Ewald Schurer.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3294409 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 30 |
Tagesordnungspunkt | Arbeit und Soziales |