22.05.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 36 / Tagesordnungspunkt 3

Lena StrothmannCDU/CSU - Berufliche Bildung

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In meiner beruflichen Laufbahn als Schneidermeisterin, als Handwerksmeisterin, habe ich über 50 junge Menschen ausgebildet.

(Rainer Spiering [SPD]: Sehr gut!)

Viele von ihnen sind heute erfolgreich, sind selbstständig, haben die Meisterprüfung gemacht und haben junge Menschen ausgebildet.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Mir liegt die duale Ausbildung sehr am Herzen, weil sie ein Erfolgsrezept ist. Und, meine Damen und Herren: Die duale Ausbildung ist die Grundlage für Generationen von Fachkräften in unseren Betrieben: im Handwerk, im Mittelstand und auch in der Industrie.

Wenn wir weiterhin in unserem Land erfolgreich sein wollen, wenn wir unseren Wohlstand in Zukunft erhalten wollen, dann brauchen wir dringend leistungsstarken Nachwuchs. Das geht im Übrigen nicht nur die Wirtschaft an; das geht auch die Verbraucher an. Stellen Sie sich vor: In einem harten Winter fällt Ihre Heizung aus, bei einem starken Sturm wird Ihr Dach beschädigt, oder Sie haben einen Wasserrohrbruch – und keiner kommt. Das klingt jetzt vielleicht etwas dramatisch, aber im Handwerk ist der Mangel an Fachkräften schon deutlich spürbar, und das wird sich in Zukunft noch verstärken, wenn es uns nicht gelingt, mehr junge Menschen für die duale Ausbildung zu gewinnen.

Die Zahl der Neuverträge ist in den letzten Jahren ständig gesunken; das haben wir gehört. Jetzt haben wir im Vergleich zum Vorjahr ein Minus von 20 000 Verträgen. Die Zahlen im Handwerk sind zwar besser, weil die Ausbildungsbereitschaft unserer Betriebe immer noch hoch ist; das Problem ist aber, dass wir aus demografischen Gründen immer weniger Schulabgänger haben. Zudem – wir haben es gehört – gibt es einen Trend zu höherer Bildung, gepusht noch durch Brüssel und die OECD. Viele streben das Abitur und ein Studium an, und im Ergebnis bleiben immer weniger junge Menschen für die duale Ausbildung übrig. Das ist eine dramatische Entwicklung, meine Damen und Herren, die sich in den nächsten Jahren auch noch verstärken wird. Hier müssen wir ansetzen. Hier müssen wir umsteuern.

Was ist zu tun? Natürlich muss sich die Wirtschaft noch intensiver um ihren Nachwuchs kümmern; schließlich steht die Existenz unserer Betriebe auf dem Spiel. Aber hier ist nicht nur die Wirtschaft gefordert, meine Damen und Herren, sondern wir alle sind gefordert. Wir müssen umdenken. Die Gesellschaft muss umdenken.

Für viele Schulabgänger und Eltern ist die duale Ausbildung nur noch zweite Wahl. Über 50 Prozent der jungen Menschen eines Jahrgangs streben ein Hochschulstudium an – mit steigender Tendenz. Gerade dadurch fehlen uns im Handwerk und in der gewerblich-technischen Wirtschaft geeignete Auszubildende, während die Unis gleichzeitig unter dem großen Andrang stöhnen.

Dabei ist der akademische Berufsweg nicht immer der Königsweg, und vor allem – auch das muss einmal gesagt werden – schützt er nicht unbedingt vor schlechter Bezahlung.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Eine Erhebung der Universität Duisburg-Essen hat gezeigt, dass 688 000 Akademiker in unserem Land zu den Geringverdienern gehören, meine Damen und Herren. Ein Elektromeister im Handwerk zum Beispiel oder ein Schneidermeister in meinem Betrieb verdient wesentlich mehr als junge Juristen.

Professor Nida-Rümelin, Inhaber des Lehrstuhls für Philosophie und Politische Theorie der Uni München, hat es auf den Punkt gebracht. Er spricht davon, dass uns ein Akademisierungswahn gepackt hat, und er hat recht. Allein die hohe Zahl der Studienabbrecher in technischen Studiengängen zeigt, dass es sinnvoll sein kann, zunächst einmal eine handwerkliche Ausbildung zu machen. Frau Ministerin Wanka hat ebenfalls recht mit ihrer Initiative, Studienabbrecher für eine Lehre im Handwerk zu gewinnen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Im Handwerk haben junge Menschen wirklich beste Chancen; viele wissen es nur noch nicht. Das Handwerk bietet über 130 Ausbildungsberufe. Das Handwerk ist innovativ. Das Handwerk ist kreativ, und das Handwerk ist vor allen Dingen Hightech. Für jeden ist etwas dabei.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es gibt viele individuelle Karrieremöglichkeiten: eine Ausbildung, ein Studium, ein duales Studium oder die Gründung eines eigenen Unternehmens. Leider setzen sich immer noch zu wenige junge Menschen, Eltern und Lehrer mit den einzelnen Berufsbildern und den sich dadurch bietenden Chancen auseinander. An dieser Stelle muss die Berufsorientierung mehr leisten, vor allen Dingen in den Gymnasien. Die duale Ausbildung muss stärker in den Vordergrund rücken, und zwar auch in unseren Köpfen. In den Nachbarstaaten beneidet man uns um unser System. Hierzulande haben aber viele die Bedeutung der dualen Ausbildung noch nicht erkannt. Deswegen brauchen wir einen gesellschaftlichen Konsens.

Berufliche und akademische Bildung sind auf dem Papier gleich; das haben wir in den letzten Jahren erreicht. Zu unseren Hochqualifizierten gehören nicht nur Akademiker, sondern auch Techniker und Meister. Das ist bei vielen Eltern, Lehrern und Schülern aber noch nicht angekommen. Deshalb muss die Wirtschaft an dieser Stelle mehr aufklären und vor allen Dingen auch mehr werben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Willi Brase [SPD])

Zur dualen Ausbildung gehört auch der Meisterbrief. Das muss auch Brüssel begreifen. Die Kommission empfiehlt den Krisenländern auf der einen Seite das duale System, um die Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Auf der anderen Seite will sie aber den Meistervorbehalt als Voraussetzung zum Berufszugang abschaffen.

Wir in Deutschland haben nach dem Inkrafttreten der Handwerksnovelle 2003 negative Erfahrungen mit solchen Ansätzen gemacht. Nachdem 53 Handwerksberufe zulassungsfrei wurden, gab es zwar viele Existenzgründer; das waren aber meist nur Einmannbetriebe. Eine Studie des Instituts für Handwerk und Mittelstand belegt, dass fünf Jahre nach ihrer Gründung 60 Prozent der Betriebe nicht mehr am Markt waren. Das Schlimmste ist aber: Sie bilden nicht aus. So etwas darf sich in unserem Land nicht wiederholen. Ich sage: Wer den Meisterbrief angreift, legt gleichzeitig die Axt an ein funktionierendes und erfolgreiches Ausbildungssystem.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Frau Kollegin, Sie denken bitte an die Zeit, ja?

Ich komme zu meinem letzten Satz. – Das duale System funktioniert nur mit dem Meisterbrief. Ein bisschen Meisterbrief gibt es nicht.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Willi Brase das Wort.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3437858
Wahlperiode 18
Sitzung 36
Tagesordnungspunkt Berufliche Bildung
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