Karl-Georg WellmannCDU/CSU - Aktuelle Stunde zur Lage in der Ukraine
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte Montagabend Gelegenheit, mit Premierminister Jazenjuk zu sprechen. Ich habe ihm als Erstes zu den 40 Toten in Odessa kondoliert. Ich habe dies, ohne Sie zu fragen, im Namen des Bundestages getan.
(Beifall des Abg. Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE])
Ich denke, dass es richtig ist, dass wir alle unsere Betroffenheit und Trauer über diese 40 toten Menschen zum Ausdruck bringen. Ich habe dem Premierminister gesagt: Wir erwarten, dass dieser Vorgang aufgeklärt wird und dass es eine internationale Beteiligung an der Untersuchung gibt. – Er hat dies zugesagt genauso wie Herr Poroschenko. Es ist wichtig, dass nicht im Getöse der Propaganda untergeht, was dort passiert ist.
Die Situation bereitet uns große Sorgen. Für uns lautet die entscheidende Frage: Wie bewerten wir die Position Russlands in Europa, und welche Schlüsse ziehen wir daraus? Es bleibt dabei: Die Zusammenarbeit ist richtig und wichtig. Wir wünschen uns, dass Russland in Europa eine konstruktive Rolle spielt und die europäischen Verhältnisse konstruktiv mitgestaltet. Das liegt objektiv in unserem Interesse. Aber wir müssen auch den Tatsachen ins Auge sehen. Die Tatsachen sind, dass in der Ukraine ein asymmetrischer Krieg stattfindet. In der Ostukraine sind russische Spezialeinheiten unterwegs. Russische Panzer sind auf der Krim über fremde Grenzen gerollt. Putin hat das inzwischen zugegeben. Wir dürfen uns nicht weigern, dieses anzuerkennen, nur weil dies unserem Ruhebedürfnis widerspricht oder deutscher Sentimentalität.
Wir dürfen auch nicht die Augen vor einer massiven antiwestlichen Propaganda der russischen Eliten verschließen.
(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Und vor der antirussischen Propaganda hier!)
Schauen Sie sich das russische Fernsehen an, und stellen Sie sich vor, dass sich ein Iwan Normalverbraucher in der russischen Provinz nur über das russische Fernsehen informiert! Dieser bekommt doch den Eindruck, die Waffen-SS sei schon wieder unterwegs und die Faschisten kämen, um Russland zu erobern. So ist die widerliche Propaganda in Russland.
(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Und was ist mit der Propaganda hier?)
Ich bin überrascht von dem Ausmaß an Chauvinismus,
(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: In Deutschland!)
an Verachtung und an Arroganz.
(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Bei Springer!)
Russland ist wieder das Land, das Angst und Schrecken verbreitet.
(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Natürlich!)
– Bei Ihnen, Herr Dehm, ist das alte Schule. Ich weiß ja.
(Zuruf von der LINKEN)
– Ja doch. Der eine oder andere von Ihnen hat noch die Parteihochschule in Moskau besucht.
(Lachen bei der LINKEN)
Herr Gehrcke, ja? Stellvertretender DKP-Vorsitzender. Lassen wir das lieber.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wo war denn Frau Merkel? Wo war denn die? – Keine Antwort!)
Nach der schrecklichen Gewalt des 20. Jahrhunderts hat es bei uns nach der Wende nicht an Empathie und an Willen zur Verständigung mit Russland gefehlt. Es gab viel Empathie bei uns. Es gab den positiven Mythos aus mehreren Hundert Jahren, eine gute Geschichte vom deutsch-russischen Verhältnis: von Musik, Literatur, Kunst, Wissenschaft und Unternehmertum. Die russische Literatur des 19. Jahrhunderts ist voll von Beispielen der deutsch-russischen Symbiose. Es ist richtig, dass kluge Außenpolitik immer die Sorgen der anderen im Blick haben muss.
(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Lassen Sie doch mal Herrn Mißfelder reden!)
Aber wir dürfen uns auch nicht auf Legenden einlassen. Es gibt keine Einkreisung Russlands durch die NATO.
(Lachen bei der LINKEN)
Die Beitrittsländer wollten als Erstes in die NATO. Sie wollten Sicherheit vor Russland, sie wollten weg von Russland. Keiner von uns hat sie gezwungen, Mitglied der NATO oder der Europäischen Union zu werden.
(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Niemand hat Sie gezwungen, sie aufzunehmen!)
Wir dürfen nicht die Augen davor verschließen, dass die russische Regierung im Moment einen neuen Werterahmen proklamiert, einen sehr konservativen, reaktionären Werterahmen. Es handelt sich um Versatzstücke aus Zarenreich, Orthodoxie, Großmachtchauvinismus und leider auch imperialen und völkischen Elementen, die auch viel mit Fremdenfeindlichkeit und Homophobie zu tun haben. Ich darf einmal sagen: Es wird uns gegenüber massiv Vertrauen verspielt, wenn die russische Regierung über die – wörtlich – Verteidigung der positiven Leistungen Stalins spricht. Übrigens ist eine rechte Internationale mit Lichtgestalten wie Le Pen und Geert Wilders aus Holland auszumachen.
Der eine oder andere ist im Moment unterwegs, redet klug über die Ukraine und gibt seine Urteile ab. Diejenigen, die ich meine – ich sehe Herrn Ströbele gerade nicht bei dieser Diskussion –, sind noch nie in der Ukraine gewesen und reden wie der Blinde von der Farbe. Vielleicht nimmt der eine oder andere einmal an einer Wahlbeobachtungsmission der OSZE in der Ukraine teil, wie ich das am 25. Mai mache. Die Solidarität mit der Ukraine ist keine menschenfreundliche Geste, sondern es geht um die Selbstverteidigung des hohen völkerrechtlichen Guts der Unverletzlichkeit von Staaten und von Grenzen.
(Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Bei Jugoslawien haben Sie das vergessen!)
Wenn Europa der Zerstörung der Ukraine tatenlos zusähe, würde es sich aufgeben.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Lassen Sie mal Herrn Mißfelder reden!)
Als nächster Rednerin erteile ich der Kollegin Inge Höger, Fraktion Die Linke, das Wort.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3387424 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 32 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde zur Lage in der Ukraine |