23.05.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 37 / Tagesordnungspunkt 20

Oliver KrischerDIE GRÜNEN - Ausgleich für stromkostenintensive Unternehmen

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Pfeiffer, das war ja gerade ein emotionaler Ausbruch in puncto industriepolitischem Engagement. Das, was Sie gestern zu TTIP gesagt haben, gefiel mir besser. Da habe ich wenigstens etwas zum deutschen Reinheitsgebot und von Heineken-Bier an der Hotelbar gehört. Bei dem, was Sie hier jetzt vorgetragen haben, fiel es ein bisschen schwer, nachzuvollziehen, wo Sie hinwollen.

(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Ihnen kann man es nie recht machen!)

Es gibt hier – darüber sprechen Sie nicht – zumindest zwischen der Großen Koalition und den Grünen – die Linken haben hier manchmal interessante Ansichten – 0,0 Dissens hinsichtlich der energie-, strom- und außenhandelsintensiven Industrien.

(Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Das war im Wahlkampf aber anders!)

Aluhütten, Stahlhütten, Chemieunternehmen, Metallgießereien: Selbstverständlich brauchen wir für sie Ausnahmetatbestände. Das streitet hier niemand ab, und das ist auch nicht Gegenstand der Debatte, auch wenn Sie selber das hier immer zum Problem machen und so tun, als würde man das infrage stellen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Man muss aber benennen, was Sie tun. Sie legen uns hier ernsthaft eine Besondere Ausgleichsregelung vor, in der 219 Branchen genannt werden. Darunter sind Panzerschmieden, Fantasieschmuckhersteller, Fruchtsaftproduzenten und Schlachtereien. Sie definieren alles als energie-, strom- und außenhandelsintensiv und schaffen die Möglichkeit, dass sie eine entsprechende Befreiung erhalten. Es bleibt fast nichts mehr übrig, was in andere Bereiche fällt.

Selbst wenn Sie etwas ausnehmen – zum Beispiel den Braunkohletagebau –, wird entsprechend gestaltet: Vattenfall definiert seine Tagebaue, die vorher unter die Besondere Ausgleichsregelung fielen, um, setzt auf das Eigenstromprivileg und ist wieder komplett befreit. Das ist eine Kostenverlagerung von der einen Seite auf die andere.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Minister Gabriel hat angekündigt, die privaten Verbraucher um 1 Milliarde Euro zu entlasten. Dazu hat er letzte Sitzungswoche gesagt: Das war ein großes Missverständnis. – Man muss einfach feststellen: Es gibt keine Entlastung der privaten Verbraucher, sondern es gibt eine Belastung. Sie schieben die Kosten von der einen Seite auf die andere Seite. Die privaten Verbraucher auf der einen Seite bezahlen für das, was Sie auf der anderen Seite an Geschenken in Richtung Industrie verteilen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zur Wahrheit gehört auch: Die energieintensive Industrie zahlt 300 Millionen Euro an EEG-Umlage. Das ist völlig in Ordnung, das ist richtig. Aber nach einer konservativen Schätzung Ihrer Bundesregierung wird davon ausgegangen, dass der strompreissenkende Effekt der erneuerbaren Energien 1 Milliarde Euro beträgt. Das macht nach Adam Riese, nach betriebswirtschaftlicher Rechnung, einen Gewinn in Höhe von 700 Millionen Euro. Das ist ein Geschenk. Davon profitiert die energie- intensive Industrie.

(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Ich hatte die Strompreise genannt! Sie sind höher!)

