Dagmar SchmidtSPD - Soziales Europa
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn möchte ich einen doppelten Dank an die Partei Die Linke aussprechen. Erstens möchte ich mich dafür bedanken und ich bin froh, dass ich ein paar Dinge, die Ihre Partei in den letzten Wochen und Monaten an europafeindlichen Äußerungen verlautbart hat, in Ihrem Antrag nicht lesen musste, und dass sich offensichtlich diejenigen durchgesetzt haben, die die EU für ein demokratisches Reformprojekt halten und daran mitwirken und Verantwortung übernehmen wollen. Das ist gut so.
(Beifall bei der SPD)
Zweitens möchte ich mich dafür bedanken, dass Sie uns mit Ihrem Antrag die Chance geben, über das soziale und demokratische Europa zu reden, ein soziales und demokratisches Europa, das seit fast 100 Jahren Vision und programmatisches Ziel der SPD ist. Ich möchte zwei für uns wichtige Wegmarken benennen.
Die SPD hat bereits 1925 in ihrem Heidelberger Programm zwischen zwei Weltkriegen und in großer Weitsicht die Schaffung der europäischen Wirtschaftseinheit und der Vereinigten Staaten von Europa gefordert – im Wissen um die Grenzen des Nationalstaates und des nationalstaatlichen Handelns und im Wissen um die gemeinsamen Interessen der Arbeiterinnen und Arbeiter diesseits und jenseits deutscher Grenzen.
Kanzler Willy Brandt hat in seiner Regierungserklärung 1969 mit den Worten „Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein und werden im Inneren und nach außen“ nicht nur einen Maßstab für deutsche Politik gesetzt, sondern auch
(Abg. Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] stößt gegen die Verblendung seines Sitzplatzes, die daraufhin zu Boden fällt)
– alles ganz geblieben? –
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die Grünen bauen ab!)
und gerade beim Fortschreiten der europäischen Integration einen Maßstab für europäische Politik: Wir Europäerinnen und Europäer wollen gute Nachbarn werden – im Inneren und nach außen.
Sehr geehrte Damen und Herren, Europa ist nicht nur ein Friedensprojekt – es war schon immer auch ein Projekt, gemeinsam und solidarisch den Wohlstand zu sichern. Sozialer Fortschritt – das hat die SPD in ihrer 150-jährigen Geschichte leidvoll erfahren müssen – kommt nicht von heute auf morgen und erst recht nicht von allein. Die soziale Integration Europas ist ein Prozess, ist ein Weg, auf dem schon viel erreicht wurde, aber vor allem noch vieles zu erledigen ist.
Nichts zeigt das deutlicher als die Folgen der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise und die mit ihnen einhergehende zunehmende Abwendung von Europa. Das soziale Europa, das Europa der sozialen Marktwirtschaft gelingt nur, wenn wir gemeinsam die Ursachen der Krise bekämpfen. Die Armut steigt, während auf den Finanzmärkten wieder die Champagnerkorken knallen und sogenannte Ramschanleihen im Euro-Raum schon wieder ein Volumen von 90 Milliarden Euro erreichen und damit einen neuen Rekord erzielen. Aber für Bankentrennung, für Finanztransaktionsteuer, für Bankenunion und Finanzmärkte, die der Realwirtschaft dienen, für einen gemeinsamen Rahmen für gerechte Steuern, für die Beendigung von Steuerdumping und dafür, das Land der Gewinne auch zu einem Land der Steuereinnahmen zu machen, dafür kann man am 25. Mai sein Kreuz machen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Das soziale Europa gelingt nur, wenn wir gemeinsam Arbeitslosigkeit bekämpfen und in Arbeit in Europa investieren. Jeder zehnte Europäer ist arbeitslos, jeder vierte Jugendliche und in Ländern wie Griechenland, Spanien und Kroatien mehr als jeder zweite. Ein sozial gespaltenes Europa wollen wir nicht. Deswegen gilt es, einiges in Ordnung zu bringen. Das betrifft existenzsichernde Mindestlöhne in allen europäischen Ländern, gleiche Lohn- und Arbeitsbedingungen am gleichen Ort, starke Arbeitnehmerrechte, starke europäische Gewerkschaften und fairen Wettbewerb statt Sozialdumping, gute Ausbildung und Perspektiven für junge Menschen. Alles das kann man umsetzen, wenn der politische Wille und die politische Mehrheit dafür da sind.
(Beifall bei der SPD)
Das soziale Europa gelingt nur mit einer starken europäischen Wirtschaft, die gute und sichere Arbeitsplätze schafft. Dafür braucht es Investitionen in Forschung, Bildung, Infrastruktur und einen starken Mittelstand. Allein in meinem Wahlkreis, dem Lahn-Dill-Kreis in Mittelhessen, machen die Exporte nach Europa 1 Milliarde Euro Industrieumsatz aus. Das sind 5 000 Arbeitsplätze, die direkt an der Kaufkraft in den EU-Staaten, der Wirtschaftskraft in unseren Nachbarländern und den Vorteilen des Binnenmarktes hängen. Da fällt die Überzeugungsarbeit für Europa leichter.
Aber wir müssen die sozialen Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass alle Menschen in Europa eine Perspektive auf Wohlstand haben und die Chancen einer europäischen Integration auch für sich erkennen. Wer die Menschen auf dem Weg nach Europa mitnehmen möchte, der muss das soziale Europa bauen. Denn das Friedensprojekt und der starke Binnenmarkt brauchen das soziale Fundament und das solidarische Handeln, um zukunftsfähig zu sein. In diesem Sinne wollen wir gute Nachbarn sein – im Inneren und nach außen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Als nächstem Redner erteile ich das Wort Kollegen Dr. Martin Pätzold, CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3390628 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 33 |
Tagesordnungspunkt | Soziales Europa |