22.05.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 36 / Tagesordnungspunkt 4

Barbara LanzingerCDU/CSU - Fairer Handel

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Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Es stimmt: Kaum ein Thema wird derzeit so kontrovers und so aufgeladen diskutiert wie das TTIP. Ich sage bewusst: aufgeladen. Dazu tragen auch die Reden der Kollegen Hofreiter und Ulrich bei. Sie schüren eher Ängste, anstatt zu versuchen, das Ganze aufzuklären.

(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Nein! Wir klären auf!)

Ich habe eines gelernt – lassen Sie mich das hier anmerken –: Wer schreit, hat meistens nicht recht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Zahlreiche Demonstranten gehen zu diesem Thema auf die Straße. Binnen kürzester Zeit kamen mehrere Hunderttausend Unterschriften gegen das Abkommen zusammen; das stimmt.

(Beifall des Abg. Alexander Ulrich [DIE LINKE])

Glauben Sie uns: Auch wir nehmen diese Bedenken ernst,

(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Herr Pfeiffer nicht!)

nicht nur Sie.

(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Herr Lämmel hat gesagt: Lächerlich!)

– Jetzt schreien Sie schon wieder.

(Dr. Matthias Heider [CDU/CSU]: Und zwar dazwischen!)

Ernst nehmen wir aber auch die Potenziale: Freier Handel enthält die Chance auf mehr Wohlstand. Das Abkommen ist ein wichtiges Instrument für mehr Wachstum und Beschäftigung in Europa. Es ist deshalb durchaus begrüßenswert. Aber – auch das sage ich ganz deutlich – wir brauchen klare, nachvollziehbare, transparente und verständliche Regeln.

Wir befinden uns noch am Anfang der Verhandlungen. So ist es noch nicht möglich, bereits heute alle Details beurteilen zu können. Jedoch ist es möglich und notwendig – da gebe ich vielen recht –, grundsätzliche Kriterien zu benennen und einzufordern. Wir müssen das Abkommen als Chance begreifen, die Vor- und Nachteile abzuwägen und alle damit verbundenen Risiken zu benennen, um diese zum frühestmöglichen Zeitpunkt ausschließen zu können. Ein wichtiger Punkt muss sein, dass das Abkommen unserem Anspruch an Qualität und unseren Anforderungen an ein hohes Schutzniveau standhält.

Deutschland hat einen unschlagbaren Vorteil im globalen Wettbewerb: einen starken Mittelstand, im Ausland bewundert und geschätzt. Der „German Mittelstand“ gilt als Jobmotor Nummer eins, als Treiber für Innovationen und als ein Rezept für den Erfolg der deutschen Wirtschaft. Ich denke, dagegen können Sie nichts sagen. Herr Hofreiter – hören Sie mir bitte zu, ich habe Ihnen gerade auch zugehört –, ich weiß nicht, woher Sie Ihre Zahlen nehmen, dass der Mittelstand dieses Abkommen ablehnt.

(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zeitung lesen hilft!)

Ich habe andere Zahlen. Nach den Zahlen des DIHK von Anfang Mai dieses Jahres sind 60 Prozent für dieses Abkommen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Über 99 Prozent der deutschen Unternehmen sind Mittelständler. Das sind über 3,6 Millionen vielfältige und dynamische Unternehmen, die mehr als 60 Prozent aller Jobs in Deutschland stellen und in unterschiedlichen Branchen mit unterschiedlichen Produkten und Dienstleistungen tätig sind. Deutsche Produkte werden im Ausland sehr gerne gekauft, weil sie hohe Qualitätsstandards aufweisen. Zudem bringen vor allem unsere KMU, die kleinen und mittelständischen Unternehmen, die international tätig sind, weitaus mehr neue Produkte auf den Markt als die ausschließlich in der Heimat tätigen Unternehmen. Deshalb ist es besonders wichtig, die internationalen Aktivitäten unseres Mittelstands weiter zu fördern und auszubauen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das TTIP schafft wirtschaftliche Chancen für Europa und besonders für Bayern – das sage ich ganz deutlich – mit seiner mittelständisch geprägten, exportstarken Wirtschaft. Insbesondere die kleinen und mittelständischen Unternehmen würden von einem tiefgreifenden Abkommen profitieren und dadurch wirksame Unterstützung bei der Internationalisierung erhalten. Es gilt, bei den Verhandlungen sicherzustellen, dass es zu keiner Absenkung der bewährten Qualitätsstandards und des europäischen Schutzniveaus kommt. Wo „Made in Germany“ draufsteht, muss auch „Made in Germany“ drin sein. Aber ich möchte der Fairness halber auch festhalten: Nicht nur wir haben hohe Standards, auch die Amerikaner haben hohe Standards.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es gilt, beides miteinander zu verknüpfen. Wir können nicht immer so tun, als ob wir die besten wären. Es gilt vielmehr, diese Standards zusammenzuführen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die Linken können nicht zugeben, dass die Amerikaner auch etwas Positives haben!)

