Albert RupprechtCDU/CSU - Berufliche Bildung
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lieber Kollege Spiering, ich teile in Gänze Ihre Begeisterung für das berufliche Bildungssystem. Es ist weltweit wertgeschätzt, wir werden darum beneidet. Topqualität bei Produkten, Spitzenprodukte aus Deutschland sind nur möglich, weil wir topausgebildete Gesellen, Meister und Fachkräfte haben.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Das ist etwas, worauf wir stolz sein können, und das gilt es zu erhalten.
Trotzdem sage ich explizit dazu: Ich teile nicht die Beschreibung und auch nicht den Großteil der Instrumente, die die Linken und die Grünen vorschlagen. Mir geht es jetzt um einen vollkommen anderen Aspekt, der eigentlich bis dato auch von der Opposition nicht thematisiert wurde: Ich habe ein Stück weit die Sorge, dass wir im Augenblick den Ast absägen, auf dem wir sitzen. Ich möchte das begründen mit den Zahlen, die uns seit wenigen Wochen vorliegen: Im Jahr 2000 hat ein Drittel der jungen Menschen studiert. Derzeit studiert die Hälfte bzw. beginnt mit dem Studium. Wir wollten das auch, und diese Entwicklung war auch ein Stück weit notwendig. Nach der Prognose der KMK vom 8. Mai dieses Jahres werden 2020 – das heißt, in nur sechs Jahren – aber zwei Drittel eines Jahrgangs an die Hochschulen gehen. Wenn das Realität wird, dann besteht in der Tat die Gefahr, dass das berufliche Bildungssystem ein Stück weit kollabiert. Deswegen müssen wir uns über den richtigen Mix Gedanken machen.
Wenn es so kommt, wie die Prognosen besagen, dann erleben wir erstens, dass Deutschland die Meister, die Gesellen und die Fachkräfte ausgehen. Das DIW prognostiziert für 2020 1,4 Millionen fehlende Facharbeiter allein im Bereich der MINT-Berufe. Wir alle wissen, dass diese Prognosen immer unter Annahmen gemacht werden, aber das sollte und muss uns wachrütteln.
Wir haben die Expansion an den Hochschulen in den vergangenen Jahren gewollt, und sie war auch richtig. Ich finde aber, dass jetzt das richtige Maß verloren geht und dass das Ganze kippt.
Wenn tatsächlich zwei Drittel eines Jahrgangs an die Hochschulen gingen, dann wäre zweitens die Konsequenz nicht nur, dass uns Facharbeiter fehlen würden, sondern auch, dass noch mehr junge Menschen frustriert würden. Bereits heute stellen wir nämlich fest, dass – das ist doch die Realität an den Hochschulen – viele Studenten überfordert sind. 35 Prozent der Studierenden brechen ihr Studium ab oder wechseln das Fach. Jeder Vierte verlässt die Universität ohne Abschluss.
(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Woher nehmen Sie diese Zahlen?)
Die Zahl der Studierenden, die sagen, dass sie überfordert sind und Prüfungsangst haben, nimmt zu. Selbst diejenigen, die das Studium schaffen, sind zunehmend frustriert.
(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wird jetzt das Studium schlechtgeredet, oder wie?)
Es ist doch nicht so, wie es manche formulieren, beispielsweise Dr. Schleicher, der sagt: Werde Akademiker, dann hast du eine goldene Zukunft. – Auch hier ist die Situation natürlich viel differenzierter.
Wenn ein Architekt mit 30 Jahren eine Tätigkeit ausführt, die eigentlich auch ein 17-jähriger technischer Zeichner ausführen könnte, und wenn er dafür auch kein Architektengehalt, sondern das Gehalt eines technischen Zeichners bekommt, dann stimmt hier etwas nicht.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Studieren mag für viele ein Königsweg sein, aber nicht für alle. Die Wirklichkeit ist differenzierter. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir uns ernsthaft Gedanken darüber machen und auch thematisieren müssen, ob die berufliche Ausbildung für viele junge Menschen nicht der deutlich bessere Entwicklungsweg wäre.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
Wenn es sich wirklich so entwickeln sollte, wie die KMK prognostiziert, dann würden wir drittens auch die Hochschulen massiv überfordern. Wenn zwei Drittel eines Jahrgangs studieren, dann werden die Hochschulen am Ende, wie es Professor Lenzen formuliert hat, wie es aber auch das EFI-Gutachten und der Wissenschaftsrat zum Ausdruck bringen, mehr Berufsschule als Universitäten im Sinne von Humboldt sein.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das sind sie ohnehin schon fast!)
