Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Europa war und ist das Versprechen auf Frieden. Wir haben eben von mehreren Rednern gehört, dass das Stichwort „Frieden“ in einem wichtigen Zusammenhang mit dem heutigen Datum steht. Europa war und ist ein Versprechen auf Frieden und Wohlstand. Ich sage aber auch: Um beides muss beständig gerungen werden. Wir dürfen das nicht als gegeben hinnehmen. Es muss – nicht nur bei jeder Wahl, sondern auch bei jeder einzelnen politischen Entscheidung – beständig darum gerungen werden.
In Zeiten der Globalisierung kann Wohlstand aber nicht mehr nur in nationalen Grenzen gesichert werden. Deutschland als Exportnation hängt in ganz besonderem Maße vom Wohlergehen und von der wirtschaftlichen Prosperität seiner Nachbarn ab. Offene Grenzen für Menschen – also auch für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – bedingen gemeinsame Regelungen zur Sicherung der Rechte der Menschen, die jenseits ihres Heimatlandes Arbeit suchen und finden.
Wir brauchen ganz klare und gerechte Regeln der Entlohnung und der Rechte auf Urlaub, Absicherung und Mitbestimmung. Diese Ziele hat Michael Gerdes eben sehr deutlich ausgeführt. Dazu gehört aber auch das Modell eines europäischen Mindestlohns, der sich am Bruttoinlandsprodukt und am Preisniveau des jeweiligen Mitgliedstaates orientiert. Die weltweite Finanzkrise hat auch Europa getroffen. Sie hat Europa auch erschüttert.
Dabei sind bei der Bewältigung der Krise in Irland, Spanien und Portugal inzwischen Erfolge zu verzeichnen. Selbst Griechenland konnte sich zuletzt wieder an den Märkten finanzieren. Das zeugt von wiederhergestelltem Vertrauen der Märkte in die Krisenländer und auch in die Gemeinschaft. Im Falle des Falles wird es funktionierende Rettungsinstrumente der EU geben.
Allerdings – auch das sage ich in aller Deutlichkeit – sind in der Vergangenheit gravierende Fehler gemacht worden. Die Hilfe erreichte die betroffenen Länder oft zu spät. Dadurch ist Unsicherheit gewachsen. Spekulationen sind überhaupt erst ermöglicht und der Schaden enorm vergrößert worden. Im Falle Griechenlands konnten die Spekulanten nur deshalb ihr schändliches Spiel betreiben und weitere Länder mit in den Strudel ziehen, weil zu lange gezögert wurde. Das war zum Teil nicht nur Schuld der Troika aus EZB, EU-Kommission und Internationalem Währungsfonds. Oft haben auch die Regierungen der betroffenen Länder lieber Renten gekürzt, als die Steuern erhöht. Ist das ein soziales Europa?
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Antje Lezius [CDU/CSU])
Die Krise hat genau die Länder getroffen, die strukturell schwach und damit anfällig waren. Die Hilfe für Krisenländer – das muss die Lehre sein – muss immer zwei Dimensionen haben: erstens das sofortige Wiederherstellen von Vertrauen bzw. – für den Fall, dass das nicht gelingt – einen Ersatz für die Marktkredite und zweitens mittel- und langfristig die Beseitigung der strukturellen Schwächen der Volkswirtschaft, um die heimische Wirtschaft wieder auf feste Füße zu stellen und damit eben auch die Arbeitsplätze zu sichern.
Die einseitige und schnelle Kürzung der Ausgaben dagegen führte zu einer noch tieferen Rezession; denn nun kamen zu den Ausfällen der öffentlichen Ausgaben auch noch die Schwächen der Wirtschaft hinzu. Die reine Fixierung auf eine schnelle Konsolidierung der öffentlichen Haushalte war ein Fehler. Damit wurde der Sozialstaat an die Grenzen der Handlungsfähigkeit gebracht. Diese Fehler haben zu massiven Verwerfungen geführt und müssen nun mühsam repariert werden.
Ich glaube, auch an diesem Punkt ist erkennbar, dass sich seit der letzten Bundestagswahl etwas geändert hat. Wir haben deutlich gemacht und deutlich in den Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD hineingeschrieben, dass wir nicht nur eine Haushaltskonsolidierung brauchen, sondern daneben auch zwingend auf Programme für Wachstum und Beschäftigung setzen müssen, um der sozialen Dimension gerecht zu werden. Wir brauchen kluge Steuerungsinstrumente statt reiner Sparpolitik. Wir brauchen effektive nationale Steuersysteme, um auch Unternehmen und vermögende Privatleute mit einem Beitrag an den Kosten beteiligen zu können. Wir brauchen Maßnahmen für Wachstum und Beschäftigung, die, wie ich schon sagte, gleichberechtigt neben der Haushaltskonsolidierung stehen. Wir müssen, wenn wir das soziale Europa ernst nehmen, die durch die Sparpolitik entstehenden Belastungen gleichmäßig verteilen, damit diese nicht einseitig von den sogenannten kleinen Leuten getragen werden müssen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Schlimmer noch wirkt das verloren gegangene Vertrauen gerade unter den Jüngeren. Sie sind eben nicht diejenigen, die für die Krise verantwortlich sind, aber sie sind die Leidtragenden dieser Krise. Deshalb müssen wir ihnen Zukunft geben.
