08.05.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 33 / Tagesordnungspunkt 23

Astrid FreudensteinCDU/CSU - Zwangsverrentung

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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei dem Antrag der Fraktion Die Linke scheint es sich auf den ersten Blick um eine sozialrechtliche Feinheit zu handeln. Doch der Antrag betrifft der Logik nach die Idee unseres Sozialstaats im Kern; denn das, was hier zur Debatte steht, ist das Prinzip der Subsidiarität. Dieses Prinzip setzt auf Selbstbestimmung und die Entfaltung individueller Fähigkeiten,

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können selbst bestimmen, wann sie in Rente gehen!)

und – das ist nicht davon zu trennen – es betont die Selbstverantwortung. Genau das unterscheidet unseren freiheitlichen Sozialstaat auch von einem sozialistischen Staat, der ja nur den Staat kennt.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Das ist genau das Gegenteil! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja, wir sind für Selbstbestimmung, Sie sind dagegen! So sieht es aus!)

Während nach Ihren Vorstellungen alle in ein soziales Netz fallen, werden die Menschen in unserem heutigen modernen Sozialstaat von vielen kleinen Netzen aufgefangen. Das macht unseren Sozialstaat konjunkturunabhängiger, stabiler und krisenfester.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Unser Staat hilft, wenn Hilfe nottut, und zwar nach dem Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“. Ich sage das, damit klar wird, warum Ihr Antrag der Logik unseres Sozialstaates widerspricht und deshalb nicht zu befürworten ist. Das gerade erklärte Subsidiaritätsprinzip bedeutet nämlich für Ihr konkretes Anliegen Folgendes – da müssen Sie durch, Herr Birkwald; Sie waren auf unsere Antworten gespannt, deswegen hören Sie es jetzt leider zum wiederholten Mal –:

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Kein Problem! Ich höre Ihnen gerne zu, Frau Kollegin!)

Die Grundsicherung für Arbeitsuchende, um die es hier geht, ist ein nachrangiges Fürsorgesystem. Es greift nur, wenn Menschen hilfebedürftig sind.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Jetzt hat er es vielleicht begriffen!)

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder Bemerkung von Herrn Markus Kurth?

Ja, bitte.

Gut.

Frau Dr. Freudenstein, haben Sie schon einmal zur Kenntnis genommen, dass es auch in einem subsidiären Sozialhilfesystem durchaus begründete und plausible Ausnahmen vom Nachrangigkeitsgrundsatz geben kann? Wenn man zum Beispiel eine Entschädigung aufgrund einer erlittenen Körperverletzung oder eines Unfalls erhält, dann wird das nicht angerechnet. Wenn man zum Beispiel Blindengeld erhält oder einen Nachteilsausgleich bekommt, gibt es auch eine Ausnahme vom Nachrangigkeitsgrundsatz.

(Max Straubinger [CDU/CSU]: Das ist etwas ganz anderes!)

Es wäre ein Leichtes, für diesen speziellen Fall des Rentenbezugs ebenfalls eine Ausnahme vom Nachrangigkeitsgrundsatz in das Gesetz aufzunehmen, ohne deswegen den Grundgedanken der Subsidiarität auszuhöhlen und ohne die Logik des Sozialrechtssystems nach SGB II zu zerstören. Es ist außerdem nicht ein System der Sozialhilfe. Das Arbeitslosengeld II dient gerade dazu, die Menschen wieder in Arbeit zu bringen. Insofern ist es etwas anderes als das SGB XII.

(Max Straubinger [CDU/CSU]: Das ist eine Sozialleistung!)

Wollen Sie nicht zugeben, dass es sehr wohl begründete Ausnahmen vom Nachrangigkeitsgrundsatz geben kann?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Ich nehme das Subsidiaritätsprinzip zur Kenntnis, ziehe aber ganz offensichtlich andere Schlüsse daraus als Sie. Auch bei diesem System, über das wir heute reden, gibt es Ausnahmen. Über die haben wir gerade gesprochen. Sie sind gut begründet und auch richtig.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn ein Bürger, der als Hilfebedürftiger Leistungen nach SGB II bezieht, nun die Möglichkeit hat, eine selbst erworbene Altersrente zu beziehen und sich so den Lebensunterhalt durch ein vorrangiges Prinzip der sozialen Sicherung finanzieren kann, dann ist auch eine Verpflichtung dazu richtig und in unserem Sinne.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Es ist nicht in unserem Sinne!)

– In unserem schon.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Diese Verpflichtung zur Altersrente ist jedoch nicht so schlicht konstruiert, wie Sie es darstellen. Es gibt durchaus Ausnahmen. So sind Leistungsberechtigte, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen und das Arbeitslosengeld II nur zusätzlich beziehen, die Aufstocker, nicht zu dieser vorzeitigen Altersrente verpflichtet. Ausgenommen sind auch Arbeitslose, die innerhalb der nächsten Monate eine abschlagsfreie Rente beziehen können. Auch die, die in naher Zukunft eine Erwerbstätigkeit aufnehmen werden, fallen nicht unter die Regelungen. Damit stellen wir sicher, dass Erwerbstätige nicht vorzeitig aus dem Arbeitsmarkt gedrängt werden.

Doch zurück zu Ihrem Antrag. Sie packen das Problem nicht an der Wurzel an. Das Problem ist nämlich, dass die Menschen Arbeit brauchen und dies der einzige Ansatz ist, womit man den Menschen wirklich helfen kann. Genau dort wollen wir ansetzen. Die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit steht ganz oben auf der Agenda der Großen Koalition. Uns liegt daran, dass die Menschen die Hilfebedürftigkeit aus eigener Kraft hinter sich lassen können.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die Arbeitslosigkeit der Älteren steigt, seit Sie regieren!)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3391296
Wahlperiode 18
Sitzung 33
Tagesordnungspunkt Zwangsverrentung
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