08.05.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 33 / Tagesordnungspunkt 23

Markus KurthDIE GRÜNEN - Zwangsverrentung

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Geschichte des Sozialgesetzbuchs II ab 2006, also ab der vergangenen Großen Koalition bis heute, ist leider auch eine Geschichte fortgesetzter Diskriminierung. Es ist eine Geschichte der Diskriminierung von Leistungsbeziehenden in verschiedenen Bereichen: So hat Schwarz-Gelb in der vergangenen Legislaturperiode zum Beispiel beim Thema Regelsatz mal eben beschlossen, dass Ausgaben von Arbeitslosengeld-II-Beziehenden für Alkohol nicht vorzukommen haben.

(Max Straubinger [CDU/CSU]: Das stimmt doch wieder nicht!)

Eine weitere Diskriminierung bedeutet die Einführung des Bildungs- und Teilhabepakets als Sachleistung wegen der Unterstellung, dass Eltern das Geld eher vertrinken und verrauchen, als es bei ihren Kindern ankommen zu lassen.

(Max Straubinger [CDU/CSU]: Das haben die Grünen unterstellt!)

Eine Diskriminierung gibt es auch jetzt bei der Einführung der abschlagsfreien Rente mit 63, bei der Zeiten der Langzeitarbeitslosigkeit nicht angerechnet werden.

Eine weitere Diskriminierung erfolgt bei den Rentenansprüchen. Wir erinnern uns: Im Jahr 2007 hat die damalige Große Koalition die Rentenansprüche für SGB-II-Beziehende locker um die Hälfte mit der Begründung gekürzt, sie seien ohnehin so niedrig. Dann hat Schwarz-Gelb nachgesetzt und das Ganze auf null gebracht. Das ist der Hintergrund, vor dem wir die ebenfalls 2007 von der damaligen Großen Koalition eingeführte Zwangsrente bewerten müssen. Der Bezug von Arbeitslosengeld II bedeutet mit Blick auf die Rentenanwartschaften wegen der jetzt gar nicht mehr gezahlten Beiträge ohnehin schon einen erheblichen Einbruch und in den meisten Fällen ein erhebliches Absenken der zu erwartenden Rente.

In dieser Situation kommt nun zusätzlich die vom Kollegen Birkwald zutreffend und mit dem Beispiel, wie ich finde, auch eindrucksvoll beschriebene Zwangsverrentung, die dazu führen kann, dass die Person im Alter von 63 in die Sozialhilfe rutscht. Ich finde, dieser Aspekt ist in dem vorliegenden Antrag gut herausgearbeitet worden. Es wird gezeigt, was das für die geschützten Vermögenswerte und damit für die Altersvorsorge bedeutet.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mit der Einführung des Sozialgesetzbuches II wurden besondere Schonbeträge für die private Altersvorsorge, für Lebensversicherungen eingeführt, für die Riester- Rente sowieso. Diese Beträge müssen vom 63. bis zum 67. Lebensjahr eingesetzt werden. Das heißt, der vom Gesetzgeber damit ursprünglich verbundene Sinn wird hier ad absurdum geführt, und das ist ein Skandal.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Ich kann Sie wirklich nur auffordern, diese 2007 getroffene diskriminierende Regelung endlich abzuschaffen und auch die anderen diskriminierenden Punkte im Sozialgesetzbuch II anzugehen.

Ich habe eben vergessen, aufzuzählen, dass auch beim Rechtsschutz Diskriminierung vorhanden ist. In allen anderen Bereichen der Sozialversicherung gilt, wenn Bescheide fehlerhaft sind und von einem Gericht aufgehoben worden sind, eine Rückwirkung von vier Jahren; für vier Jahre müssen die zu Unrecht vorenthaltenen Leistungen nachgezahlt werden. Beim SGB II haben Sie – das war auch Schwarz-Gelb – diese Rückwirkungsfrist einfach mal auf ein Jahr verkürzt. Ich finde in der Gesamtschau – davon ist die Zwangsverrentung ein Bestandteil –: Hier werden sozialleistungsbeziehende Menschen von Ihnen tatsächlich zu Menschen zweiter Klasse gemacht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Das sollten Sie jetzt wirklich nicht fortsetzen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Ich frage mich auch, wie das mit der von Ihnen geplanten sogenannten abschlagsfreien Rente mit 63 und mit dem zumindest verbal vor sich hergetragenen Credo zusammenpasst, dass man die Menschen länger im Arbeitsleben halten will. Fakt ist doch, dass man noch nicht einmal ab dem 63., sondern schon ab dem 60. Lebensjahr oder mit Ende 50 vom Jobcenter im Grunde genommen keine wirklich tragfähigen Angebote mehr erhält, um in den ersten Arbeitsmarkt zurückzufinden.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: So ist es!)

Man darf an dieser Stelle nicht kürzen, sondern man muss investieren, auch in ältere Beschäftigte, um Akzeptanz und Vertrauen herzustellen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Vor diesem Hintergrund ist dieser Antrag, der sich, wie ich finde, im Unterschied zu manchen anderen Anträgen der Fraktion Die Linke argumentativ sehr klar auf diesen Sachverhalt konzentriert – das ist wohltuend –, einer, den wir im Ausschuss wirklich gründlich erörtern sollten. Sie sollten – egal von welcher Fraktion der Antrag nun kommt – wirklich noch einmal in sich gehen, damit wir diese Praxis endlich beenden können.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Vielen Dank, Markus Kurth. – Nächster Redner in der Debatte: Markus Paschke für die SPD.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3391249
Wahlperiode 18
Sitzung 33
Tagesordnungspunkt Zwangsverrentung
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