Petra Pau - Bundeswehreinsatz in Kosovo (KFOR)
Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Neu, Sie haben an der Reaktion unserer Fraktion gemerkt, wie viel Unverständnis bei uns für Ihre Einlassungen herrscht.
(Niels Annen [SPD]: Nicht nur in Ihrer Fraktion!)
Die Alternative, es mit dem Völkerrecht an der einen oder anderen Stelle vielleicht nicht so ernst zu nehmen, die Sie dazu vorschlagen, stößt wirklich auf Unverständnis. Für die Bundesrepublik Deutschland nehme ich übrigens in Anspruch, dass sie das Völkerrecht in den vergangenen Jahrzehnten durchgehend sehr ernst genommen hat, was nicht für alle NATO-Partner gilt. Aber zu sagen, dass man das Völkerrecht entweder komplett durchhalten muss oder es gleich abschaffen kann, halte ich nun wirklich für vollkommen grotesk. Wenn das in Sachen Konfliktlösung Ihre politische Antwort ist, dann könnten wir nach Ihrer Logik ja gleich die UNO abschaffen.
Das, was Sie gesagt haben, war geprägt von Verschwörungstheorien. Kein einziges Mal kam in Ihrer Rede der Name Milosevic vor. Doch das gehört zur historischen Wahrheit im Kosovo dazu. Kofi Annan hat damals von der dunklen Wolke des Völkermords, die heraufzieht, gesprochen. Daher ging es nicht nur um die Frage der territorialen Integrität und nicht nur um die Frage des Selbstbestimmungsrechts der Völker. Es ging vor allem um die Abwendung eines Völkermords. Vor dem Hintergrund war der KFOR-Einsatz gerechtfertigt, und heute wird er ja unter einem UNO-Mandat geführt.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Kollege Mißfelder, gestatten Sie eine Bemerkung oder Frage des Kollegen Neu? – Bitte.
(Florian Hahn [CDU/CSU]: Jetzt kommt wieder die Propaganda!)
Kollege Mißfelder, Sie versuchen wieder einmal, von Völkermord zu reden. Ich habe mich da noch einmal schlau gemacht.
(Florian Hahn [CDU/CSU]: „Schlau gemacht“!)
Ich habe mir die Urteile einiger Verwaltungsgerichte vom Anfang 1999 zur Asylfrage angeschaut.
(Michael Brand [CDU/CSU]: Er hat Kofi Annan zitiert!)
Ich zitiere:
– der jugoslawischen –
Das war ein Zitat aus der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 12. Januar 1999 an das Verwaltungsgericht Trier.
Weiter, Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster auf der Grundlage einer Lageanalyse des Auswärtigen Amtes vom 24. Februar 1999:
Das sind die Aussagen des Auswärtigen Amtes von 1998 und 1999, worauf sich wiederum zum Teil deutsche Gerichte in ihren Urteilen bezogen haben.
Also, Völkermord – ja oder nein?
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Herr Neu, ich beantworte Ihre Frage ganz kurz. Ich glaube, es sprach schon für sich selbst. Sie haben ja auch an den Reaktionen hier gemerkt, wie grotesk das ist und wie wahrgenommen wird, was Sie vortragen. Wo waren Sie zu der Zeit, als in Jugoslawien systematisch Vertreibung und auch Mord stattgefunden haben?
Politiker sind ja gehalten, Gerichte generell nicht zu kritisieren. Ich weiß, wie hoch Richter in Deutschland angesehen sind. Ich will auch nicht darüber sprechen, in welcher geistigen Umnachtung derjenige, der das Urteil geschrieben hat, zu dem Zeitpunkt gelebt haben muss.
(Zuruf von der LINKEN: Ah!)
Ich muss Ihnen wirklich sagen: Das hier als politisches Instrument zu missbrauchen, ist falsch. Ich bleibe dabei. Kofi Annan hat von der heraufziehenden Wolke des Völkermords gesprochen. Diese Einschätzung teilen wir. Deshalb war es richtig, wenn auch umstritten, an dieser Stelle militärisch einzugreifen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Es war ja insbesondere für die damalige Koalition eine ganz schwierige Entscheidung. Wenn man zurückblickt, merkt man: Es war ein Paradigmenwechsel in der Nachkriegsgeschichte. Ich bin deshalb auch froh, dass wir den Parlamentsvorbehalt haben. Dadurch beraten wir jedes Jahr zu Recht darüber, ob der Einsatz sinnvoll ist und unter welchen Gegebenheiten dieses Mandat fortgesetzt werden kann. Staatsminister Roth hat ja gesagt: Die Chance, jetzt die politische Lösung weiter voranzutreiben, ist riesig groß. Diese Chance sollten wir mit allen Möglichkeiten, die wir haben, nutzen.
Dabei spielt Europa die zentrale Rolle. Das war übrigens damals bedauerlicherweise nicht der Fall. Wir haben damals nicht die zentrale Rolle gespielt, sondern die Amerikaner. Sie haben eigentlich das gemacht, wofür die Europäische Union zuständig ist, nämlich in ihrer Nachbarschaft selbst für Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit zu sorgen. Das hat die Europäische Union damals wirklich auf die miserabelste Art und Weise nicht geschafft.
Heute haben wir die Chance, mit einer gemäßigteren Regierung in Serbien, auf politische Kräfte in nahezu allen Ländern des früheren Jugoslawiens zuzugehen. Wir können durch große Gesten das, was geschehen ist, zwar nicht vergessen machen, aber zumindest können wir versuchen, es politisch zu heilen. Vor dem Hintergrund glaube ich, dass man die Situation nutzen muss, die sich gerade ergibt. Wenn KFOR einen Stabilisierungsbeitrag leistet, ist das gut. Ich freue mich, zu hören, dass es bei einem Militäreinsatz nicht tagtäglich zu Feuergefechten kommt, dass nicht tagtäglich Personen schwer verwundet werden, dass es sich vielmehr um die letzte von drei Verteidigungslinien handelt. Vor dem Hintergrund glaube ich, dass das ein erfolgreiches Mandat ist.
Ich habe mich auch sehr darüber gefreut, zu hören, dass man mit Blick auf die Zeit nach Ablauf des jetzt anstehenden Mandats – es ist erneut auf zwölf Monate angelegt – über eine Absenkung der Truppenhöchstgrenze nachdenkt und intensiv darüber diskutiert. Wir begrüßen es im Zweifel immer, wenn Soldaten wieder abgezogen werden, zumal es sich hier um die 15. Einbringung dieses Mandats handelt. Aus unserer Sicht besteht also die Chance, den politischen Prozess im früheren Jugoslawien weiter zu begleiten. Wir sind mit allen Vertretern im Gespräch, so schwierig es auch im Einzelfall ist.
Jeder weiß um die Schwierigkeiten auf dem Balkan, sei es nun in Albanien oder in Serbien selbst; jeder weiß, wie schwierig es ist, dort staatliche Strukturen zu implementieren. Ich glaube, dass es trotzdem eine große Chance gibt. Man kann auch eine mögliche Mitgliedschaft zur Europäischen Union als Mittel nutzen. Man kann die Perspektive dazu als Vehikel einsetzen, um diese Länder auf den richtigen Weg zu führen. Das sage ich sicherlich nicht im Namen aller in meiner Fraktion, aber ich spreche zumindest für den Großteil der Außenpolitiker und der Europapolitiker in meiner Fraktion, die ganz bewusst die Beitrittsperspektiven für alle Länder des früheren Jugoslawiens offenhalten wollen. Aus meiner Sicht ist das der sinnvollste politische Weg, um für dauerhafte Stabilität und für Frieden in der Region zu sorgen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Dr. Tobias Lindner das Wort.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3440442 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 36 |
Tagesordnungspunkt | Bundeswehreinsatz in Kosovo (KFOR) |