Sabine ZimmermannDIE LINKE - Berufliche Bildung
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Spiering, erst einmal zu Ihnen: Ich weiß, wovon ich rede. Ich bin seit 20 Jahren Vorsitzende des Berufsbildungsausschusses der IHK Chemnitz und der Handwerkskammer Chemnitz. Das sage ich Ihnen, damit Sie nicht davon ausgehen müssen, wir wüssten nicht, wovon wir reden.
Ihre Sichtweise ist natürlich die der Berufsschullehrer als eine Säule der dualen Ausbildung. Das ist zwar richtig, aber dazu gehört noch ein bisschen mehr. Sie wissen, dass auch die Unternehmen und die Kammern dazugehören. Sie alle muss man im Blick haben und nicht nur die Sicht der Berufsschullehrer.
Ich muss Ihnen auch sagen: Es gibt noch große Unterschiede zwischen Ost und West. Wir schieben im Osten immer noch eine ziemliche Bugwelle vor uns her, nämlich die Altbewerber aus den vorhergehenden Entlassjahren, die immer noch in sogenannten Warteschleifen sind. Deswegen hat meine Kollegin durchaus zu Recht gesagt, dass sie teilweise ziemlich lange in solchen Warteschleifen bleiben. Dazu hat übrigens Frau Ministerin Wanka überhaupt nichts gesagt.
Meine Damen und Herren, Sie alle wissen, dass Auszubildende ein Berichtsheft zu führen haben. In diesem dokumentieren sie die wichtigen Dinge ihrer Ausbildung. Wenn sie wesentliche Inhalte vergessen oder Nebensächlichkeiten zu sehr in den Vordergrund stellen, dann gibt es von den Ausbildern die Rückmeldung: Neu schreiben!
Ich kann diesen Auszubildenden nur raten, sich kein Beispiel an der Bundesregierung zu nehmen. Sie nimmt alles in den Bericht auf, was die berufliche Ausbildung in Deutschland in einem richtig schönen Licht erscheinen lässt, aber die zentralen Fragen wie die hohe Zahl unversorgter Bewerber, die Qualität der Ausbildung und die Perspektiven nach der Ausbildung werden weitestgehend ausgeblendet. Ich finde, das ist ein starkes Stück; denn in allen diesen Fällen gibt es erheblichen Handlungsbedarf. Auch hier bleibt eigentlich nur das Urteil: Neu schreiben oder wenigstens nächstes Mal besser machen!
(Beifall bei der LINKEN)
Wenn Sie wirklich wissen wollen, was in der Ausbildung leider alles möglich ist, besuchen Sie doch das Onlineforum „Dr. Azubi“ auf der Internetseite des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Hier suchen Auszubildende Rat und Hilfe. Schauen Sie sich diese Meldungen dort einmal an!
Janek, ein Auszubildender, schreibt:
Das ist die Realität, meine Damen und Herren.
Sabrina, eine Auszubildende, schreibt:
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind keine Einzelfälle. Es gibt eine Fülle von Problemen in der Ausbildung selbst. Nach dem Ausbildungsreport des DGB macht ein Drittel aller Auszubildenden regelmäßig Überstunden. Sie wissen, dass Auszubildende keine Überstunden machen dürfen, erst recht nicht, wenn sie unter 18 Jahre alt sind. 10 Prozent üben ausbildungsfremde Tätigkeiten aus, also das sogenannte Hofkehren oder auch Kopieren. 33 Prozent besitzen noch nicht einmal einen Ausbildungsplan.
Was sagt die Bundesregierung dazu, dass Auszubildende als billige Arbeitskräfte missbraucht werden und ihnen eine fachgerechte und umfassende Ausbildung einfach vorenthalten wird? Nichts findet sich dazu im Berufsbildungsbericht. Wenn es insgesamt diese Mängel bei der Ausbildungsqualität und beim Jugendarbeitsschutz gibt, kann sich die Bundesregierung nicht einfach davonstehlen und den Ländern und Kammern die Schuld in die Schuhe schieben. Arbeitgeber können nicht über einen angeblichen Fachkräftemangel klagen, wenn es solche gravierenden Ausbildungsmängel gibt. Nicht zuletzt deswegen werden Ausbildungsplätze oft nicht besetzt oder Ausbildungsverträge aufgelöst.
Wir müssen uns fragen: Wie wirksam sind denn die derzeitigen Kontrollen? Im Jahr 2011 gab es in den Betrieben gerade einmal 3 400 Kontrollen zum Jugendarbeitsschutz. Das ist nicht viel im Vergleich zu 1,4 Millionen Ausbildungsverhältnissen. Es gibt offensichtlich Reformbedarf. Aber davon will unsere Regierung nichts wissen.
Ein zweiter Punkt, der im Berufsbildungsbericht der Bundesregierung fehlt, ist die Frage der Perspektive nach der Ausbildung. Im dualen System geht ein Drittel der Auszubildenden nach der Ausbildung in die Arbeitslosigkeit. Diejenigen, die übernommen werden, haben oft nur befristete Verträge. Deshalb ist auch hier die politische Botschaft klar: Befristungen sind einzudämmen, und unbefristete Übernahmen sollten eigentlich die Regel werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Großen Koalition, gute Politik beginnt mit einer kritischen und schonungslosen Analyse der Ausgangssituation. Oder um es für die Sozialdemokraten unter Ihnen mit Ferdinand Lassalle zu sagen: „Alle große politische Aktion besteht im Aussprechen dessen, was ist, und beginnt damit.“ Was dieser Bericht alles nicht ausspricht, lässt leider nichts Gutes für Ihre Politik im Bereich der Ausbildung erahnen. Das ist keine gute Botschaft für unsere Jugend, aber für uns als Linke Anlass genug für den Appell, umso nachhaltiger für das Recht auf gute Ausbildung weiterhin zu streiten.
Danke schön.
(Beifall bei der LINKEN)
Für die Bundesregierung hat nun die Staatsministerin Frau Özoguz das Wort.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Tim Schultheiß und Hakan Yilmaz bewerben sich für eine Ausbildung als Kfz-Mechatroniker. Beide sind Jahrgang 1996. Beide sind in Deutschland geboren. Beide haben Schulzeugnisse mit einem Notendurchschnitt von 2,0. Doch etwas Gravierendes unterscheidet diese beiden: Hakan hat deutlich schlechtere Chancen als Tim, zum Bewerbungsgespräch für den Ausbildungsplatz eingeladen zu werden. Hakan muss 50 Prozent mehr Bewerbungen schreiben. Allein diese Tatsache ist für uns nicht hinnehmbar.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Dieses Ergebnis stammt aus der aktuellen repräsentativen Studie „Diskriminierung am Ausbildungsmarkt“ des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration. Jugendliche mit bestimmten Zuwanderungsgeschichten haben bereits in der ersten Bewerbungsphase schlechtere Chancen auf einen Ausbildungsplatz, und das trotz gleicher bzw. identischer Qualifikation. Wie wir wissen, ist das nur die Spitze. Negativen Einfluss können auch neudeutsche Namen, das Geschlecht und manchmal sogar die Schule, die man besucht hat, ausüben; das alles wird in der Studie aufgezeigt.
Die Situation auf dem Ausbildungsmarkt zeigt uns, dass bei denjenigen, die eine Zuwanderungsgeschichte haben, noch sehr viel zu tun ist; denn laut Berufsbildungsbericht 2014 beginnen nur halb so viele Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit – nur für diese Gruppe liegen Zahlen vor; das ist aber nur die Hälfte derjenigen mit Migrationshintergrund – eine Ausbildung wie junge Deutsche. Wir haben hier ein Verhältnis von 29 Prozent zu 59 Prozent zu verzeichnen, obwohl ein gleich großes Interesse an einer Berufsausbildung festzustellen ist und – ich glaube, das wissen viele nicht – obwohl Eltern mit Migrationshintergrund höhere Bildungserwartungen an ihre Kinder haben als Eltern ohne Migrationshintergrund.
Für alle Jugendlichen kommt erschwerend hinzu – das wurde unter anderem schon von der Bundesministerin genannt –, dass es ein Rekordtief bei neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen gibt. Frau Hein, wir sind uns einig, dass das heutige Übergangssystem eher zu einer Art Paternoster geworden ist, in dem die Jugendlichen hoch- und herunterfahren, aber aus dem sie nicht herauskommen. Dieser Zustand wurde bereits benannt und muss verändert werden, wenn wir eine ordentliche Ausbildung für Jugendliche wollen.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Das ist im Übrigen auch der Grund, warum ich mir als Integrationsbeauftragte der Bundesregierung das Thema Ausbildung als Schwerpunkt für das Jahr 2014 gesetzt habe. Ich habe mich sehr gefreut, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel auch sofort zugesagt hat, den Integrationsgipfel Ende des Jahres zum Thema Ausbildung tagen zu lassen, damit wir dort wirklich alle Ergebnisse zusammenfassen können.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Ich denke, dass wir vor allen Dingen vier zentrale Ziele verfolgen müssen. Erstens geht es darum, die Ausbildungsbeteiligung von Jugendlichen zu erhöhen. Wir müssen immer auch bedenken, dass nicht alle einen sogenannten Migrationshintergrund haben. Aber bestimmte Namen wirken offenbar anders als andere. Damit die Ausbildungsbeteiligung erhöht werden kann, müssen zweitens mehr Unternehmen ausbilden.
