Christoph BergnerCDU/CSU - Friedliche Revolution in der DDR
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Hahn, ich habe Ihrer Rede sehr aufmerksam zugehört, auch weil Sie der Einzige aus den Reihen der Linken sind, der zu dieser Debatte spricht. Ich will schon sagen, dass Ihre Aussagen ein wenig glaubwürdiger gewesen wären, wenn Sie bei der Aufzählung der damals handelnden Personen nicht nur die Rollen von Stanislaw Tillich und von Gregor Gysi beleuchtet hätten, sondern auch gesagt hätten – das haben Sie leider verschwiegen –, dass der Ehrenvorsitzende der PDS, Hans Modrow, wegen Anstiftung zur Wahlfälschung rechtskräftig verurteilt wurde. Auch das zu sagen, hätte zu einem vollständigen Bild gehört.
(Beifall bei der CDU/CSU – Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Hört! Hört!)
Die Debatte zeigt, dass das Datum, an das wir heute erinnern, untrennbar in den Kontext der Erinnerung an die friedliche Revolution vor 25 Jahren gehört. Das, was sich heute vor 25 Jahren ereignete, war ein Meilenstein, wahrscheinlich sogar ein Wendepunkt in der Geschichte der friedlichen Revolution.
Es ist richtig, Kollege Tiefensee, hier die Zivilcourage zu würdigen. Ich finde, die Debatte ist ein guter Anlass, diejenigen zu würdigen, die damals den Mut und die Selbstlosigkeit hatten, die Wahlergebnisse systematisch auf der Grundlage des bestehenden Wahlgesetzes zu überprüfen. Wir sollten vielleicht ein wenig vorsichtig sein, an dieser Stelle schon von „Volk“ zu sprechen. Denn nach meiner Erinnerung waren es nicht so sehr viele, die dies taten und die dann zum Beispiel bei mir zu Hause in Halle nach Feststellung offenkundiger Ungereimtheiten in einem offenen Brief an die gewählten Kommunalvertreter darauf aufmerksam machten, dass sie bei der Wahrnehmung ihres Mandates doch bedenken sollten, dass sie im Zuge eines offenkundig gefälschten Wahlergebnisses ins Amt gekommen sind. Oder ich denke an diejenigen, die in Leipzig spontan reagierten und am Abend der Wahlfälschung demonstriert haben.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Meine Damen und Herren, es hat bis zum heutigen Tage nicht an Versuchen gefehlt, diese Wahlfälschungen zu bagatellisieren. Die Versuche erstreckten sich auch auf die Prozesse gegen die Wahlfälscher. Weil wir alle die Person kennen, erlaube ich mir, Otto Schily zu zitieren, der Strafverteidiger der Wahlfälscher in Dessau war. Er hat eine interessante Argumentation – wohlgemerkt, in seiner Verteidigerrolle; ob es seine Überzeugung war, sei dahingestellt – aufgebracht:
Will sagen: Weil die Wahlen in der DDR keine wirklichen Wahlen waren, gab es auch keine strafrechtlich zu verfolgenden Wahlfälscher.
(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Unglaublich!)
Es hat erst der Rechtsprechung des BGH bedurft, um klarzustellen, dass das Strafrecht der DDR, das ja eine Verfolgung von Wahlfälschungen beinhaltete, auch in diesem Fall der Wahlfälschungen zu Recht anzuwenden ist.
Ich kann die Argumentation von Otto Schily in einem Punkt durchaus verstehen. Diese Wahlen waren absurdes Theater: Eine Einheitsliste wurde unter Aufsicht erstellt. Es gab keinerlei Möglichkeiten zu Alternativentscheidungen. Es ist surreal, einen solchen Vorgang Wahlen zu nennen.
Auch wenn man zu dem Schluss kommt, dass es sich letztendlich um einen Akklamationsritus einer selbstgefälligen Staatsmacht gehandelt hat – das lässt sich durch viele Zitate belegen –, so sollten wir doch bedenken, wie bedeutsam es war, dass nicht alle bei diesem Ritus mitgemacht haben.
Ich selbst habe relativ lange gebraucht – nicht bis 1989, aber bis weit in die 80er-Jahre hinein –, bis ich die Notwendigkeit erkannte und den Mut fand, in die Wahlkabine zu gehen und den vorliegenden Zettel so zu behandeln, dass ich hoffen konnte, dass er als Gegenstimme gewertet wurde. Das war in der DDR gar nicht so einfach. Man musste sich belehren lassen, dass jeder Name einzeln durchzustreichen war. Alles andere wurde nicht als Gegenstimme gewertet.
Mit diesem Schritt habe ich mich eingereiht in die Zahl von Leuten, die wohl erkannt haben, dass diese Wahlen kein Instrument der Volkssouveränität waren und dass es überhaupt keine Entscheidungsalternativen gab, über die man reden konnte. Die Gegenstimme hatte aber deshalb eine Bedeutung, weil die Wahlen eine Loyalitätsabforderung des totalitären Staates war. Sie waren sozusagen ein Instrument zur organisierten Unterwerfung eines Volkes geworden.
Herr Hahn, weil es das Neue Deutschland heute noch gibt, habe ich die Ausgabe des Neuen Deutschlands vom 8. Mai 1989 mitgebracht.
(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie das so lange aufgehoben?)
Dort stand unter der Überschrift „Eindrucksvolles Bekenntnis zu unserer Politik des Friedens und des Sozialismus“, dass 98,85 Prozent für die Kandidaten der Nationalen Front gestimmt hätten. Das ist das Unterwerfungsdokument, um das es ging.
Herr Kollege Bergner, denken Sie an die Redezeit.
Ja. – Um zu verschleiern, dass es Menschen gab, die sich nicht unterwerfen ließen, und um zu verhindern, dass die Zahl dieser Menschen transparent wurde – sie hätten ja Vorbild werden können; letztendlich sind sie 1989 Vorbild geworden –, hat man Wahlen gefälscht. Deshalb war der Kampf gegen die Wahlfälschung so bedeutsam, und nicht deshalb, weil die Entscheidung, um die es ging, so bedeutsam war. Das Bekenntnis derjenigen, die sich der Unterwerfung durch den Staat verweigert haben, wurde daher wegen seiner gefürchteten Beispielwirkung über Jahrzehnte verschwiegen.
Das ist ein wunderbarer Schlusssatz.
Ich möchte noch ein letztes Mal, Frau Präsidentin, auf Herrn Hahn eingehen. Sie haben die Frage gestellt: Warum war die SED mit 88 und 89 Prozent nicht zufrieden? Sie war deshalb nicht zufrieden, weil es bedeutet hätte, dass es 11 bis 12 Prozent gab, die das Ritual nicht mitmachten. Beim nächsten Mal wären es 20, 30 oder 40 Prozent gewesen. Das ist 1989 endlich so geschehen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Hiltrud Lotze, SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3387600 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 32 |
Tagesordnungspunkt | Friedliche Revolution in der DDR |