21.05.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 35 / Zusatzpunkt 2

Frank HeinrichCDU/CSU - Aktuelle Stunde zu den entführten Schulmädchen in Nigeria

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Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Mehr als 200 Mädchen in Nigeria sind seit Mitte April entführt. Die Aktion „#BringBackOurGirls“, gerade von meiner Kollegin in diesem Saal angesprochen, steht für weltweite Solidarität. Auch der Ausschuss, dem ich angehöre, der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, AwZ, hat diese Tat einhellig verurteilt. Diese Haltung kommt auch in den Kommentaren der verschiedenen Sprecher heute Nachmittag hier zum Ausdruck. Das ist gut so. Ich bin als Menschenrechtler natürlich damit einverstanden, dass wir emotional auf diese Entführung reagieren, dass unser Herz reagiert. Aber es braucht auch unseren Kopf und unsere Hände, die dem folgen müssen; sonst bleibt es am Schluss bei heißer Luft.

Das Herz als Erstes. In dem Statement, international über Facebook verbreitet, heißt es: „our Girls“ – unsere Mädchen. Das geht uns, wie mein Kollege Özdemir vorhin gesagt hat, sehr wohl etwas an; schließlich geht es um Menschenrechte, um Sicherheitspolitik, um die weltweite Fragilität in solchen Umfeldern. Vieles dieser Art existiert nicht nur latent, sondern ist uns präsent vor Augen. Wir sehen es in der Ukraine, in Zentralafrika und in Syrien. Man könnte noch einige weitere Länder aufzählen. Immer wieder ist in solchen Konflikten die Religion ein zentraler Faktor. Egal um welche Religion es geht: Eigentlich sollte es um die Herzensbildung, um Aufklärung, um interreligiösen Dialog gehen, der in Nigeria an vielen Stellen beispielhaft praktiziert wird. Dem stehen Fanatismus und Instrumentalisierung der Religion entgegen. Das haben Sie, Frau Bulmahn, sehr deutlich gemacht.

Wenn für den Umgang mit Menschenrechten allerdings nur das Herz zählt, dann kommt es sehr oft zu einer Betroffenheit, die lähmt. Aber wer sich gar nicht erst berühren lässt, wird auch nicht aktiv. Um etwas zu bewegen, darf es nicht beim heißen Herzen bleiben; vielmehr braucht man dazu sehr wohl einen kühlen Kopf. So lässt sich überhaupt auf die Straße und ins Dasein bringen, was es wirklich braucht.

Wir dürfen uns auch nicht von der Entwicklung in Nigeria ablenken lassen – Boko Haram wünscht das wahrscheinlich –; denn die ist sehr positiv. Wir haben gehört, dass Nigeria ein Vielvölkerstaat, ein toleranter Staat ist. Boko Haram könnte damit Erfolg haben, dass wir einfach ins gleiche Horn blasen. Die Islamisten richten ihre Botschaft auch gegen den Westen, auch gegen uns. Von unserer Reaktion darauf hängt ab, ob sie mehr oder weniger Erfolg haben.

Was die Ablenkung von politischen Aktionen angeht: Es gab kurz nach der Entführung in Nigeria eine Konferenz. Darüber ist kaum etwas berichtet worden; denn die Berichterstattung in den Medien war drei Tage lang von den Meldungen über die Entführung dieser Mädchen beherrscht. Als erster Schritt ist das gut. Für einen zweiten Schritt braucht es allerdings mehr.

Wir müssen in Erinnerung behalten: Es gibt sehr positive Schritte in der Entwicklung von Nigeria. Nigeria ist führend in der ECOWAS; es spielt dort eine tragende politische Rolle. Außerdem gibt es viele bilaterale Verträge mit diesem Staat. Fortschritte gibt es auch im Bereich der MDGs. Ich verweise auf die Halbierung der Kinder- und Müttersterblichkeit, sehr wohl wissend, dass der Süden und der Norden des Landes hierbei möglicherweise gravierende Unterschiede aufweisen. Die absolute Armut in Nigeria ist von 68 Prozent auf 34 Prozent reduziert worden. Auch diese Reduzierung ist, bezogen auf das ganze Land, ungleich verteilt.