Drittens brauchen wir offensichtlich mehr interkulturelle Sensibilität bei der Bewerberauswahl; denn wer zum Beispiel zusätzlich zum Deutschen eine weitere Sprache spricht oder sich in anderen Kulturkreisen auskennt, verfügt über wertvolle weitere Qualifikationen. Das sollte anerkannt werden, anstatt Bewerber mit fremd klingenden Namen sofort auszusortieren.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Das bringt mich zum vierten Punkt. Auch auf dem Ausbildungsmarkt können wir einiges gegen Diskriminierung tun. Es gibt eine Idee, die durch den Raum geistert – das ist nicht die einzige gute Idee –, und zwar die der anonymen Bewerbung. Anonyme Bewerbungsverfahren können zumindest dazu beitragen, dass man im ersten Angang nicht aussortiert wird, weil sich zunächst einmal ein anderes Bild darstellt. Wir haben Unternehmer – ich hatte neulich das Vergnügen, jemanden aus Baden-Württemberg zu hören, und es gibt das Beispiel der Stadt Celle –, die das einfach einmal ausprobiert haben und sagen, dass sie plötzlich eine ganz andere Mischung bei den Bewerbungsgesprächen als vorher vorfinden, als sie schon im ersten Angang wussten, wie die Bewerber aussehen, heißen usw. Offensichtlich ist das ein ganz vernünftiges Verfahren, und das sollten wir deswegen auch unterstützen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)
Mir machen einige Beispiele, die neu sind, durchaus Mut. Das eine brauche ich gar nicht weiter auszuführen; Rainer Spiering hat es erwähnt. Ich meine die Jugendberufsagentur in Hamburg. Wir haben letzte Woche auf der Bundeskonferenz aller Integrationsbeauftragten aus Bund, Ländern und Kommunen über dieses Modell gesprochen. Es ist natürlich einfacher in Stadtstaaten, die Arbeitsagenturen, die Behörden und die Bezirksämter miteinander zu vernetzen, vor Ort an den Schulen präsent zu sein und Jugendliche immer wieder frühzeitig zu informieren. Ich finde an diesem Modell besonders interessant, dass es Jugendliche sind – ich konnte das selber erleben –, die sagen: Wieso fragt plötzlich jemand nach mir? Ihr habt euch doch bis heute nicht für mich interessiert. – Es ist schon wirklich spannend, wenn man das zu hören bekommt.
(Beifall bei der SPD)
Wichtig ist auch, sich immer wieder bewusst zu machen – das ist schon gesagt worden –: Es lässt sich vieles machen, wenn der politische Wille da ist. Es sind natürlich schwierige Mechanismen, die da funktionieren müssen, und das ist in Flächenländern schwieriger. Ich möchte aber auch ein gutes Beispiel für ein Flächenland nennen. In Baden-Württemberg gibt es das Projekt carpo für die assistierte Ausbildung. In diesem Rahmen wird an circa 20 Standorten jungen Menschen mit besonderem Förderbedarf eine betriebliche Ausbildung ermöglicht. Dieses Projekt hilft bei der Suche nach geeigneten Ausbildungsstellen, bereitet darauf vor – wir wissen, dass das manchmal eine wichtige Zeit für junge Leute ist – und hilft auch bei Fragen zur Wohnung, Kinderbetreuung etc. Dass 85 Prozent der Teilnehmer dank dieses Projekts offensichtlich den Übergang in Arbeit oder eine betriebliche Ausbildung schaffen, ist ein Erfolg. Wir sollten uns auf die Dinge konzentrieren, die uns so gute Zahlen bescheren.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Ich bin Bildungsministerin Wanka sehr dankbar, dass sie diese Weiterentwicklung zur Allianz mit anderen gemeinsam vorantreibt. Ich denke, es muss uns in dieser Allianz für Aus- und Weiterbildung auch gelingen, die vorhandenen Instrumente zu verzahnen, um am Ende zu einer Art Ausbildungsgarantie zu kommen. Das ist das Ziel für uns alle. Wir wollen kein Kind ohne Ausbildung lassen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ein allerletzter Punkt. Bei aller Freude über die aktuellen Zahlen der OECD zur Fachkräftezuwanderung, die am Anfang genannt wurden, möchte ich eines deutlich sagen: Bei dem Ruf der Wirtschaft nach Fachkräften – ich habe dies immer unterstützt; wir brauchen Zuwanderung in unser Land, also bitte nicht falsch verstehen – dürfen wir niemals außer Acht lassen, dass wir auch erhebliche Potenziale im Inland haben und dass es eine zentrale Aufgabe ist, diese zu unterstützen und auszubilden.
Danke.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Brigitte Pothmer ist die nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3437821 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 36 |
Tagesordnungspunkt | Berufliche Bildung |