21.05.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 35 / Zusatzpunkt 2

Edelgard BulmahnSPD - Aktuelle Stunde zu den entführten Schulmädchen in Nigeria

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

So der italienische Dichter und Philosoph Dante Alighieri im 14. Jahrhundert. Das Kostbarste, was Eltern haben, sind ihre Kinder. Wer Menschen verachtet, wer sie zutiefst verletzen will, ihnen den größtmöglichen Schaden zufügen will, der nutzt genau dies aus.

Unschuldige Kinder und Jugendliche zu Geiseln zu machen, zeugt von einer unvorstellbar rohen und brutalen Rücksichtslosigkeit und Unmenschlichkeit.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wer so handelt, gibt seine eigene Menschlichkeit auf und verabschiedet sich bewusst von grundlegenden Werten, die allen Kulturen und Religionen der Welt gemeinsam sind.

Die Entführung von über 270 Mädchen aus einer Schule in Chibok im Norden Nigerias ist aber auch eine Tat, die ein gezieltes Statement gegen die Bildung und damit auch gegen bessere Lebenschancen von Mädchen und jungen Frauen sein soll. Wer den Islam als Rechtfertigung hierfür heranzieht, wie es der Anführer der Terrorgruppe Boko Haram tut, verhöhnt den Islam.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Anschläge wie die Entführung der Schülerinnen in Nigeria sind leider kein Einzelfall: Seit Jahren – meine Vorredner haben darauf hingewiesen – begeht Boko Haram immer wieder Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Erst gestern wurden bei einem Anschlag in Jos mindestens 120 Menschen getötet.

Nigeria – das dürfen wir in dieser Debatte nicht vergessen – war ein von Toleranz geprägter Vielvölkerstaat. Das macht die Dramatik und das Problem dieser Entwicklung so deutlich. Die Führer der katholischen und der muslimischen Religionsgruppe betonen immer wieder, es gebe keinen Krieg der Religionen; Opfer seien Christen und Muslime. Die religiösen Führer – das ist ein Stück Hoffnung – setzen sich immer wieder für Ausgleich und Toleranz ein.

Eine grundlegende Ursache des Konfliktes liegt in der sozioökonomischen Ungleichheit zwischen dem Norden und dem Süden. Nährboden für Boko Haram sind wirtschaftliche und soziale Benachteiligungen der Menschen im Norden des Landes, hohe Jugendarbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit, Korruption und Verlust des Vertrauens in staatliche Institutionen. Vom beachtlichen Wirtschaftswachstum der letzten Jahre und von den wertvollen Ressourcen, die es in diesem Land gibt, profitieren die meisten Menschen im Norden, aber auch im Süden nicht.

Die Regierung steht deshalb vor einer doppelten Herausforderung: Erstens muss sie den Terror bekämpfen. Aber sie darf dabei nicht stehen bleiben. Sie muss zweitens Armut bekämpfen und Menschen wieder eine Perspektive geben, und zwar unabhängig davon, wo sie leben. Teilhabe am wirtschaftlichen Erfolg, an der wirtschaftlichen Entwicklung, Respekt vor Menschenrechten, Wiederherstellung von Rechtsstaatlichkeit und natürlich auch die Zusammenarbeit mit den Religionen sind wichtige Voraussetzungen dafür, damit dem Terrorismus in diesem Land und einer solchen Gruppe wie Boko Haram der Nährboden entzogen wird.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Welche Schlussfolgerungen lassen sich daraus ziehen? Ja, ich bin sehr froh, dass es die Konferenz in Paris gegeben hat. Sie hat deutlich gemacht, dass eine derart massive menschenverachtende Verletzung von grundlegenden Menschenrechten von der internationalen Staatengemeinschaft nicht akzeptiert werden kann und darf. Das ist ein wichtiges Signal, im Übrigen auch deshalb, weil damit nicht nur Nigeria, sondern auch seine Nachbarstaaten sowie Europa und die USA deutlich gemacht haben, dass wir alle die Verantwortung dafür tragen, dass den Menschen wieder eine gerechtere Teilhabe an wirtschaftlicher Entwicklung ermöglicht wird. Nur so kann der Nährboden für Terrorismus ausgetrocknet werden.

Ich sage ausdrücklich auch: Es darf keine rein militärische Antwort geben, sondern eine Antwort muss im echten Sinne des Wortes umfassend sein. Deshalb müssen wir über Entwicklungshilfe und über unsere wirtschaftlichen Hilfen unseren Teil zum Aufbau und zur Stärkung rechtsstaatlicher und demokratischer Institutionen und Strukturen in diesem Land beitragen. Wir müssen dafür sorgen, dass Korruption bekämpft wird und dass sich gute Regierungsführung wieder stärker etabliert. Damit können die Voraussetzungen für eine bessere ökonomische Entwicklung in allen Teilen des Landes geschaffen werden.

Ich habe bereits erwähnt, dass auch die Bekämpfung von Armut, Hunger und Not notwendig ist. Hier stehen wir ebenfalls in der Verantwortung, über die Entwicklungshilfe zu reagieren. Wir stehen über die Entwicklungshilfe hinaus auch in der Verantwortung, durch wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen unserem Land, aber auch zwischen der EU und dieser Region die nachhaltige Entwicklung zu unterstützen.

Meine sehr geehrten Herren und Damen, die deutsche Politik trägt hier eine Verantwortung. Wir müssen unseren Beitrag leisten, auf einen positiven Wandel hinzuwirken. Dazu ist es wichtig, dass wir uns auch auf Regierungsebene an einem institutionalisierten Dialog beteiligen, dass wir diesen Dialog nutzen und dass wir ihn tatsächlich führen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE])

Als nächstem Redner erteile ich das Wort Kollegen Uwe Kekeritz, Bündnis 90/Die Grünen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3436437
Wahlperiode 18
Sitzung 35
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde zu den entführten Schulmädchen in Nigeria
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