(Beifall der Abg. Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD])
In den Krisenländern ist die Arbeitslosigkeit, insbesondere unter den Jugendlichen, inakzeptabel hoch, in einigen Ländern liegt sie nahe bei oder über 50 Prozent. Die in der Beschäftigungsinitiative eingeplanten 6 Milliarden Euro für den Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit müssen deshalb jetzt schnell eingesetzt werden. Die auf europäischer Ebene vereinbarte Jugendgarantie muss jetzt zügig in den einzelnen Ländern umgesetzt werden. Das Ziel muss sein, jedem Jugendlichen eine Ausbildung und einen Arbeitsplatz zu garantieren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Auch Deutschland – darauf ist heute schon mehrfach hingewiesen worden – leistet seinen Beitrag. Viele arbeitslose, aber bereits gut ausgebildete junge Menschen sollen durch das Programm MobiPro-EU eine Chance bekommen, in Deutschland zu arbeiten. Matthias Bartke hat dazu eben sehr eindrucksvoll ausgeführt. Ich sage: Die Nachfrage zeigt, dass dieses Programm richtig ist und gebraucht wird. Ich sage aber auch klar – ich denke, da bin ich mir dann mit dem Kollegen Zech von der Union einig –: Es darf nicht sein, dass wir unseren teilweise auch selbstverschuldeten Fachkräftemangel allein mit jungen Menschen aus den Krisenländern lösen und dass wir dort einen Braindrain auslösen, der mittel- und langfristig den wieder in Gang gebrachten Konjunkturmotor abwürgt, weil im Herkunftsland die dringend benötigten Fachkräfte fehlen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Nach wie vor ist der soziale Bereich eine nationale Domäne, aber der gemeinsame Binnenmarkt macht an den nationalen Grenzen nicht halt. Deshalb brauchen wir gemeinsame Prinzipen und Kriterien zur Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping. Das sage ich ganz bewusst im Deutschen Bundestag; denn gerade in Deutschland sind uns diese Vokabeln leider nicht fremd.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Grenzüberschreitende wirtschaftliche Aktivitäten erfordern auch grenzüberschreitende Arbeitnehmerrechte. Es helfen nur klare Regeln und effiziente Kontrollen. Wir brauchen das Prinzip „gleicher Lohn und gleiche Arbeitsbedingungen für gleiche Arbeit am gleichen Ort“, das hat Dagmar Schmidt eben sehr deutlich gesagt. Wir müssen die Entsenderichtlinie auch in ihrer veränderten Form weiter stärken, um den zunehmenden Missbrauch von Entsendungen, Werkverträgen und Subunternehmeraufträgen einzudämmen. Es gibt noch so viele Schlupflöcher, die auch in der neuen Version zu stopfen sind. Das sollten wir jetzt zügig angehen.
Wir haben bereits eine Menge von Details im Koalitionsvertrag vereinbart, in welcher Hinsicht Europa sozial werden muss. Die soziale Dimension mit grenzüberschreitenden Arbeitnehmerrechten, national definierten Mindestlöhnen und sozialen Grundrechten muss gleichrangig neben die Marktfreiheiten des Binnenmarktes gestellt werden. Sozialpolitik muss stärker koordiniert werden. Die Gewährleistung sozialer Rechte und Standards und verbindliche sozialpolitische Ziele gehören dazu. Ich denke, die Zukunft eines Europas der Bürgerinnen und Bürger hat nur dann eine Chance, wenn die Bürgerinnen und Bürger dieses Europa und die europäische Idee für sich begreifen und sich damit identifizieren. Damit alle Menschen etwas von Europa haben, muss Europa sozialer, demokratischer und auch solidarischer werden. Die Menschen müssen erkennen können, dass sie etwas von Europa haben.
Ein soziales Europa ist der Motor für unsere Wirtschaft und damit für den Arbeitsmarkt in Deutschland; dass beides zusammengehört, hat Waltraud Wolff eben sehr eindrucksvoll festgestellt. Ein soziales Europa verteilt die Belastungen aus der Sparpolitik gleichmäßig und nicht nur einseitig auf die sogenannten kleinen Leute. Auch diejenigen müssen an den Kosten beteiligt werden, die sie verursacht haben. Ein soziales Europa stellt zur Lösung von Krisen Maßnahmen für Wachstum und Beschäftigung gleichberechtigt neben die Haushaltskonsolidierung, lässt die Menschen in sozialer Sicherheit leben und sichert damit sozialen Frieden.
Herr Kollege, die Zeit!
Liebe Kolleginnen und Kollegen – das ist mein Schlusssatz; herzlichen Dank, Herr Präsident –, nur dort, wo sozialer Frieden herrscht, kann wirtschaftlicher Wohlstand wachsen. Ich will weiter für ein soziales Europa arbeiten, für ein Europa der Bürgerinnen und Bürger, das nicht nur Banken rettet.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3390759 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 33 |
Tagesordnungspunkt | Soziales Europa |