Für die Wirtschaft ist es wichtig, nichttarifäre Handelshemmnisse abzubauen sowie regulatorische Vorschriften zu harmonisieren und gegenseitig anzuerkennen. Die Abschaffung der Zölle alleine reicht nicht aus.

Für die vielen exportorientierten und mittelständischen Unternehmen stellen gerade die doppelten Zulassungs-, Zertifizierungs- und Normungsprozesse große Handelsbarrieren und Hürden vor allem beim Markteintritt dar. So führen beispielsweise doppelte Prüfungsverfahren zu erhöhten Kosten und einem bürokratischen Aufwand. Ein gutes Beispiel hierfür hat der Präsident des DIHK angeführt: Aktuell haben die USA und die EU unterschiedliche Zertifizierungsstandards für Schweißnähte in Druckbehältern. Obwohl die Produkt- und Sicherheitsstandards der Behälter gleich sind – Sie kennen sie vielleicht; ich spreche das jetzt einmal an; Sie haben heute keine Beispiele genannt –, werden die Zertifikate nicht gegenseitig anerkannt. Dadurch muss ein und dieselbe Schweißnaht zweifach zertifiziert werden. Das muss man sich einmal vorstellen. Das bedeutet erhebliche Zusatzkosten, ohne dass dadurch ein Mehrwert für die Verbraucher erzielt wird. Wir brauchen die Anerkennung unterschiedlicher Verfahren, die zum gleichen Ergebnis führen. Notwendig ist auch die Harmonisierung der Standards, die Anerkennung gleichwertiger Standards und die Abschaffung doppelter bzw. vergleichbarer Zusatzverfahren.

Gerade für Bayern sind die USA nicht nur der wichtigste Exportmarkt, sondern zugleich auch ein wichtiger Investitionsstandort. Die Beseitigung von Zöllen und nichttarifären Handelshemmnissen ist wichtig. Beispielsweise zahlt die deutsche Automobilwirtschaft jährlich für ihre Exporte in die USA über 1 Milliarde Euro an Zöllen. Aus diesen Gründen begrüßen wir auch ganz besonders das im TTIP enthaltene Sonderkapitel für KMU mit speziellen Regeln, damit zukünftig der deutsche Mittelstand unter erleichterten Bedingungen im transatlantischen Handel aktiv werden kann. Ich denke, das ist sehr wichtig.

Neben den ökonomischen Effekten hat das Freihandelsabkommen aber auch ein hohes politisches und strategisches Potenzial. Es kann der Weltwirtschaft neue Impulse verleihen. Es wird die Nachfrage nach Rohstoffen, Bauteilen und anderen Vorleistungen erhöhen, die von anderen Ländern produziert werden. Es kann Vorreiter für die Entwicklung globaler technischer Standards sein und die Führungsfähigkeit der transatlantischen Partner unter Beweis stellen.