Es stellt sich die Frage: Wie sehen wir die Hochschulen? Ich bin der Meinung, wir wollen an den Hochschulen nach wie vor eine exzellente akademische Ausbildung für junge akademisch und intellektuell begabte Menschen. Genauso wollen wir parallel dazu im Bereich der beruflichen Bildung eine exzellente Ausbildung zum Gesellen, zum Meister und zur Fachkraft für praktisch begabte junge Menschen ermöglichen.
Herr Kollege Rupprecht, darf der Kollege Gehring Ihnen eine Zwischenfrage stellen?
Gerne.
Herr Rupprecht, Sie formulieren Ihre Thesen ja schon seit mehreren Wochen und Monaten, und Sie haben auch in einer Pressemitteilung geschrieben, der gesellschaftliche Grenznutzen der Akademisierung sei überschritten und der Studienwunsch des Einzelnen dürfe nicht mehr allein maßgeblich sein. Wir als Grüne halten überhaupt nichts davon, die akademische und die berufliche Bildung gegeneinander auszuspielen;
(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Wir auch nicht!)
denn wir brauchen Meister und Master und nicht Meister statt Master, wie Sie es formulieren.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])
Ich würde jetzt einfach einmal gerne wissen, welche Konsequenz Sie aus dem, was Sie jetzt gerade und in den Pressemitteilungen verkünden, ziehen. Wollen Sie damit den jungen Menschen in einer freiheitlichen Gesellschaft ernsthaft vorschreiben, was sie künftig machen, ob sie studieren oder sich beruflich ausbilden lassen? Wollen Sie hier eine neue CSU-Planwirtschaft betreiben und die NC deutlich nach oben treiben? Was heißt das denn in der Konsequenz, wenn Sie vor einer Akademisierungswelle warnen? Man muss doch beide Bereiche attraktiv halten und darf hier jetzt nicht das Studium schlechtreden. Was ist also Ihre Konsequenz? NC für alle und Planwirtschaft durch die CSU?
Kollege Gehring, wir sind in zwei Punkten beieinander. Erstens sind wir darin beieinander, dass wir für jeden jungen Menschen das richtige Angebot brauchen. Wenn zwei Drittel der jungen Menschen an die Hochschulen gehen, dann bin ich der festen Überzeugung, dass sich viele in einer dualen beruflichen Ausbildung besser entwickeln könnten.
Zweitens sind wir in der Aussage beieinander, dass wir den richtigen Mix brauchen; das meine auch ich. Aber ich sage noch einmal: Im Jahr 2000 hat sich ein Drittel der jungen Menschen an den Hochschulen eingeschrieben, in sechs Jahren sollen es zwei Drittel sein; das Verhältnis hat sich also umgekehrt. Glauben Sie ernsthaft, dass das der richtige Mix ist, was die Zukunftsaufgaben in Deutschland betrifft, Stichwort „Fachkräftebedarf“?
(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt so nicht!)
Zu den Instrumenten komme ich jetzt ohnehin. Deshalb möchte ich nun in meiner Rede fortfahren.
Dass zwei Drittel der jungen Menschen studieren, kann nicht unsere Vision für die Hochschulen sein. Das sage nicht nur ich, und es sagen auch nicht nur wenige Experten, sondern darüber wird im Augenblick breit diskutiert. Der Wissenschaftsrat hat sich dazu positioniert, und auch im EFI-Gutachten wird ausführlich ausgeführt, dass wir einen vernünftigen Mix von beruflicher und akademischer Bildung brauchen.
Was müssen wir machen? Erstens. Wir müssen all das umsetzen, was Ministerin Wanka formuliert hat. Sie hat eine Vielzahl an Maßnahmen ausgeführt. Sie hat formuliert, dass wir berufliche Bildung zum Schwerpunkt in dieser Legislatur machen und sie aufwerten wollen.
Ich nenne einmal die Stichpunkte – ich sage explizit, dass diese Punkte für uns als Unionsfraktion in den Koalitionsverhandlungen ein außerordentlich großes Anliegen waren –:
Wir werden den Ausbildungspakt zur Allianz für Aus- und Weiterbildung weiterentwickeln.
