Halina WawzyniakDIE LINKE - Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Alle Jahre wieder reden wir über die Möglichkeit von Einwohnerinnen und Einwohnern, über Gesetze oder Gegenstände der politischen Willensbildung selbst und direkt zu entscheiden. Alle bis auf die Union wollen, dass Einwohnerinnen und Einwohner direkt entscheiden können. Die Linke hat nun heute hier einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem dies praktisch umgesetzt werden kann.
Der Gesetzentwurf – darauf hat die Frau Präsidentin schon hingewiesen – enthält sowohl die Änderungen des Grundgesetzes, um Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide zu ermöglichen, aber er enthält auch – und das ist eine Neuerung – ein Bundesabstimmungsgesetz.
In dem Bundesabstimmungsgesetz regeln wir konkret das Verfahren einer Volksabstimmung. Wir haben hier einen Vorschlag von „Mehr Demokratie e. V.“ aufgenommen – das haben wir im Gesetzentwurf auch transparent verzeichnet –
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist urheberrechtlich voll korrekt!)
und diesen leicht verändert übernommen.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir wollen, dass 100 000 Wahlberechtigte Initiativen in den Bundestag einbringen können. Wir wollen, dass ein Volksbegehren zustande gekommen ist, wenn mindestens 1 Million Wahlberechtigte binnen neun Monaten diesem zugestimmt haben. Bei einem das Grundgesetz ändernden Volksbegehren müssen 2 Millionen Wahlberechtigte unterschreiben.
Wir wollen – und das ist uns besonders wichtig –, dass alle seit fünf Jahren in Deutschland lebenden Menschen abstimmungsberechtigt sind.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir wollen, dass auch 16-Jährige abstimmen dürfen.
Ausgeschlossen sind Volksinitiativen zu den in den Artikeln 1 und 20 Grundgesetz niedergelegten Grundsätzen und zum Haushaltsgesetz, und natürlich darf kein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir wollen auch, dass diejenigen mit entscheiden können, die derzeit nach § 13 Bundeswahlgesetz ausgeschlossen sind. Das betrifft zum Beispiel die Menschen, die unter Vollbetreuung stehen.
Um vorwegzunehmen, was an Gegenargumenten kommen könnte: Die Todesstrafe ist damit einem Volksentscheid entzogen; denn sie verstößt unzweifelhaft gegen die Menschenwürde.
Unser Gesetzentwurf ist ein Angebot. SPD und Grüne haben sicherlich Änderungsbedarf. Ich kann Sie nur auffordern: Äußern Sie den! Wir sind bereit, mit Ihnen in Gespräche einzutreten. Unser Gesetzentwurf ist ein Angebot. Wir wollen es gemeinsam schaffen, Volksbegehren, Volksinitiativen und Volksentscheide zur Realität werden zu lassen. Wir kleben nicht an Semikolons, wir kleben nicht an Kommas. Wir laden Sie ein: Diskutieren Sie mit uns gemeinsam.
(Beifall bei der LINKEN)
Nun führen wir diese Debatte nicht zum ersten Mal. Ich will deshalb präventiv auf einige Argumente eingehen, die insbesondere der Kollege Helmut Brandt, der heute gar nicht spricht, in der Vergangenheit vorgetragen hat.
Am 8. Juli 2010 sagte er, „dass durch diese Form des Plebiszits in der Weimarer Zeit das Volk aufgewühlt und gespalten und das Vertrauen in das Parlament zusätzlich erschüttert wurde.“ Ich finde es, ehrlich gesagt, etwas bedauerlich, dass das Argument Weimar immer wieder vorgetragen wird. Dieses Argument ist nicht tragfähig.
(Beifall bei der LINKEN)
Jens Kersten weist in dem sehr lesenswerten Buch Weimars lange Schatten – „Weimar“ als Argument nach 1945 nach, dass nach Memoiren und rückschauenden Schriften politischer Akteure der damaligen Zeit das Institut der direkten Demokratie überwiegend positiv bis wohlwollend neutral besetzt war. Kann es nicht vielleicht sein, dass die Weimarer Republik daran gescheitert ist, dass es zu wenige Demokratinnen und Demokraten gegeben hat, die bereit waren, sie zu verteidigen? Mir kommt es immer so vor, als würde Weimar zitiert, weil das gut ankommt. Aber das Kernproblem des Scheiterns der Weimarer Republik wurde nicht begriffen.
