21.05.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 35 / Zusatzpunkt 2

Frank SchwabeSPD - Aktuelle Stunde zu den entführten Schulmädchen in Nigeria

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Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Damen und Herren! Es ist zwar schon oft gesagt worden; aber ich will es dennoch wiederholen: Unser ganzes Beileid gehört den Angehörigen der Opfer der terroristischen Anschläge von gestern und der letzten Monate und Jahre. Betroffen sind im Übrigen Angehörige vieler Religionsgruppen, Muslime und Christen. Unser Mitgefühl gilt auch den Angehörigen und Freunden der entführten Mädchen. Die sogenannte Terrorgruppe Boko Haram hat nicht nur die Mädchen, sondern im Prinzip ein ganzes Land in Geiselhaft genommen. Alle Anstrengungen der nigerianischen Regierung ebenso wie die internationale Unterstützung durch die afrikanischen Staaten – ich finde, auch das muss man immer wieder betonen –, aber auch durch die USA, Frankreich und andere sind richtig und begrüßenswert.

Die Debatte heute ist richtig und muss sein. Ihr wohnt zwar wieder ein Fehler inne, den man aber machen muss, wenn solche aktuellen Ereignisse auftreten. Denn wir haben uns eigentlich vorgenommen, Afrika nicht nur als Krisenkontinent wahrzunehmen; wir wollen auch über Potenziale und Erfolge reden. Gerade die afrikapolitischen Leitlinien, die heute durch das Bundeskabinett verabschiedet worden sind, bieten dafür einen ausgewogenen Ansatz, würdigen die eigenen Anstrengungen Afrikas im Rahmen eigener Konfliktlösungsstrategien und betonen die Notwendigkeit einer sozial gerechten Entwicklung und die Einhaltung von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit als Grundlagen jeder Entwicklung.

Nigeria selbst ist das ökonomisch stärkste Land Afrikas, ein Land mit einem enormen Bevölkerungswachstum, enormen Rohstoffreserven und stark zunehmender Bedeutung weltweit. Es ist das zentrale Land auf dem afrikanischen Kontinent. Nigeria ist aber auch geschüttelt von Militärdiktaturen, ein Land mit äußerst großen Herausforderungen durch die Vielfalt der Bevölkerung – es gibt allein mehr als 500 Sprachen – und geprägt durch Rohstoffkonflikte, die schon angesprochen worden sind.

Genau das ist sicherlich der Hintergrund oder zumindest die Hintergrundmelodie des Konfliktes rund um Boko Haram. Es sind Vertreter der katholischen Kirche und muslimische Führer – Kollegin Bulmahn hat eingangs darauf hingewiesen –, die betonen, dass es im Kern eben nicht um einen Religionskonflikt geht, was schon dadurch deutlich wird, dass es mindestens genauso viele muslimische wie christliche Opfer gibt. Es gibt aber die Gefahr, dass aus diesem Konflikt ein Religionskonflikt wird. Deshalb – das will ich zweimal unterstreichen – sollten die internationale Gemeinschaft und insbesondere wir es unterlassen, diesen Konflikt entsprechend darzustellen. Ich finde, wir sollten uns da an die christlichen und muslimischen Führer halten und es entsprechend darstellen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Auf die Bildung ist schon umfassend eingegangen worden. Deswegen kann ich nur betonen: Die Bildung ist eine zentrale Frage auch für die Entwicklungszusammenarbeit. Leider haben heutzutage in Nigeria nicht alle Mädchen eine Schulausbildung. Es darf aber in der Tat niemandem zum Verhängnis werden, dass er sein Anrecht auf Bildung wahrnimmt. Wie bereits gesagt, sind insbesondere Schulen Angriffen von Terrorgruppen ausgesetzt. Nigeria ist dabei leider kein Einzelfall. In mindestens 30 Ländern weltweit werden Schulen zum bewussten Ziel von Terroristen und bewaffneten Gruppen. Bildung ist eine Bedrohung für ihre Absichten. Deshalb muss es ein zentrales, internationales Anliegen sein, dass Schulen einen besonderen Schutz bekommen und dass das von allen Ländern, im Übrigen auch von Deutschland, respektiert und international vereinbart wird.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Viele Konflikte in Nigeria basieren auf der Ausbeutung von Rohstoffen, wie das Schicksal von Ken Saro- Wiwa zeigt, das wir sicherlich alle noch in Erinnerung haben. Deswegen sind Fortschritte bei der Verabredung internationaler, sozialer, kultureller und ökonomischer Standards von zentraler Bedeutung. Das ist die zentrale Aufgabe, die wir hier im Deutschen Bundestag haben.

(Beifall der Abg. Dr. Bärbel Kofler [SPD])

Der Kampf gegen Terrorismus muss auch immer ein Kampf um den Erhalt von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit sein. Daher ist es von zentraler Bedeutung, dass Regierungen, die gegen Terrorismus kämpfen, nicht selbst gegen die Prinzipien von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit verstoßen, die sie eigentlich aufrechterhalten wollen.

(Beifall der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])

Deswegen muss es uns Sorge bereiten, dass die Regierung in Nigeria oft gegen Menschenrechte verstößt, auch im Kampf gegen Boko Haram. Am Ende wird Terrorismus mit den stärksten polizeilichen und militärischen Mitteln nicht besiegt werden können, wenn ihm nicht der gesellschaftliche Boden entzogen wird. Doch der gesellschaftliche und ökonomische Fortschritt kommt leider – das wurde hier bereits mehrfach betont – bei vielen Menschen im Land nicht an. Korruption ist ein riesengroßes Problem. Präsident Jonathan Goodluck hat dazu richtigerweise gesagt: „Ich kann nicht feiern, solange nicht alle Nigerianer die positiven Auswirkungen unseres Wachstums spüren.“ Der im März 2014 vorgestellte Nigeria’s Soft Approach to Counter Terrorism, der auf die sozioökonomischen Ursachen des Konflikts mit Boko Haram abzielt, ist dazu ein richtiger Ansatz. Aber wir müssen die Regierung auch auffordern, ihn Realität werden zu lassen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Nigeria muss also Fortschritte beim Einsatz für die soziale Teilhabe und bei der Durchsetzung menschenrechtlicher Standards machen. Dazu gehört auch die Abschaffung der Todesstrafe. Der Kampf gegen den Terrorismus muss rechtsstaatlichen Prinzipien gerecht werden. Wenn die Regierung Nigerias diesen Weg geht, dann hat sie unsere volle Unterstützung verdient.

Ich will betonen: Wir alle hoffen, dass die entführten Mädchen schnellstmöglich freikommen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Als nächstem Redner erteile ich das Wort Charles M. Huber, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3436489
Wahlperiode 18
Sitzung 35
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde zu den entführten Schulmädchen in Nigeria
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