23.05.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 37 / Tagesordnungspunkt 21

Tim OstermannCDU/CSU - Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid

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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundestag hat in der Vergangenheit bereits elfmal über eine Vorlage zum Thema direkte Demokratie debattiert. Der Kollege Michael Hartmann hat sich in der letzten Wahlperiode die Mühe gemacht, dies zurückzuverfolgen. Das heißt, heute diskutieren wir über dieses Thema zum zwölften Mal.

(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Vielleicht lernen Sie ja mal hinzu!)

Ich glaube, dass Sie, werte Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion, sich eingestehen müssen, dass Ihre Ideen nicht so verfangen, wie Sie sich das wünschen.

(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Noch nicht! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die Argumente auch nicht!)

Das Ergebnis der Bundestagswahl hat gezeigt, dass das offenbar nicht funktioniert hat.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Bürger dieses Landes stehen mehrheitlich hinter der repräsentativen Demokratie, und sie stehen zu der Entscheidung der Mütter und Väter des Grundgesetzes, die vor 65 Jahren getroffen worden ist.

(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht in Bayern!)

Eine Umfrage von TNS Infratest vom November 2013 hat ergeben, dass insgesamt 70 Prozent der Deutschen mit der Art und Weise, wie die Demokratie in Deutschland funktioniert, zufrieden oder sogar sehr zufrieden sind.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Daher kann es nicht verwundern, dass die Plebiszitanträge in der Vergangenheit keine große Resonanz gefunden haben, dass den Anträgen keine breite Debatte in der Bevölkerung gefolgt ist. Heute wird es also zum zwölften Mal versucht. Respekt für die Beharrlichkeit!

(Beifall des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE] – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Es kommen auch noch Nummer 13 und 14!)

Inhaltlich haben Sie mit diesem Antrag jedoch wenig Neues zur Debatte beizutragen. Gleichwohl möchte ich Ihnen erneut die Argumente in Erinnerung rufen, mit denen wir Ihren Antrag auch zum zwölften Mal ablehnen werden.

(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Die habe ich doch gerade genannt und widerlegt!)

Das Argument Weimar ist übrigens nicht dabei.

(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ach, schade!)

– Es tut mir leid, dass ich Sie da enttäuschen muss.

(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Da haben Sie was gelernt!)

Erlauben Sie mir eine Bemerkung vorab. In Ihrer Begründung zum Gesetzentwurf haben Sie gleich im ersten Satz eine Steilvorlage geliefert. Dort heißt es: „Seit dem Jahr 1990 hat sich das Verfassungsleben intensiviert.“ Sie stellen wahrscheinlich deshalb auf das Jahr 1990 ab, weil Sie selbst erkannt haben, dass es im Osten unseres Landes bis zur Wende gar kein Verfassungsleben gab bzw. kein Verfassungsleben, das diesen Namen verdient.

(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Richtig! Haben Sie recht!)

Bis zur Wende – das will ich noch einmal in Erinnerung rufen – gab es keine freien Wahlen. Die Wahlen waren manipuliert. Man konnte nur für Einheitslisten abstimmen.

(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Da haben Sie recht! Das war schlimm!)

Die sogenannte Deutsche Demokratische Republik war alles, nur nicht demokratisch.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE] – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat das denn jetzt mit dem Volksentscheid zu tun? – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zur Sache!)

Das Volk im östlichen Teil unseres Landes hat dem Treiben Ihrer Vorgängerpartei, der SED, daher im Jahr 1989 ein Ende bereitet. Gott sei Dank!

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das war die Vorvorgängerpartei! Da müssen Sie schon richtig zurückrechnen!)

Die Menschen dort haben sich stattdessen für die Demokratie entschieden, für ein System der repräsentativen Demokratie, das in der Bundesrepublik schon jahrzehntelang erfolgreich praktiziert worden ist.

(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht in Bayern!)

Dieses haben wir heute Morgen in einer Feierstunde gewürdigt. Für uns ist die repräsentative Demokratie ein wesentlicher Grund für die Stabilität unseres politischen Systems, gerade auch im Vergleich zu anderen Staaten. Die repräsentative Demokratie ist ein Stabilitätsanker.

(Richard Pitterle [DIE LINKE]: Die Schweiz! Ist die Schweiz stabil?)

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder Bemerkung von Herrn Lenkert?

Erlaube ich. Bitte.

Herr Kollege, Sie sagten, dass sich die Bürgerinnen und Bürger in den neuen Bundesländern für die repräsentative Demokratie entschieden haben. Ich kann Ihnen versichern: Wir haben die Thüringer Landesverfassung mit einem Volksentscheid in Kraft gesetzt.

(Beifall des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])

Über diesen Volksentscheid ist ausdrücklich auch die direkte Demokratie in der Thüringer Verfassung verankert worden. Das war der Wille der Bürgerinnen und Bürger in Thüringen. Die Verfassung wurde mit 75 Prozent angenommen.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach!)

Ich kann Ihnen versichern: Wir wollten die direkte Demokratie. Jetzt wollen wir sie endlich auch auf Bundesebene.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun ist es aber so, Herr Kollege, dass die Volkskammer den Beitritt zum Geltungsbereich des Grundgesetzes erklärt hat. Und darum geht es heute: um die Bundesebene.

(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hä? Wie bitte? – Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Es geht um Volksinitiative!)

– Nein, es geht um die Bundesebene. Darüber reden wir heute.