Für uns als Menschenrechtler ist es bedeutsam, dass es dort eine demokratisch legitimierte Regierung gibt. Da gibt es eine gewisse Übereinstimmung, eine Art Code of Conduct. Menschenrechtsverletzungen werden gerichtlich verfolgt. Dies gilt, auch wenn – da haben Sie recht, Herr Kollege – Amnesty International immer wieder von Folterungen und Tötungen berichtet. Die müssen wir weiter anmahnen, auch wenn sie unrechtmäßig an Mitgliedern von Boko Haram vorgenommen werden.

Insofern müssen wir all die Fragen stellen – ich werde sie nicht wiederholen –, die heute in diesem Saal aufgeworfen wurden. Ziel ist, die tiefer liegenden Konfliktursachen zu bekämpfen. Darauf geht die heute Morgen im Ausschuss verabschiedete Erklärung ein. Positiv kann bei all dem sein, dass durch die Afrika-Strategie der Bundesregierung Dinge auf den Weg gebracht werden, die die Ursachen dieser Konflikte mit bekämpfen.

Für den zweiten Schritt ist also wichtig, nach dem Herzen den Kopf zu gebrauchen. Bei der Vorbereitung dieser Rede fielen mir heute Morgen Zeilen eines Liedes von Manfred Siebald ein, die meine Kindheit mit geprägt haben. Darin heißt es: „Ist schon alles gesagt? Sind wir wirklich schon dort, wo das Reden aufhört und die Tat folgt dem Wort?“ – Ja, dann braucht es unsere Hände.

Konkrete Maßnahmen – auch die will ich nicht alle wiederholen –: Es braucht zielgesteuerte Entwicklungshilfe hin zu partnerschaftlicher Zusammenarbeit. Nigeria ist Kooperationsland. Wir fordern, auch als AwZ, als Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit: Die internationale Gemeinschaft muss investieren, hauptsächlich in Bildung und in Arbeitsplätze. Zivile Mittel, wie Kollegin Weiss es vorhin erwähnt hat, müssen ins Land fließen, auch zur Bekämpfung von Energiearmut. An die Regierung Nigerias appellieren wir, die Zivilgesellschaft einzubeziehen und zu stärken. Es braucht eine Stärkung der NGOs im Land, auch was Menschenrechte angeht, sowie eine breitere Beteiligung an der wirtschaftlichen Entwicklung, zum Beispiel beim Öl.

Im konkreten Fall der entführten Mädchen geht es, in Abstimmung mit den USA und anderen Partnern, um Hilfe bei der Suche nach den Mädchen sowie möglicherweise langfristig um gezielte Ausbildung und Begleitung bei Ermittlungen und Terrorbekämpfung. Da können wir uns beteiligen. Ein wichtiger Schritt war letzte Woche der Gipfel zu Boko Haram in Paris. Zudem müssen die Nachbarländer, vor allem Kamerun, im Kampf gegen Boko Haram unterstützt werden. Sie bilden einen Rückzugsraum für deren Leute.

Ich fasse zusammen: Zum Ersten müssen wir tun, was wir hier heute gesagt haben. Zum Zweiten müssen wir weiterhin den Grundwasserspiegel – ich sage das im übertragenen Sinne – von Wohlstand, von Menschenrechtsbedingungen zu heben helfen, sowohl im Norden Nigerias als auch in der Region allgemein. Zum Dritten: Bring back our girls! Wir verurteilen die Entführung aufs Allerschärfste und fordern von Boko Haram die sofortige Freilassung der Mädchen. Set them free!

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das war der letzte Beitrag in einer, wie ich denke, sehr ernsten und sehr wichtigen Debatte. Alle Fraktionen haben gezeigt, dass der Deutsche Bundestag sich als Stimme der Menschenrechte in der Welt versteht. Wir sind zwar am Schluss der Tagesordnung, aber bei diesem Thema sicherlich nicht am Ende. Wir werden es aufmerksam und mit öffentlicher Wirksamkeit weiter begleiten.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3436527
Wahlperiode 18
Sitzung 35
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde zu den entführten Schulmädchen in Nigeria
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