Annette GrothDIE LINKE - Aktuelle Stunde zu den entführten Schulmädchen in Nigeria
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir alle sind berührt von dem Schicksal der über 200 Mädchen, die von Boko Haram verschleppt wurden. Diese unschuldigen Mädchen und jungen Frauen wurden Geiseln einer kriminellen Bande.
Seit vielen Jahren begeht Boko Haram furchtbare Menschenrechtsverletzungen. Tausende Menschen wurden in den vergangenen Jahren in Dörfern, Kirchen, Schulen und Polizeistationen massakriert. Dies wurde allerdings lange Zeit in unseren Medien kaum erwähnt. Jetzt müssen alle erdenklichen Mühen unternommen werden, um die Mädchen zu finden und zu ihren Familien zurückzubringen.
(Beifall bei der LINKEN, der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich bin aber überzeugt, dass militärische Gewalt nicht geeignet ist, um dieses Ziel zu erreichen, nicht nur weil dadurch das Leben der Mädchen gefährdet würde, sondern auch weil ich die massive Kampagne, die die nigerianische Armee gegen Boko Haram führt, keineswegs für die richtige Antwort halte.
(Beifall der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])
Das Vorgehen der Armee hat bereits Tausende Opfer, darunter viele unbeteiligte Zivilisten, gefordert. Und vor allem ändert es nichts an den Ursachen, aufgrund derer sich viele junge Menschen Boko Haram angeschlossen haben.
Nigeria ist einer der bevölkerungsreichsten Staaten und der größte Ölproduzent Afrikas. Dennoch herrschen große Armut, Korruption und ein brutaler Polizeiapparat in diesem Land. Im Norden Nigerias, wo Boko Haram besonders stark ist, leben etwa 70 Prozent der Bevölkerung von weniger als 1 US-Dollar pro Tag. Die Reichen leben in Saus und Braus.
Innerhalb der jungen Bevölkerung haben sich Perspektivlosigkeit und eine weitverbreitete Wut auf die korrupten Eliten fest verankert. Das ist ein idealer Nährboden für fanatische Gruppen, die sich um die Jugendlichen kümmern und deren Wut und Hoffnungslosigkeit für ihre Zwecke missbrauchen. Durch den Beitritt zu Boko Haram erhalten diese Jugendlichen ein regelmäßiges Einkommen und im Rahmen dieser Gruppe einen gesellschaftlichen Status.
Vor zwei Wochen ist im britischen Guardian ein Artikel erschienen, der die Zusammenhänge zwischen den sozialen und politischen Gegebenheiten und dem Terror, den Boko Haram gegen die nigerianische Bevölkerung ausübt, sehr klar aufzeigt. Eindrücklich schildert der Autor, wie der durch den fortschreitenden Klimawandel entstandene Mangel an fruchtbarem Land und sauberem Wasser immer mehr Hunger, Krankheiten und Armut produziert.
Das vom US-Kongress finanzierte Institute for Peace geht genau wie das nigerianische Militär davon aus, dass zwischen Klimawandel und Gewalt in Nigeria ein kausaler Zusammenhang besteht. Sehr viele Soldaten der Boko Haram sind Menschen, die vor Dürre und Nahrungsmittelknappheit auch aus den Nachbarländern Nigerias geflohen sind.
Die Ausbreitung von Boko Haram, al-Qaida und ähnlichen fanatischen Gruppen in Nigeria, Mali und anderswo wäre ohne Unterstützung zum Beispiel durch den algerischen Geheimdienst nicht möglich gewesen. Auch einige Golfstaaten wie zum Beispiel Katar und Saudi-Arabien unterstützen diese Gruppen. All dies geschieht auch mit dem Wissen westlicher Geheimdienste. Kürzlich hat die Bundesregierung wieder einmal Waffenexporte in Höhe von 29 Millionen Euro nach Algerien und mehr als 31 Millionen Euro nach Saudi-Arabien genehmigt. Das ist einfach skandalös.
(Beifall bei der LINKEN)
Darüber hinaus haben die Kriegseinsätze der westlichen Staaten zum Beispiel in Libyen und im Irak dazu geführt, dass riesige Mengen von Waffen in die Region hineingepumpt wurden und heute von diesen fanatischen Gruppen eingesetzt werden. Dort gibt es mehr Waffen als Brot. Das ist doch wirklich wahnsinnig.
Die völkerrechtswidrige Kriegslogik des Westens hat ein Klima geschaffen, das die Wut auf den Westen als ideologischen Nährboden für diese Gruppen mit ihren perversen Zielen angeheizt hat. Auch deswegen fordern wir Linke seit vielen Jahren, die militärischen Abenteuer in dieser Region endlich zu beenden und eine zivile Außenpolitik einzuleiten. Statt Waffen brauchen die Menschen echte Entwicklungsperspektiven.
(Beifall bei der LINKEN)
Die deutsche und die europäische Außenpolitik müssen endlich Verantwortung übernehmen. Diesen fanatischen Gruppen muss der finanzielle Nachschub entzogen werden. Gleichzeitig müssen ökonomische und soziale Grundlagen für eine nachhaltige Entwicklung der Staaten in der Region befördert werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute müssen wir alle mit den Mitteln der Diplomatie auf eine schnelle Freilassung der Mädchen hinwirken, und ich hoffe, dass es bald zu einer Freilassung kommt.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)
Als nächster Rednerin erteile ich Edelgard Bulmahn, SPD-Fraktion, das Wort.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3436436 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 35 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde zu den entführten Schulmädchen in Nigeria |