Christian FlisekSPD - Vorratsdatenspeicherung
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Heute ist Europatag. Der 9. Mai wird in Europa gefeiert, weil Robert Schuman damals seinen Plan für eine Vergemeinschaftung der Kohle- und Stahlindustrie vorlegte. Das geschah vor dem Hintergrund der Erfahrungen, die man im Zweiten Weltkrieg gemacht hatte. Das, was damals Kohle und Stahl waren, sind heute, im 21. Jahrhundert, die Daten. Daten sind die Rohstoffe einer digital vernetzten Wirtschaft. Daten sind aber auch Objekte des Zugriffs durch Sicherheitsbehörden und Geheimdienste, die sich dafür interessieren, und das geschieht nicht nur innerhalb nationaler Grenzen, sondern in einem weltweiten Maßstab.
Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass die Frage nach der technischen und wirtschaftlichen Zukunft Europas in einer digitalisierten Welt und des damit einhergehenden Grundrechtsschutzes ein zutiefst europäisches Thema ist. Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter. Ich glaube, dass diese Debatte auch ein zutiefst globales Thema ist. Deswegen müssen wir diese Debatte um die Vorratsdatenspeicherung auch in einem solchen Kontext diskutieren.
Datenströme in einer globalen Welt kennen keine Grenzen. Diese Erkenntnis mutet vielleicht banal an. Sie hat aber weitreichende Konsequenzen für die Beantwortung der Frage, wie wir uns politisch aufstellen müssen, wenn wir einen effektiven Grundrechtsschutz europäisch und global gewährleisten wollen.
Ich persönlich begrüße das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 8. April 2014 zur Vorratsdatenspeicherung ausdrücklich, weil ich es als einen ganz wichtigen Beitrag zur Ausgestaltung eines europäischen Grundrechtsschutzes im digitalen Zeitalter halte. Ich begrüße in diesem Zusammenhang ausdrücklich auch das äußerst besonnene Vorgehen unseres Bundesjustizministers Maas.
(Beifall bei der SPD)
Es war sehr klug, hier keine Schnellschüsse im nationalen Alleingang zu produzieren. Es war sehr klug, abzuwarten und nicht in politischen Aktionismus zu verfallen. Ich betone ausdrücklich: Es ist auch ein Zeichen von Respekt vor den höchsten Gerichten in Europa, dass wir in anhängige Verfahren nicht mit irgendwelchen Beschlüssen hineinpfuschen, sondern abwarten, was diese Gerichte urteilen und sagen. Dieses kluge politische Handeln gilt es meiner Ansicht nach jetzt fortzusetzen.
Wir alle wissen nach dem Lesen des Urteils: Der Europäische Gerichtshof hat mit diesem Urteil kein Verbot der Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen. Er hat aber erhebliche Flanken gesetzt. Man muss, glaube ich, kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass aufgrund dieser Tatsache die Debatte nicht vom Tisch ist.
(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieso denn das? – Jan Korte [DIE LINKE]: Wir könnten sie heute beenden!)
– Wir könnten sie heute, glaube ich, nicht beenden. – Es war sehr unklug, sich im Vorfeld des EuGH-Urteils in dieser Form zu äußern. Es ist auch sehr unklug, sich im Vorfeld der Europawahlen und einer neuen Europäischen Kommission mit aktionistischen Anträgen und durch nationale Alleingänge zu äußern.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Ich bin davon überzeugt – das meine ich wirklich ernst –, dass, wenn wir einen wirksamen Beitrag zu einem effektiven Grundrechtsschutz der Bürgerinnen und Bürger in Europa leisten wollen, wir in dieser Debatte ideologisch ein wenig abrüsten müssen. Wir müssen auf der Grundlage dieses Urteils in einen intensiven Dialog mit unseren europäischen Partnern treten.
Folgendes sage ich an die Adresse von Herrn Kollegen Korte, Frau Kollegin Keul und der Opposition: Wir müssen uns ein Stück weit ehrlich machen und nicht immer so tun, als würde die Zukunft der digitalisierten Welt allein hier im deutschen Parlament entschieden werden.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Der NSA-Skandal zeigt doch sehr deutlich die Begrenztheit nationaler Regelungen auf.
(Jan Korte [DIE LINKE]: Das ist trivial, ja!)
Wenn wir mit der Forderung, die Grundrechte auf der Basis der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes weltweit oder zumindest in Europa effektiv durchzusetzen, wirklich ernst machen wollen, dann müssen wir in diesen Dialog treten,
(Jan Korte [DIE LINKE]: Dann müssen wir vor der Haustür anfangen!)
dann müssen wir ein wenig aus den Schützengräben herauskommen. Es ist sehr wichtig, dass wir eine Position finden, mit der wir konstruktiv in die Verhandlungen auf europäischer Ebene und gerade mit unseren Partnern in den USA gehen können.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Es geht hier doch um Datenschutz!)