Wir werden eine Ausbildungsgarantie beschließen. Das wird nicht einfach auf politischer Ebene geschehen, sondern das wird in der Allianz mit den Akteuren besprochen werden.
Wir werden die Bildungsketten und die assistierte Ausbildung erheblich ausbauen.
Wir werden die Durchlässigkeit des Systems erhöhen, und zwar in beide Richtungen.
Darüber hinaus werden wir viele andere Maßnahmen ergreifen; Ministerin Wanka hat die Vielzahl der Maßnahmen angesprochen. Das wird substanziell etwas kosten und entsprechend finanziell ausgestattet werden.
Natürlich müssen wir uns anschauen, ob die Anreize fair gesetzt sind. Wenn der Student kostenlos studieren kann, weil das der Wunsch der Bevölkerung ist – der zu akzeptieren ist –, aber der Meister im Schnitt 10 000 Euro zahlt, dann ist der Anreiz nicht wirklich fair gesetzt.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Wir wissen, dass das ein Kraftakt ist, aber man muss darüber nachdenken, wenn man von Wettbewerbschancen und von Attraktivität redet.
Zweitens. Wir werden den vernünftigen Mix nicht nur durch eine Aufwertung der beruflichen Bildung erreichen, sondern es stellt sich auch die Frage, was das für die Hochschulen, die zweite Säule, heißt. Ich maße mir jetzt nicht an, auf der Basis der KMK-Prognose vom Mai dieses Jahres schon alle Instrumente herunterbeten zu können. Ich verweise aber auf die Stellungnahme des Wissenschaftsrates. Das ist doch eine ernstzunehmende Institution. In der Stellungnahme des Wissenschaftsrates heißt es, dass „eine indirekte Steuerung der Ausbildungsentscheidungen von Schulabgängern über die Bereitstellung von Studienplatzkapazitäten unvermeidbar“ sei. Das ist also nicht nur die Meinung von Albert Rupprecht, sondern auch die des Wissenschaftsrates.
Herr Kollege Gehring, es würde mich außerordentlich wundern, wenn die Grünen ab heute die Positionen und Stellungnahmen des Wissenschaftsrates in Bausch und Bogen verdammen würden.
(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was ist mit dem Hochschulpakt?)
Man muss darüber doch zumindest ernsthaft nachdenken. Wenn Professor Marquardt sagt, man diskutiere im Augenblick die Instrumente, dann wissen wir alle, dass jedes Instrument seine Vor- und Nachteile hat. Aber darüber zu diskutieren, ist unabdingbar.
Der Wissenschaftsrat hat angekündigt, diese Einschätzung, diese Positionierung im Hinblick auf die Instrumente in den nächsten Wochen und Monaten zu präzisieren. Wir müssen uns die Zeit nehmen, das abzuwarten und dann diese Vorschläge ernsthaft zu debattieren. Ich glaube beispielsweise, dass die Finanzierung des Hochschulpaktes – Ministerin Wanka hat dazu bereits etwas gesagt – von der Zahl der Studienanfänger abhängt. Es geht auch darum, dass die Qualität an den Hochschulen erhöht wird, dass die Zahl der Abschlüsse steigt, dass wir die Abbrecherquoten senken. Deswegen muss natürlich auch dieses Thema Bestandteil des Hochschulpaktes sein. Wir können nicht einfach sagen: Wir machen weiter wie bisher, ohne auf die Qualität zu achten. Wir überweisen das Geld, und damit hat es sich. – Im Wissen um die Prognosen muss auch der Hochschulpakt entsprechende Elemente beinhalten und vernünftige Antworten auf die sich stellenden Fragen geben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte es abschließend so auf den Punkt bringen: Die große Wertschätzung der dualen beruflichen Bildung, bei der wir uns in diesem Hause, glaube ich, alle einig sind, bedeutet in der Konsequenz, dass wir auch in die Zukunft schauen müssen. Die Prognosen der KMK müssen uns wachrütteln. Wenn wir das System, um das uns die Welt beneidet, auch in Zukunft aufrechterhalten und stabilisieren wollen, dann braucht es viele Einzelmaßnahmen. Aber es braucht auch vernünftige und kluge Grundsatzentscheidungen.
Danke schön.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Das Wort erhält nun die Kollegin Sabine Zimmermann für die Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 36 |
Tagesordnungspunkt | Berufliche Bildung |