Die Industrie profitiert von der Energiewende. Dann ist auch eine gewisse Belastung der Industrie gerecht. Man darf nicht nur die privaten Verbraucher zahlen lassen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mich ärgert es immer, wenn hier über Arbeitsplätze geredet wird, aber offensichtlich immer nur eine partielle Sicht auf die Arbeitsplätze vorherrscht, nämlich auf die Arbeitsplätze in der energieintensiven Industrie. Selbstverständlich kämpfen wir um jeden Arbeitsplatz. In diesem Zusammenhang wünsche ich mir einmal eine Ansprache an die Manager von ThyssenKrupp, damit sie nicht in Stahlwerke in Brasilien investieren. Dazu möchte ich gerne etwas vom Wirtschaftsminister oder von dieser Koalition hören. Aber dazu hört man bei Ihnen nichts. Sie reden immer nur über Arbeitsplätze in energieintensiven Industrien. Sie reden hier nie über Arbeitsplätze in der Branche der Erneuerbaren. Das waren in Deutschland einmal 400 000 Arbeitsplätze.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Bisher hat jede Bundesregierung im März eines Jahres immer die Zahl der Arbeitsplätze in der Branche der Erneuerbaren veröffentlicht. Zum ersten Mal, im Jahr 2014, gibt es hierzu keine Zahlen mehr. Ich habe nachgefragt, warum. Die Antwort ist, man müsse etwas an der Statistik ändern, das Institut, das die Zahlen erhebe, habe Personalprobleme usw. – Ich sage Ihnen, was die Wahrheit ist: Sie wollen die Zahlen nicht veröffentlichen, weil man daran die Bremsspuren Ihrer Politik sehen würde.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Diese Verunsicherung durch Ihre Politik hat schon Zehntausende Arbeitsplätze gekostet. Damit müssen Sie sich einmal auseinandersetzen.

Ich höre immer, dass Sie so viel unterwegs sind, dass Sie häufig mit den Menschen in den Betrieben sprechen. Dann gehen Sie doch einmal zu PlanET nach Borken, zu den verschiedenen Standorten von Enercon. Gehen Sie zu SMA oder zu SenerTec. Sprechen Sie mit den Menschen, und hören Sie sich einmal an, wozu Ihre Politik führt. Die Menschen stehen mit ihren Betrieben vor dem Aus und wissen nicht, wie es weitergehen soll. Denen bieten Sie null und nichts an. Das ist Ihr Defizit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Man muss noch über einen weiteren Punkt sprechen. Eigentlich hatten Sie im Koalitionsvertrag vereinbart, dass Sie keine Steuern erhöhen und keine neuen Steuern einführen wollen. Sie führen aber eine neue Steuer ein: eine Sonnensteuer. Sie wollen, dass privat erzeugter Strom, also Eigenstrom, mit einer EEG-Umlage belegt wird. Sie konterkarieren damit das, was Sie gleichzeitig fördern. Auf der einen Seite fördern Sie Photovoltaikanlagen über das EEG und dezentrale Kraft-Wärme-Kopplung über das KWKG. Auf der anderen Seite wollen Sie den Menschen dieses Geld über die Sonnensteuer wieder wegnehmen. Damit machen Sie genau das kaputt, was Sie im Koalitionsvertrag und in den entsprechenden Gesetzen als Ziel genannt haben. Das ist widersinnig. Das ist das Gegenteil einer Energiewende.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Verrückte dabei ist, dass Sie das Falsche auch noch ungerecht machen; das muss man erst einmal hinbekommen.

(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie machen folgende Einteilung: Der Bäckermeister mit einer Eigenstromanlage soll in Zukunft 50 Prozent der EEG-Umlage zahlen. Dessen Nachbar mit einem Metallerzeugungsbetrieb – sagen wir: eine Härterei – soll in Zukunft nur noch 15 Prozent der EEG-Umlage zahlen. Warum das so ist, können Sie niemandem erklären; das ist überhaupt nicht nachvollziehbar.