Gefragt ist kein holzschnittartiges Schwarz-Weiß, sondern gefragt ist die Fortsetzung einer klugen Positionierung. Ich bin sehr froh, dass unser Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier den Cyberdialog mit den Vereinigten Staaten von Amerika vorgeschlagen hat. Ich halte diesen Dialog
(Jan Korte [DIE LINKE]: Ja, der geht ab!)
für ein richtiges und ein konstruktives Format, und zwar nicht nur auf Regierungsebene. Ich plädiere ausdrücklich dafür, dass wir diesen Dialog auf der Ebene von Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft führen.
Herr Flisek, lassen Sie eine Zwischenfrage von Herrn Janecek zu?
Ja, sehr gerne.
Herr Kollege Flisek, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie auch die ökonomische Perspektive der Vorratsdatenspeicherung geschildert haben. Am Anfang Ihrer Rede haben Sie zu Recht davon gesprochen, dass wir eine breite Debatte führen müssen. Wir beide sind Mitglieder des Wirtschaftsausschusses. Ich stelle Ihnen deshalb die Frage, ob Sie zur Kenntnis nehmen und wie Sie es beurteilen, dass der Verband der Deutschen Internetwirtschaft, der sich ganz klar positioniert hat, und zwar nicht aus Grundrechtssicht, gesagt hat: Das Ganze kostet uns so viel, dass es uns am Ende einfach nicht weiterbringt. – Sehen Sie das auch so? Würden Sie das auch so beurteilen? Können Sie bei Ihren Kollegen von der Union, die ja gern den Mittelstand nach vorn tragen, Überzeugungsarbeit leisten, damit wir diese Position in Zukunft gemeinsam vertreten können?
(Jan Korte [DIE LINKE]: Eine gute Frage!)
Herr Kollege Janecek, das ist eine sehr gute Frage, um nicht zu sagen: Das ist eine exzellente Frage;
(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hoffentlich wird die Antwort auch exzellent!)
ich antworte gerne darauf und bin Ihnen dafür sehr dankbar.
Ich denke, die Frage, wie wir damit umgehen, sollten wir – darauf habe ich hingewiesen – ein wenig entideologisieren. Wenn wir aufgrund von Abwägungen, von Studien, von Evaluierungen, aber auch aufgrund solcher Aspekte, die Sie zu Recht genannt haben – ich meine die Kosten, die wir im Zweifel zum Beispiel der privaten Internetwirtschaft aufbürden –, zu dem Ergebnis kommen – ich gehe jetzt davon aus, dass wir innerhalb der Flanken, die der EuGH eingezogen hat, einen verbleibenden Möglichkeitsraum haben –, dass innerhalb des Möglichkeitsraumes einer weiteren Vorratsdatenspeicherung auf europäischer Ebene eine solche Regelung gar nicht mehr erforderlich ist, dann ist dies ein Ergebnis, zu dem wir aufgrund rationaler Überlegungen und nicht aufgrund einer ideologisierten Debatte, wie wir sie in diesem Hause seit Jahren führen, gekommen sind. Das würde ich sehr begrüßen.
(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie den EuGH auch als ideologisch bezeichnen?)
Denn ich glaube eines: Wenn wir die Debatte in der Art und Weise fortsetzen, wie sie hier zu Beginn wieder geführt wurde, dann leisten wir keinen Beitrag zu einem wirksamen Grundrechtsschutz. Viele Länder interessieren sich für die Debatte, die wir hier führen, überhaupt nicht. In Zeiten weltweiter globaler Kommunikation und Datenströme müssen wir schauen, dass wir auf europäischer – ich sage sogar: auf völkerrechtlicher – Ebene verbindliche Standards schaffen. Das ist ein konstruktiver Beitrag.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Meine Damen und Herren, ich appelliere, weil meine Redezeit zu Ende geht: Lassen Sie uns ein wenig ideologisch abrüsten! Lassen Sie uns dafür sorgen, dass wir uns innerhalb Europas klug positionieren! Lassen Sie uns Formate finden wie den Cyberdialog, wo wir in der Lage sind, unsere Positionen für einen effektiven Grundrechtsschutz deutlich zu machen und zu übermitteln! Das, meine Damen und Herren, wäre ein Ergebnis dieser jahrelangen Debatten, mit dem wir Parlamentarier uns sehen lassen könnten.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Als nächster Redner hat der Kollege Dr. Sensburg das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3394412 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 34 |
Tagesordnungspunkt | Vorratsdatenspeicherung |