08.05.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 33 / Zusatzpunkt 6

Christian FlisekSPD - Aktuelle Stunde zu Ergebnissen des Treffens der Bundeskanzlerin mit dem US-Präsidenten

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es mag Zufall sein, dass unsere heutige Debatte genau auf den Tag der Beendigung des Zweiten Weltkrieges fällt – darauf ist schon hingewiesen worden –, auch wenn man anlässlich eines solchen Tages zu ganz unterschiedlichen Schlussfolgerungen kommen kann.

Ein solcher Tag kann Anlass sein, einen kurzen Blick zurückzuwerfen. Die Siegermächte und allen voran die Vereinigten Staaten von Amerika haben Deutschland nach den nationalsozialistischen Massenmorden in Europa einen Neuanfang ermöglicht. Die europäische Integration und die transatlantische Allianz bilden seitdem einen Eckpfeiler der deutschen Außenpolitik. Die Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten als der Führungsmacht des westlichen Bündnisses war von Anfang an eng, und sie hat der Bundesrepublik Deutschland unter den Bedingungen des Kalten Krieges eine Entwicklung in Frieden, Freiheit und Wohlstand ermöglicht.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Nicht zuletzt war die Unterstützung der USA nach der friedlichen Revolution in der DDR von entscheidender Bedeutung für die Wiedervereinigung unseres Landes.

(Zuruf von der LINKEN: Ach so!)

Unsere europäischen Partner blickten damals noch sehr skeptisch auf ein größeres, wiedervereinigtes Deutschland. Dieses Eintreten für ein einiges und freies Europa entsprang dem Geiste der atlantischen Wertegemeinschaft von Demokratie und Freiheit.

(Zuruf von der LINKEN: Gorbatschow!)

Infolge dieser Einheit hat Deutschland seine volle Souveränität erreicht.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Unsere Interessen bei außenpolitischen Kontroversen haben vielleicht nicht immer übereingestimmt. Ich denke dabei an den Irakkrieg. Auch die Entscheidung zur Intervention in Libyen kann hier genannt werden. Aber die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Beziehungen sind so eng und die gemeinsam geteilten Werte sind so stark, dass unser Verhältnis bis in die jüngste Zeit von einem tiefen Grundvertrauen der Deutschen zu den USA und ihrer politischen Führung geprägt war.

(Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: War wohl ein Fehler!)

Gerade Präsident Obama fand in Deutschland für seine Außenpolitik immer eine sehr große Zustimmung. Die Zustimmung war hier in Deutschland immer größer als in den USA selber. Noch im Frühjahr 2013 lag die Zustimmung bei knapp 76 Prozent gegenüber knapp 50 Prozent in den Vereinigten Staaten. Bis zum November 2013 sank allerdings die Zustimmung auf 43 Prozent, und heute würden 61 Prozent der Deutschen sagen, allgemein könne man den USA nicht mehr vertrauen.

Der entscheidende Grund, warum dieses Vertrauen der Deutschen in die USA so erschüttert worden ist, sind – das ist bereits angesprochen worden – die Enthüllungen über die Überwachungs- und Abhöraktivitäten der National Security Agency gegenüber deutschen Bürgerinnen und Bürgern. Ins Rollen gebracht wurden diese Dinge durch die Enthüllungen von Edward Snowden. Dieses umfassende Ausspähen und Sammeln von Informationen aller Bürgerinnen und Bürger bis hin zu unserer Regierungschefin widerspricht fundamental unserem Verständnis von grundlegenden Freiheitsrechten, insbesondere dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung und dem Schutz der Privatheit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Hinzu kommt aus meiner Sicht noch eine andere tiefgreifende Besorgnis. Unseren US-amerikanischen Partnern stehen bei uns in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik alle Türen offen, auf allen Ebenen. Wenn wir nun jedoch den Eindruck gewinnen müssen, dass man uns misstraut bzw. eine vorgeblich der Terrorismusbekämpfung dienende Überwachung auch dazu benutzt wird, uns bei internationalen Verhandlungen auszuspionieren, dann berührt dies den Kern unserer Beziehungen und unser Verständnis von Offenheit unter Freunden und gleichberechtigter Partnerschaft.

Präsident Obama hat im Januar bereits einige Veränderungen der NSA-Praxis im Rahmen eines laufenden Reviews angekündigt. Diese Veränderungen betreffen jedoch hauptsächlich die Bürgerinnen und Bürger in den USA.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur!)

Diese Reformen reichen daher nicht aus, um das verloren gegangene Vertrauen wieder zurückzugewinnen. Die Bundeskanzlerin hat dies auch bei ihrem jüngsten Besuch in Washington zu Recht angesprochen und betont, dass sie eine grundlegende Diskussion und Verständigung über genau diese Balance von Sicherheitsbedürfnissen und dem Schutz der Privatheit einfordert. Das unterstütze ich ausdrücklich.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo hat sie das gesagt?)

Diese Diskussion kann jedoch nicht alleine auf Regierungsebene geführt werden. Sie muss auch von Vertretern der Wirtschaft, Wissenschaft und insbesondere der Zivilgesellschaft geführt werden. Vor allen Dingen wir als Parlamentarier des Deutschen Bundestages müssen hierzu unseren Beitrag leisten. Wir müssen unsere Auffassung einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung im digitalen Zeitalter öffentlich vertreten und dafür werben, und dies auch im Dialog mit unseren US-amerikanischen Kolleginnen und Kollegen. Der von Bundesaußenminister Steinmeier angeregte Cyber-Dialog bietet hierfür meiner Ansicht nach ein geeignetes Format, das wir mit Leben füllen müssen. Wir müssen möglichst bald mit diesem Dialog beginnen. Denn auch in den USA – sie sind kein Monolith – gibt es unterschiedlichste Sichtweisen auf die nachrichtendienstliche Massenüberwachung.

Meine Damen und Herren, der Kollege Ströbele hat es bereits angesprochen: Wir haben heute im NSA-Untersuchungsausschuss grundlegende Beschlüsse gefasst. Wir haben mit den Stimmen aller Mitglieder dieses Untersuchungsausschusses die Befragung von Edward Snowden als Zeugen beschlossen, und wir werden in den nächsten Tagen mit seinem Anwalt das weitere Verfahren klären. Wir werden erste wesentliche Schritte noch vor der Sommerpause in die Wege leiten können.

Kollege Flisek, achten Sie bitte auf die Zeit.

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluss noch auf eine Herausforderung blicken. Die große Aufgabe wird sein, die Rahmenbedingungen für das digitale Zeitalter gemeinsam abzustecken. Wir brauchen gemeinsame Regularien auf völkerrechtlicher Ebene, weil wir feststellen: Nationale Regelungen und selbst europäisches Recht reichen in ihrer Wirksamkeit nicht mehr aus. Ihre Wirksamkeit ist beschränkt. Wir werden diesen Dialog mit unseren amerikanischen Freunden führen müssen. Dann werden wir auch dafür eintreten müssen, dass unsere Grundrechte nicht auf einem digitalen globalen Altar geopfert werden.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Die Ergebnisse dieses Dialogs müssen wir in einer anderen Debatte vertiefen. Ich bitte wirklich, die Zeichen, die wir sehr moderat geben, wenn es um die Redezeit geht, ernst zu nehmen.

Das Wort hat der Kollege Dr. Andreas Nick für die Unionsfraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3390959
Wahlperiode 18
Sitzung 33
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde zu Ergebnissen des Treffens der Bundeskanzlerin mit dem US-Präsidenten
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta