21.05.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 35 / Zusatzpunkt 2

Uwe KekeritzDIE GRÜNEN - Aktuelle Stunde zu den entführten Schulmädchen in Nigeria

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Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Boko Haram ist ein Synonym für schlimmste Menschenrechtsverletzungen. Das zeigt nicht nur die Entführung der Schülerinnen und die Drohung, die Mädchen auf dem Markt zu verkaufen oder zu versklaven.

Insgesamt wurden bisher weit über 4 000 Menschen ermordet, die Verletzten, die Vertriebenen, die Traumatisierten wurden nie gezählt, konnten vielleicht auch nicht gezählt werden, und das Morden geht bekanntlich weiter, wie die gestrigen Nachrichten bestätigten. Deshalb ist es verdammt traurig, dass erst die Entführung der Mädchen die globale Betroffenheit ausgelöst hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])

Herr Kauder, was Sie zu diesem Thema gesagt haben, war völlig richtig. Aber ich denke, wir sollten hier sehr aufpassen: Es ist unsere Aufgabe, klarzustellen, dass das Problem Boko Haram kein religiöses Problem ist. Mit Religion lassen sich diese Hassverbrechen nicht begründen und, wie Frau Bulmahn richtig sagte, schon gar nicht mit dem Islam oder dem islamischen Glauben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Das reiche Land Nigeria hat sich nicht unverschuldet in diese Situation manövriert, aus der es heute alleine nicht mehr herauskommt. Präsident Goodluck hat die Situation lange völlig falsch eingeschätzt und falsch reagiert. Führende Politiker und hohe Militärs haben sogar lange Zeit versucht, die Terrorakte für ihre politischen Zwecke zu instrumentalisieren. Viele Menschen, im Prinzip die ganze Nation, zahlen dafür einen extrem hohen Preis.

Jetzt stellt sich die Frage nach internationaler Solidarität, die auch dem Schutz der Nachbarstaaten Kamerun, Benin, Tschad, Niger gilt. Diese Länder leiden ebenfalls verstärkt unter dem Terror Boko Harams. Ich denke, es ist unser aller Aufgabe, hier einzuschreiten. Boko Haram sucht neue Rückzugsgebiete und neue Ziele. Eine Destabilisierung der ganzen Region, die bestimmt zwölfmal so groß ist wie die Bundesrepublik Deutschland, ist nicht ausgeschlossen. Auch deshalb haben sich jetzt die USA, Großbritannien und Frankreich mit den genannten Ländern zusammengetan. Sie versuchen, eine Lösung zu finden. Sie versuchen vor allen Dingen, die Mädchen zu finden und zu befreien. Die Mädchen müssen zurück zu ihren Familien, und sie müssen zurück in die Schulen.

Wir müssen uns viele Fragen stellen: Wer steckt hinter Boko Haram? Wie ist die Entstehungsgeschichte? Woher bekommt Boko Haram die Waffen? Welche Rolle spielt die nigerianische Regierung? Welche Rolle spielen unsere Waffenexporte? Und wir müssen auch die Frage stellen: Welche Rolle spielt die endemische Korruption in diesem Land? Der Fairness halber muss ich sagen, dass man diese Frage so nicht formulieren darf. Man müsste sie anders formulieren, nämlich: Wie lange haben westliche Staaten und Konzerne mit den unterschiedlichen korrupten Regierungen Nigerias hervorragend zusammengearbeitet und die Korruption dadurch befördert und gefördert? Shell ist doch nur das bekannte Beispiel. Sie erinnern sich: Der Ölkonzern hat mit den unterschiedlichen Regierungen jahrzehntelang bestens zusammengearbeitet. Sie haben letztlich gemeinsam das Volk der Ogoni bekämpft. Das Volk hat fürchterlich gelitten. Zusammen haben sie, Shell und die Regierung, letztlich auch den Bürgerrechtler und Schriftsteller Ken Saro-Wiwa über ein Gerichtsurteil ermorden lassen. Da frage ich schon: Tragen wir nicht auch Mitverantwortung?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Nigeria ist aus rein ökonomischer Sicht sehr erfolgreich – Frau Bulmahn hat es angesprochen –, aber es gilt eine einfache Regel: Wachstum braucht Regeln; denn sonst wird es zerstörerisch. Es bedeutet sehr oft Ausgrenzung jener, die eben nicht direkt vom Wachstum profitieren. Damit trägt ein unkontrolliertes, nicht reguliertes Wachstum oftmals den Kern der staatlichen Zerstörung in sich. Das ist nicht nur in Nigeria der Fall; das ist in vielen Ländern der Fall.

Hier kommt auch unsere Verantwortung ins Spiel. Es gibt viele Punkte, an denen unsere Verantwortung ansetzt. Ich greife hier nur einen Bereich heraus: Es ist unsere Aufgabe, diejenigen Unternehmen, die in Nigeria und in anderen armen Ländern investieren, zu ermutigen, auch weiterhin zu investieren. Wir müssen aber von diesen Unternehmen zwingend verlangen, dass sie dafür sorgen, dass Menschenrechte, ökologische und soziale Standards eingehalten werden. Die Konzerne sind für ihren Wirkungskreis verantwortlich. Aber auch wir Politiker im Bundestag und auf europäischer Ebene sind letztlich für europäische und deutsche Konzerne mitverantwortlich, und ich sehe, dass wir diese Verantwortung noch nicht wahrnehmen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN und des Abg. Frank Schwabe [SPD])

Ohne soziale und ökologische Gerechtigkeit wird Nigeria keine Lösungen finden. Einer heutigen Befreiung der Mädchen, die wir alle verlangen und wünschen, würden zukünftig noch mehr Tote durch weitere Terrorakte folgen. Wir müssen in vielen Bereichen Verantwortung übernehmen: im Rüstungsbereich, im Finanzbereich, im Bereich der Kontrolle der internationalen Unternehmen, im Klimabereich. Nehmen wir unsere Verantwortung doch endlich ernst! Die Mädchen haben das verdient.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort Kollegin Sabine Weiss, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Stefan Rebmann [SPD])


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3436442
Wahlperiode 18
Sitzung 35
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde zu den entführten Schulmädchen in Nigeria
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