Michaela Engelmeier-HeiteSPD - Aktuelle Stunde zu den entführten Schulmädchen in Nigeria
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mehr als 200 junge Mädchen verschwinden in Nigeria, entführt von Terroristen und an einen unbekannten Ort verschleppt. „ Terroristen“ – ja, natürlich –, anders kann man die Entführer, die islamistische Gruppe Boko Haram, nicht nennen. Ich glaube, dass kein Mensch überhaupt ermessen kann, was diese Mädchen erleiden: hilflos Terroristen und ihrer Willkür ausgeliefert, herausgerissen aus einem Leben, das vielleicht nicht rundum sorglos war, einem Leben, das ohne Zweifel auch durch Armut geprägt war, aber einem Leben im Kreise ihrer Familie und in ihrer gewohnten Umgebung.
Seit einem Monat – seit einem Monat! – nur noch Angst und Verunsicherung: Angst vor einer ungewissen Zukunft, Angst vor möglicher Vergewaltigung, Angst vor einem möglichen Verkauf für wenige Naira, Versklavung und Zwangsehe. Immer drängender wird der Ruf: Befreit unsere Töchter! Bring back our girls! – Wer eigene Kinder hat, wird verstehen, welchen Schmerz, welche Angst die Eltern und Angehörigen der mehr als 200 entführten Mädchen in Nigeria seit Wochen durchleiden. Wo sind die Mädchen? Was ist mit ihnen passiert? Fragen, auf die es keine Antwort gibt, noch nicht, auch nicht auf die Frage: Wird mir mein Kind wiedergebracht? – Und darum muss es gehen, das ist erst einmal das Wichtigste: Die Mädchen müssen gefunden und befreit werden.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Und sie müssen so schnell wie möglich zu ihren Familien zurückgebracht werden.
Viel zu lange wurde die von der Terrorgruppe Boko Haram ausgehende Gefahr unterschätzt und ignoriert. Seit Jahren überzieht sie das Land mit Anarchie und Terror, verübt feige Mordanschläge und zwingt Menschen zur Flucht aus ihrer Heimat im Norden Nigerias. Mehr als 3 000 Tote gehen auf das Konto von Boko Haram. Gestern wurden bei feigen Anschlägen erneut unschuldige Menschen Opfer, 118 Menschen; und es ist zu befürchten, dass die Zahl der Opfer weiter steigt. Es gibt noch keinen Bekennerbrief von Boko Haram; aber es ist zu befürchten, dass auch für diese Anschläge Boko Haram verantwortlich ist. Deswegen sage ich: Boko Haram muss gestoppt werden!
Viel zu lange blieb der Weltöffentlichkeit verborgen, was in Nigeria geschah, aber nicht nur in Nigeria, sondern auch in der Region. Denn eines ist sicher: Boko Haram verfolgt nicht nur das Ziel, Nigeria zu destabilisieren. Diese Gruppe breitet sich bereits in den Nachbarländern Nigerias aus und stellt eine immer größere regionale und internationale Bedrohung dar.
Seit der Entführung dieser mehr als 200 Mädchen im vergangenen Monat steht Boko Haram jetzt jedoch nicht mehr „nur“ die nigerianische Regierung entgegen. In diesem Zusammenhang begrüßt die SPD-Fraktion die Einberufung eines Krisengipfels durch den französischen Präsidenten François Hollande am vergangenen Wochenende in Paris. Der dort von Nigeria und seinen vier Nachbarn – Benin, Kamerun, Niger und Tschad – gemeinsam mit Frankreich verabschiedete Aktionsplan dokumentiert den festen Willen, an der Seite Nigerias gegen Boko Haram vorzugehen.
Auch wir dürfen unsere Augen nicht mehr vor dem menschenverachtenden Vorgehen von Boko Haram verschließen. Unser Platz ist an der Seite derjenigen, die dem terroristischen Wirken von Boko Haram Einhalt gebieten wollen. Wir alle verurteilen die Terroranschläge und die Entführung der nigerianischen Mädchen auf das Schärfste. Zu groß ist die weltweite Anteilnahme am Schicksal der Mädchen, als dass wir tatenlos bleiben könnten. Es muss daher alles getan werden, um die Mädchen sehr schnell aus den Fängen der Terroristen zu befreien.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Es muss ferner alles getan werden, um zu einer Lösung des Konflikts und seiner Ursachen in Nigeria beizutragen. Wir dürfen die Ursachen von Konflikten, die Ursachen, die dazu führen, dass terroristische Gruppen wie Boko Haram – aber auch andere militante Gruppen – junge Frauen, Männer und Kinder für ihre kranken Aktivitäten und Ziele rekrutieren können, nie aus den Augen lassen. Vielmehr müssen wir alles dafür tun, um mögliche und tatsächliche Ursachen von Konflikten anzugehen. Gerade die Armut im Norden Nigerias zu bekämpfen, einem Land mit einem enormen Wirtschaftspotenzial, und das Gefälle zwischen dem reichen Süden und dem armen Norden abzubauen, würde dazu beitragen, solchen Terrorgruppen im übertragenen Sinne das Wasser abzugraben. Hier ist die internationale Entwicklungspolitik gefordert, hier ist die deutsche Entwicklungspolitik gefordert. Hierfür stehen uns äußerst wirksame Maßnahmen und Instrumente zur Verfügung, um unserem Partnerland Nigeria bei der Gestaltung einer friedlichen und sozial, ökologisch und ökonomisch nachhaltigen Entwicklung zur Seite zu stehen.
Heute – und solange die Mädchen nicht befreit wurden – geht es aber vorrangig darum, alle Möglichkeiten zu eruieren und zu ergreifen, die nötig sind, um sie sicher zu ihren Familien zurückzubringen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])
Als nächstem Redner erteile ich dem Kollegen Cem Özdemir, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3436484 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 35 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde zu den entführten Schulmädchen in Nigeria |