Anton HofreiterDIE GRÜNEN - Fairer Handel
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den letzten Wochen und Monaten hat die öffentliche Debatte über das sogenannte Freihandelsabkommen, das Abkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika, stark zugenommen. Das ist auch richtig so; denn diese wichtigen Entscheidungen dürfen nicht hinter dem Rücken der Bürgerinnen und Bürger getroffen werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Aber die Debatte wird massiv erschwert; denn die Verhandlungen finden alles andere als transparent statt. Dies beklagen plötzlich viele: Martin Schulz, Wirtschaftsminister Gabriel, auch der Kollege Ferber von der CSU. Über dieses Ausmaß an Heuchelei bin ich mehr als verblüfft; denn Union und SPD haben mit ihren Mehrheiten dafür gesorgt, dass ein größeres Maß an Transparenz verhindert wird.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Klaus Barthel [SPD]: Wie das?)
Die Bürgerinnen und Bürger fürchten, dass diese Heimlichtuerei einen Zweck erfüllt, und mit diesen Befürchtungen liegen sie genau richtig; denn wer den Inhalt des Verhandlungsmandates kennt, der sieht, dass es nicht den Interessen der Menschen, nicht dem Verbraucherschutz und dem Umweltschutz dient, sondern ausschließlich den kurzfristigen Profitinteressen einiger weniger Großkonzerne.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: So ein Schwachsinn!)
Dabei beunruhigt mich weniger das vielzitierte Chlorhühnchen. Guter Verbraucherschutz in der EU, schlechter Verbraucherschutz in den USA – das ist doch etwas zu schlicht. Hochproblematisch stattdessen ist das sogenannte Investitionsschutzabkommen.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Wir haben bereits eine Reihe solcher Abkommen und haben Unmengen schlechter Erfahrungen damit gemacht. Lassen Sie mich nur einige Beispiele nennen: Philip Morris verklagt Australien und Uruguay auf Schadensersatz – nur weil sie Warnhinweise auf Zigarettenschachteln drucken. Der Ölkonzern Lone Pine verklagt Kanada auf Schadensersatz, weil die Provinz Quebec die Hochrisikotechnologie Fracking verbieten will. Und Vattenfall verklagt die Bundesrepublik Deutschland auf 3,5 Milliarden Euro Schadensersatz, nur weil wir aus der Hochrisikotechnologie Atomkraft aussteigen wollen. – Der Bundestag darf einem Abkommen, das solche Klagemöglichkeiten erweitert und vertieft, auf keinen Fall zustimmen!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Investitionsschutzabkommen unterlaufen den Rechtsstaat; denn sie ersetzen öffentliche Gerichte, insbesondere die Verwaltungsgerichtsbarkeit, durch eine Hinterzimmerjustiz. Es ist doch absurd: Mag irgendjemand von der CDU vielleicht behaupten, dass Deutschland kein Rechtsstaat ist, sodass wir das benötigen, oder dass die USA kein Rechtsstaat sind? Wollen Sie vielleicht, dass demokratisch beschlossene Gesetze durch Schattengerichte und Konzernjustiz unterlaufen werden können? Will irgendjemand, dass uns Lone Pine, Philip Morris oder Vattenfall die Politik diktieren? Wollen Sie das etwa, Kollegen von der SPD und der CDU/CSU? Die Bürgerinnen und Bürger wollen das sicher nicht, und wir wollen das auch nicht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Deshalb noch einmal: Der Bundestag darf einem Abkommen, das diese Klagemöglichkeiten erweitert und vertieft, auf keinen Fall zustimmen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Martin Schulz und Wirtschaftsminister Gabriel waren im Bündnis mit Frau Merkel noch vor wenigen Wochen die Cheflobbyisten für TTIP. Jetzt stehen wir aber kurz vor der Europawahl, und vor einer Europawahl passiert immer das Gleiche:
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Also in fünf Jahren einmal!)
Plötzlich will es keiner mehr gewesen sein. Plötzlich liegt die Verantwortung nicht mehr bei Deutschland, nicht mehr bei der deutschen Regierung und auch nicht mehr bei den deutschen Abgeordneten, sondern sie diffundiert irgendwie unnachvollziehbar nach Brüssel.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein, bei den Grünen liegt sie!)
Dabei war es doch die Regierung Merkel, die dieses Verhandlungsmandat im Europäischen Rat durchgesetzt hat,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
und dabei waren es doch auch die sozialdemokratischen Europaabgeordneten, die jede Gelegenheit haben verstreichen lassen, die Kritik im Europäischen Parlament wirksam werden zu lassen.
(Zurufe von der SPD)
Jetzt, kurz vor der Europawahl, sehen wir ein besonders billiges Wahlkampfmanöver von Herrn Gabriel: Er richtet einen sogenannten Beirat ein. Einen solchen Beirat gibt es auf europäischer Ebene auch schon. Die NGOs sagen, es gebe keine Informationen, keinen Einfluss, nichts. Das ist genau das gleiche Muster wie immer: Billige Wahlkampfmanöver vor der Wahl, und nach der Wahl ist Herr Gabriel der noch bessere Genosse aller Bosse, wie er es bereits beim Erneuerbare-Energien-Gesetz bewiesen hat.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Widerspruch bei der SPD – Dr. Matthias Heider [CDU/CSU]: Das ist hier aber eine dünne Nummer! – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Dummheit!)
Selbst die Wirtschaft erwartet von Ihrem Abkommen nichts. 85 Prozent des Mittelstandes, also der kleineren und mittleren Unternehmen, erwarten von dem Abkommen nichts. Circa 800 Millionen Menschen leben in den USA und der Europäischen Union. In diesen Wirtschaftsräumen wird fast die Hälfte der globalen Wirtschaftsleistung erwirtschaftet. Internationale Abkommen zwischen diesen Wirtschaftsräumen könnten globale Standards setzen, zum Beispiel im Bereich der Finanzmarktregulierung.
Was wir aber nicht brauchen, ist dieses Abkommen, das Umweltstandards und Verbraucherschutzstandards senkt und eine Konzernjustiz einführt. Dieses Abkommen lehnen wir ab.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Es gibt noch gar keines!)
Wir brauchen stattdessen internationale Klimaschutzabkommen, internationale Umweltstandards und verbindliche internationale Sozialstandards. Völlig anders, als Frau Merkel bekannt gibt, die eine Sozialunion und selbst Sozialstandards auf europäischer Ebene ablehnt,
(Dr. Matthias Heider [CDU/CSU]: Wahlkampf!)
brauchen wir nicht nur auf europäischer Ebene Sozialstandards, sondern endlich auch auf internationaler Ebene.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Das sind Abkommen, für die es sich lohnt, zu streiten. Das sind Abkommen, die Europa populär machen würden. Das sind Abkommen, die die Arbeit im Deutschen Bundestag populär machen würden. Machen wir uns deshalb endlich an diese sinnvolle Arbeit!
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, als nächster Redner hat der Kollege Joachim Pfeiffer das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Source | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Cite as | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Electoral Period | 18 |
Session | 36 |
Agenda Item | Fairer Handel |