Es kommt noch besser. Alle beide gucken dann auf das schöne Braunkohlekraftwerk von Herrn Terium von RWE. Dieser sitzt in seinem Büro und lacht sich kaputt: Er soll nämlich für seinen im Kohlekraftwerk erzeugten Eigenstrom gar nichts an EEG-Umlage zahlen. Das ist absurd. Das ist ungerecht. Das widerspricht allen Zielen der Energiewende, was Sie hier machen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich sage Ihnen: In vielen Gutachten wird darauf hingewiesen, dass das nicht mit der Verfassung vereinbar ist und dem Gleichbehandlungsgrundsatz widerspricht. Ich fordere Sie auf, Herr Pfeiffer – ich habe Ihnen bei Ihrer Rede sehr genau zugehört –: Ändern Sie diese Regelung oder nehmen Sie sie zurück. Lassen Sie das mit der Sonnensteuer, sonst stehen Sie irgendwann in Karlsruhe vor Gericht, das Ihnen dann Ihr ganzes Gesetz für null und nichtig erklären wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Sie haben noch etwas anderes vor: Sie wollen Ausschreibungen einführen und in Zukunft die Vergütungshöhe per Ausschreibung ermitteln. Ich habe kein Problem damit, dass man Modellversuche durchführt und prüft, wie man die Förderung der Erneuerbaren effizienter gestalten kann.

Aber Sie sehen vor, dass die Ermittlung der Förderhöhe über Ausschreibungen ab 1. Januar 2017 für alle verbindlich gelten soll. Dabei haben Sie selber überhaupt keine Vorstellung, wie das Ganze funktionieren soll.

(Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Deshalb machen wir das Modell! Deshalb machen wir die Pilotprojekte!)

Es gibt europaweit nur negative Erfahrungen. Es gibt keine positiven Erfahrungen. In anderen Ländern ist entweder nichts mehr gebaut worden oder es ist teurer geworden. Es ist gescheitert.

Das macht keinen Sinn. Damit machen Sie die Bürger- energie, die dezentrale Energiewende, kaputt. Die vielen Menschen, die sich engagieren wollen, können mit diesem Modell nicht klarkommen. Sie können gerne einen Versuch machen; aber Sie sollten sich nicht hinter der EU-Kommission verstecken und darauf verweisen, dass sie uns zu diesen Ausschreibungen verpflichte. Nutzen Sie lieber die vorhandenen Spielräume! Das ist eine Chance und eine Perspektive.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dass wir überhaupt noch einen Ausbau der erneuerbaren Energien haben, nämlich in der Windenergie – denn die PV- und die Biomasseförderung stellen Sie ganz ab, im Fall der PV über die Eigenstromregelung –, haben wir überwiegend den rot-grün geführten Ländern zu verdanken, die durchgesetzt haben, dass der Ausbau weitergehen kann.

Aber dann haben Sie natürlich das Nächste vor. Jetzt kommen Sie mit der Lex Seehofer, die vorsieht, dass 2 000 Meter Abstand zur nächstgelegenen Wohnbebauung eingehalten werden.

(Max Straubinger [CDU/CSU]: Wollen Sie die Menschen nicht schützen, Herr Krischer?)

Das wollen Sie einführen. Sie haben dazu eine Sachverständigenanhörung im Umweltausschuss des Bundestages durchgeführt, aber Sie haben keinen einzigen Sachverständigen gefunden, der Ihre Position unterstützt. Sie mussten drei Antiwind-Bürgerinitiativen einladen, die ganz steile Thesen vertreten. Ich appelliere an Ihren Anstand: Lassen Sie diesen Unsinn! Hören Sie damit auf! Verzichten Sie auf die Lex Seehofer!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Ich komme zum Schluss. – Der Entwurf der EEG-Novelle mit der Besonderen Ausgleichsregelung, die Sie vorlegen, bremst den Ausbau der erneuerbaren Energien. Er schadet dem Klimaschutz und sichert das Geschäftsmodell der Großkraftwerke. Er vernichtet Arbeitsplätze in der Branche der Erneuerbaren. Er ist ungerecht gegenüber Privatverbrauchern und Handwerk. Er ist kompliziert, und er ist das Gegenteil von kosteneffizient. Und er würgt dem Bürger Energie ab. Kurzum: Er ist ein Anschlag auf die Energiewende.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Und es war jetzt überzogen, was die Zeit angeht. Das haben Sie aber auch gemacht, Herr Pfeiffer. Ich bin ja sehr gerecht.

Nächster Redner in der Debatte ist Johann Saathoff für die SPD.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3443477
Wahlperiode 18
Sitzung 37
Tagesordnungspunkt Ausgleich für stromkostenintensive Unternehmen
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