07.05.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 32 / Tagesordnungspunkt 3

Hiltrud LotzeSPD - Friedliche Revolution in der DDR

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In meinem Wahlkreis Lüchow-Dannenberg und Lüneburg liegt die Gemeinde Amt Neuhaus, direkt am östlichen Ufer der Elbe, die bis 1989 Niedersachsen und Mecklenburg und damit auch die Bundesrepublik und die DDR voneinander trennte.

Solange sich die Menschen dort erinnern konnten, gehörte die Gemeinde Amt Neuhaus zur Provinz Hannover. 1945 haben die Briten die Gemeinde an die Sowjetische Besatzungszone übergeben, weil es zu schwierig war, die Gemeinde über die Elbe hinweg mit Lebensmitteln und all dem, was nötig war, zu versorgen und zu unterstützen. 1952 kam dann die Sperrzone, und es wurde ein übermannshoher Zaun errichtet. Von da an konnten die Menschen in dieser Gemeinde nicht mehr auf ihre Elbe schauen. Es kam die Aktion Ungeziefer mit den Zwangsaussiedlungen; das alles ist Ihnen bekannt. 1993 kam die Gemeinde durch einen Staatsvertrag zurück nach Niedersachsen.

Es war, wie es eine Zeitzeugin beschreibt, eine Welt, wie mit Brettern zugenagelt, bis am 9. November 1989 die Mauer fiel, in den Wochen danach die Zäune abgebaut wurden und der Blick auf die Elbe wieder frei war. Für die Menschen in Amt Neuhaus und auch an anderen Stellen der Elbe war dieser Blick auf die Elbe der Inbegriff der Freiheit.

Ich erinnere mich noch sehr genau an mein eigenes Gefühl und an das, was ich am 9. November und an den Tagen danach erlebt habe. Die Menschen haben das Gefühl der Freiheit quasi aufgesogen. Wir alle haben eine unbändige, tiefe und ehrliche Freude empfunden über das Ergebnis der friedlichen Revolution, die unser Land und damit ganz Europa nachhaltig verändert hat. Bis dahin war es ein langer Weg; das ist schon angedeutet worden. Der Weg begann – das möchte ich an dieser Stelle deutlich sagen – mit Willy Brandt und der neuen Ostpolitik.

Ein weiterer wichtiger Markstein war der 7. Mai 1989, an den wir heute erinnern. Es war der Beginn der friedlichen Revolution und der Stein, der alles ins Rollen brachte. Das DDR-Regime wurde an diesem Tag endgültig des Wahlbetrugs entlarvt und verlor bei den Menschen jede noch verbliebene Glaubwürdigkeit. Mutige Menschen – das ist schon mehrfach gesagt worden – wollten sich nicht länger für dumm verkaufen lassen. Sie sind in die Wahllokale gegangen und haben die Auszählung der Stimmen beaufsichtigt. So konnten sie am Ende des Tages beweisen, was vorher schon viele vermutet haben: dass die fast 99 Prozent Zustimmung für die Einheitsliste eine Lüge waren. Der lautstarke Protest, der sich an diesem Wahlbetrug entzündete, war der erste Schritt zur Selbstbefreiung. Diese Selbstbefreiung hatte noch 1989 für viele einen hohen Preis, indem sie verfolgt und bespitzelt wurden und zum Teil noch in Haft kamen. Die Menschen haben aber diesen hohen Preis um der Freiheit willen gerne in Kauf genommen. Es war der Wille zur Freiheit, der sich an diesem Tag manifestiert hat und die deutsche Einheit am Ende ermöglicht hat. Auch ich sage es an dieser Stelle wirklich gerne, liebe Kolleginnen und Kollegen: Der heutige Tag ist ein Anlass, diesen Menschen für ihr Engagement und ihren Mut Dank zu sagen. Herzlichen Dank!

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Dass wir heute an diesen Tag erinnern und die Geschehnisse würdigen, ist richtig und wichtig. Wir können aber nicht in dieser Rückschau verharren. Auch ich möchte deswegen den Blick in die Gegenwart lenken. Dass wir in einer Demokratie leben und an freien Wahlen teilhaben können, ist nicht selbstverständlich. Wir haben hier gehört: Auch in der Zeit der Nazidiktatur haben die Menschen erlebt, was es bedeutet, nicht frei wählen zu können. Die Demokratie und die Freiheit, die wir heute haben, sind hart erkämpft, und sie haben vor 25 Jahren buchstäblich die Mauern eingerissen.

Heute ist unsere Freiheit so groß wie nie zuvor. Aber wie steht es um den Willen der Menschen, unsere Demokratie zu verteidigen und sie lebendig zu halten? Unsere Demokratie ist für viele eine banale Selbstverständlichkeit geworden, um die sie sich nicht mehr bemühen. Wir sind mit sinkender Wahlbeteiligung, mit einem Rückzug der Menschen ins Private und mit Gleichgültigkeit konfrontiert. Die Menschen nehmen sich eben auch die Freiheit – das ist die Kehrseite der Medaille –, sich nicht an der Mitgestaltung unserer Gesellschaft und an Wahlen zu beteiligen. Damit können wir uns aber nicht zufriedengeben. Wenn nur 50 Prozent der Menschen zu einer Kommunalwahl gehen, dann ist das für uns ein Hinweis – darauf hat mein Kollege Wolfgang Tiefensee eben schon ausführlich und gut hingewiesen –, dass wir diesen Mut zur Demokratie, den wir vor 25 Jahren hatten, wieder wecken müssen.

Wo ist sie denn hin, die Begeisterung für die Freiheit, die Begeisterung, Verantwortung zu übernehmen, die Begeisterung für die Demokratie, und wie wecken wir sie vor allen Dingen wieder? Das ist die entscheidende Frage, die wir uns im Zusammenhang mit dem Erinnern und Gedenken an die friedliche Revolution stellen müssen. Ich freue mich auf diese Debatte und halte sie für sehr wichtig. Ich möchte aber trotzdem damit schließen, dass ich kein besseres System als unsere Demokratie sehe.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt der Kollege Arnold Vaatz, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3387601
Wahlperiode 18
Sitzung 32
Tagesordnungspunkt Friedliche Revolution in der DDR
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