TTIP ist für uns auch ein Vorreiter für unsere hohen Schutzstandards. Es wurden schon alle Stichworte genannt, zum Beispiel die kommunale Daseinsvorsorge, der Verbraucher-, Umwelt- und Gesundheitsschutz und die Landwirtschaft. Ich muss nicht alles wiederholen, möchte aber ergänzen, dass dazu auch unser gut durchdachtes, ausgewogenes und sehr strengen Kriterien unterliegendes europäisches Patentsystem gehört, wie der Präsident des Europäischen Patentamts zu Recht festgestellt hat. Dazu sage ich ganz klar: Finger weg!

Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung zum Investitionsschutz einschließlich der Beilegung von Investor- Staat-Streitigkeiten. Hierfür brauchen wir neue Ansätze; das ist schon angesprochen worden. Eine unvereinbare Paralleljustiz ist nicht sinnvoll. Wir haben sowohl in der EU als auch in den USA gut entwickelte, funktionierende und verlässliche Rechtssysteme. Unsere nationale Gesetzgebung darf im Zuge des Freihandelsabkommens nicht durch internationale Schiedsgerichte ausgehebelt werden.

(Beifall des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE])

Unbestreitbar bestehen bei einem solchen Abkommen über den Atlantik Interessengegensätze sowohl zwischen als auch innerhalb der Länder. Interessen der Unternehmen stehen den Interessen von Bürgerinnen und Bürgern und Verbrauchern gegenüber. Jedoch bringen uns diese hoch emotionalen und überhitzten Debatten gar nichts. Sie schüren nur Ängste. Notwendig sind sachliche und inhaltlich richtige Diskussionen. Wir brauchen eine genaue Abwägung statt einseitiger Vorurteile und oftmals auch unhaltbarer Vorwürfe, die Ängste schüren.

Wir sagen Ja zu einem ausgewogenen Abkommen. Ausgewogen heißt: strikte Prämisse unserer in Europa hohen Schutzmechanismen, keine Vereinheitlichung auf den kleinsten Nenner, sondern ein Abstimmen auf unsere Traditionen und bewährten Normen. Ausgewogen heißt auch: absolute Transparenz in den Verhandlungen. Allerdings ist dabei ein gewisser Grad an Vertraulichkeit notwendig.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Wo fängt er an? Wo hört er auf?)

TTIP darf nicht heißen, dass vorrangig die Interessen der Großunternehmen oder der USA unterstützt werden. Wir müssen vielmehr deutlich machen, welche Chancen ein Freihandelsabkommen für unsere heimische Wirtschaft und unsere Verbraucherinnen und Verbraucher hat.

Es ist erfreulich, dass die EU-Kommission mit der öffentlichen Konsultationsphase beim Investitionsschutz begonnen hat; dieser Teil ist ausgeklammert. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Ein Stopp der Verhandlungen, wie ihn die Linke fordert, ist der falsche Weg. Damit würden wir die Vorteile – Herr Kollege Lämmel hat bereits darauf hingewiesen –,

(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Herr Lämmel hat doch gar nichts gesagt!)

die ein Freihandelsabkommen bietet, frühzeitig verspielen. Die inhaltlichen Verhandlungen haben erst begonnen. Wir sollten daher abwarten, welche Ergebnisse in den nächsten Monaten während der Verhandlungen und in den öffentlichen Konsultationen gefunden werden, und zwar unter Beteiligung der nationalen Parlamente. Die EU-Kommission verhandelt; das stimmt. Aber wir sollten uns einbringen. Das tun wir auch. Die Bundesregierung vertritt gegenüber der Kommission, dass sowohl der Bundestag als auch der Bundesrat, sofern die Länder betroffen sind, die Möglichkeit zur Mitwirkung in Form eines Ratifizierungsgesetzes erhalten.

Zum Schluss. Das TTIP-Abkommen stellt für uns alle, vor allem für unseren Mittelstand, eine große Chance dar. Nur wenn wir gemeinsam daran arbeiten und offen über die Regeln diskutieren, können wir es zum Erfolg führen. Das ist aber nicht möglich, wenn man sich gegenseitig lächerlich macht und die Argumente der anderen Seite überhaupt nicht ernst nimmt.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Claudia Tausend von der SPD-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3439742
Wahlperiode 18
Sitzung 36
Tagesordnungspunkt Fairer Handel
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