(Beifall bei der LINKEN)
Eine Demokratie muss von Demokratinnen und Demokraten demokratisch verteidigt werden.
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ach was!)
Am 14. Juni 2013 erklärte der Kollege, dass ein Volksentscheid „ein auf einen Punkt reduziertes Verfahren, bei dem die gestellte Frage nur mit Ja oder Nein zu beantworten ist“, sei. Ich muss Ihnen – mit Verlaub – ehrlich sagen: Das ist kein Argument gegen direkte Demokratie. Wenn wir hier im Plenum sitzen, tun wir nichts anderes, als eine gestellte Frage regelmäßig mit Ja, Nein oder Enthaltung zu beantworten.
(Michael Frieser [CDU/CSU]: Das ist ein ganz schiefer Vergleich!)
Das Verfahren der direkten Demokratie ist nicht reduziert. Bis es zu einem Volksentscheid kommt, dauert es eine Weile, und das Für und Wider kann öffentlich abgewogen werden. Wer sich die Realität der Behandlung von Vorlagen in Ausschüssen und hier im Plenum vor Augen führt, der könnte möglicherweise sogar zu der Annahme kommen, dass bei einem Gesetzgebungsverfahren über Volksentscheide eine umfassendere Behandlung mit einer Sachfrage vorliegt als bei einer Abstimmung hier im Bundestag.
(Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nur wenn man sich falsch vorbereitet! Oder gar nicht!)
Am 14. Juni 2013 sagte der Kollege Brandt, es müsse bedacht werden, „dass bei Volksentscheiden die Gefahr besteht, dass wichtige Sachfragen nicht nach sachbezogenen Gesichtspunkten entschieden werden, sondern danach, wie schlagwortartig und populistisch Parolen unter das Volk gebracht werden“.
Am 8. Juli 2010 ergänzte er, „dass wichtige Fragen nicht nach sachbezogenen Gesichtspunkten entschieden werden, sondern danach, welche Interessengruppe die bessere Lobbyarbeit macht“.
Ehrlich gesagt: Das finde ich schon wieder lustig; denn es suggeriert, dass wir alle hier im Parlament völlig frei von Schlagworten und völlig frei von populistischen Parolen Entscheidungen treffen, und es suggeriert, dass das Parlament ein Raum frei von Lobbyarbeit von Interessengruppen ist. Wir wissen alle, dass dem so nicht ist. Wir sollten einfach zur Kenntnis nehmen: Wir sind nicht die besseren Menschen. Wir sollten auch nicht so tun, als wären wir es.
(Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Aber es liegt doch an Ihnen, ob Sie sich beeinflussen lassen oder nicht! Sind Sie so wenig selbstbewusst? Wenn Sie so schnell beeinflussbar sind, müssen Sie sich nicht wundern, dass Ihre Politik schlecht ist!)
Denken Sie an Ihre Redezeit?
Ich komme zum Schluss.
Mit unserem Gesetzentwurf wollen wir ein ganz besonderes Maß an Transparenz herstellen; denn die Einflussnahme Dritter soll dadurch deutlich werden, dass Geld- und Sachspenden zur Unterstützung eines Volksentscheids ab 2 000 Euro offengelegt werden sollen. Ich bitte Sie also: Prüfen Sie unseren Gesetzentwurf – ich meine nicht Sie von der CDU/CSU; Sie machen da eh nicht mit –, kommen Sie mit uns ins Gespräch, und lassen Sie uns gemeinsam mehr direkte Demokratie einführen.
(Beifall bei der LINKEN)
Danke, Frau Kollegin. – Nächster Redner: Dr. Tim Ostermann für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3443573 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 37 |
Tagesordnungspunkt | Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid |