Harald WeinbergDIE LINKE - Soziales Europa
Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! In der EU-Grundrechtecharta, Artikel 35 – Gesundheitsschutz –, heißt es:
Das ist in Europa nicht gegeben – im Gegenteil.
Nehmen wir das Beispiel Griechenland. Die Kürzungspolitik der Troika hat zu einem faktischen Zusammenbruch der Gesundheitsversorgung in Griechenland geführt. In der Troikavereinbarung wird unter anderem vorgeschrieben, dass der griechische Krankenversicherungsträger die Zahl der Ärzte zweimal um 10 Prozent reduzieren muss. Wegen dieser Vorgabe wurden im Februar 2014 alle 350 öffentlichen Polikliniken vorläufig geschlossen. Ohne jedwede gesundheitswissenschaftliche Expertise wurde festgelegt, dass die öffentlichen Gesundheitsausgaben auf 6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes gesenkt werden müssen; mittlerweile sind die Ausgaben weiter gesunken, weil das Bruttoinlandsprodukt weiter sinkt.
Der damalige griechische Gesundheitsminister sagte 2011, dass die Kürzungen im Gesundheitssystem nicht mit dem Skalpell, sondern mit dem Schlachtermesser vorgenommen würden, übrigens unter aktiver Beteiligung der deutschen Bundesregierung und des deutschen Bundesgesundheitsministeriums. Es gibt mittlerweile eine Fülle an wissenschaftlichen Untersuchungen zu den Auswirkungen der Kürzungsdiktate auf den Gesundheitszustand der griechischen Bevölkerung. Die Ergebnisse sind eindeutig und verheerend. Ein Buch von zwei Public-Health-Wissenschaftlern, das gerade auf Deutsch erschienen ist, trägt dann auch bezeichnenderweise den Titel Sparprogramme töten, und das ist bitterernst gemeint.
Einige Beispiele: Die Zahl der HIV-Neuinfektionen unter Drogenabhängigen ist von 9 im Jahre 2008 auf 484 im Jahre 2012 gestiegen, weil keine sauberen Spritzen mehr kostenlos ausgegeben werden. Die Zahl der Neuinfektionen mit Tuberkulose hat sich nach 2012 binnen eines Jahres verdoppelt. Die Säuglingssterblichkeit ist zwischen 2008 und 2010 um 43 Prozent angestiegen. Circa 30 Prozent der griechischen Bevölkerung sind nicht mehr krankenversichert, haben keinen Zugang zu einer Gesundheitsversorgung. Zur Notfallversorgung aller Menschen, auch der Nichtversicherten, sagte der aktuelle griechische Gesundheitsminister im Februar 2014, dass alle Patienten in dringlichen Fällen eine Behandlung erhalten würden, aber eine Krebserkrankung stuft er nur im Endstadium als dringlich ein.
Was wir also in Griechenland dringend brauchen, ist die Wiederherstellung einer medizinischen Grundversorgung.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Stattdessen wird jedoch unter Federführung des BMG eine Reformagenda aufgelegt, die diese Grundversorgung nicht wirklich in den Blick nimmt, sondern Versatzstücke der deutschen Gesundheitsreform auf Griechenland überstülpt, beispielweise die Einführung des DRG-Vergütungssystems im Krankenhausbereich. Das ist für mich nichts anderes als der Versuch, in Griechenland infrastrukturell ein Gewerbegebiet zu erschließen. Die deutschen Krankenhauskonzerne, Asklepios vorweg, sind bereits auf Einkaufstour und versuchen, griechische Kliniken aufzukaufen. Das kann und soll nicht sein.
Wenn wir ein soziales Europa wollen, dann müssen wir es den Reichen und der Troika nehmen.
(Beifall bei der LINKEN)
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kollegen Michael Gerdes, SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3390631 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 33 |
Tagesordnungspunkt | Soziales Europa |