Meine Damen und Herren, das Gesetzgebungsverfahren, an dem dieses Hohe Haus ja nicht unmaßgeblich beteiligt ist, ist in der Lage, verschiedene Interessen zu bündeln und aufzunehmen. Es lässt am Ende Gesetze entstehen, die diese unterschiedlichen Interessen berücksichtigen. Das Gesetzgebungsverfahren – das haben Sie eben etwas arg verkürzt dargestellt – ist ein sogenanntes lernendes Verfahren.

(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: In der Theorie, aber nicht in der Praxis!)

Es bringt hierfür alle Voraussetzungen mit. Denn es gibt eben nicht nur eine Abstimmung hier im Plenum, sondern auch drei Lesungen, Ausschussberatungen, Sachverständigenanhörungen und Berichterstattergespräche. Aus all diesen Beratungen gehen nahezu immer Änderungen und Anpassungen am Gesetzentwurf hervor.

(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: In der Theorie, nicht in der Praxis!)

Es gilt das Struck’sche Gesetz – man darf es hier heute wieder zitieren; dies wurde heute schon mindestens einmal getan –:

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht aber nicht in der Verfassung!)

Kein Gesetz verlässt den Bundestag so, wie es hineingekommen ist.

Kurzum: Das Gesetzgebungsverfahren, wie wir es kennen, bietet ein hohes Maß an thematischer Tiefe und Flexibilität. Ein solch ausdifferenziertes und umfassendes Verfahren kann ein Plebiszit nicht bieten. Denn bei einer Volksabstimmung – das haben Sie richtig wiedergegeben; Kollege Brandt hat es hier schon dargestellt – geht es letztlich immer nur um die Frage: ja oder nein, schwarz oder weiß?

(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Oder Enthaltung!)

Ein „Ja, aber“ ist nicht vorgesehen, und Farbnuancen gibt es nicht.

Die Gesetzgebung ist oftmals aber sehr vielschichtig und muss eine kaum überschaubare Vernetzung mit anderen Regelungsbereichen berücksichtigen. Volksentscheide erlauben eine solch detailreiche Abstimmung nicht. Die unangemessene Verkürzung vieler Sachthemen könnte leicht zu populistisch beeinflussten Ergebnissen führen, Ergebnissen, bei denen die notwendigen Kompromisse der parlamentarischen Diskussion auf der Strecke bleiben. Es besteht die Gefahr, dass nicht auf Grundlage von sachlichen Erwägungen entschieden wird, sondern dass sich Tür und Tor für Stimmungen und Emotionen öffnen.

(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das passiert hier nie!)

Wir wären jedoch schlecht beraten, wenn wir uns in wichtigen Sachfragen von Stimmungen und vor allem von Stimmungsmachern leiten lassen würden.

(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie in Bayern!)

Ich bin davon überzeugt: Dies würde insbesondere auch – das dürfte Sie besonders interessieren – zulasten von Minderheiten und gesellschaftlich benachteiligten Gruppen gehen. Hinzu kommt: Bei einem Volksentscheid kann die größere Finanzkraft – das ist wieder ein Argument von Herrn Brandt; das erwähne ich, um Sie zu erfreuen – bestimmter Akteure den Ausschlag hinsichtlich Erfolg oder Misserfolg geben: ein größeres Werbebudget für eine bessere Präsenz in den Medien, Abmahnwellen und juristische Spielchen durch Anwälte zur Einschüchterung des politischen Gegners, um nur einige Aspekte zu nennen. In der Welt der Volksentscheide gilt oftmals das Recht des Stärkeren und nicht unbedingt das des besseren Arguments.

(Beifall bei der CDU/CSU – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Aber hier auch nicht! Hier gelten die besseren Argumente auch nicht! Das sieht man ja gerade wieder!)

Sie werden jetzt vermutlich einwenden, dass man mit kommunalen Formen der Bürgerbeteiligung bisher keine schlechten Erfahrungen gemacht hat. Das mag sein. Allerdings lassen sich Volksentscheide auf diesen Ebenen nur schlecht mit solchen auf der Bundesebene vergleichen. In einem kommunalen Kontext sind die politischen Fragen zumeist überschaubarer.

(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ja, ja, schon klar!)

Sie können einfacher überblickt werden. Auf Bundesebene sähe das anders aus, auch deshalb, weil dort viele Sachfragen eine europäische oder internationale Dimension haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir Abgeordnete sind von den Bürgern gewählt und dazu berufen, das Volk zu vertreten. Dafür stellen wir uns alle vier Jahre zur Wahl. Der Bürger befindet mit seiner Stimme darüber, ob wir seine Interessen überzeugend vertreten haben oder eben nicht. Nicht zuletzt aufgrund von namentlichen Abstimmungen können jede Wählerin und jeder Wähler nachvollziehen, ob wir unsere Aufgabe in ihrem bzw. seinem Sinne erledigt haben.

Ich bin der Meinung, dass in den letzten Jahren vor allem die Möglichkeiten des Internets die Teilhabe der Bürger an politischen Prozessen verbessert haben. Es bieten sich zahlreiche Foren und Plätze, sich in den Gesetzgebungsprozess einzubringen.

(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Aber nicht, um mitzuentscheiden!)

Genannt seien hier etwa die Onlinepetition, soziale Netzwerke und Partizipationsplattformen Dritter. Für die Bürger war es noch nie so einfach, sich politisch zu beteiligen und ihre Meinung auch auf Bundesebene kundzutun.

(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Aber sie können nicht mitentscheiden!)

Schließen möchte ich mit einem Verweis auf die Festrede von Navid Kermani heute Morgen in der Feierstunde. Sie können sich sicherlich vorstellen, dass mir nicht alle Passagen dieser Rede gefallen haben.

(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum nicht?)

Aber die Passage, die ich jetzt mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin, zitieren möchte, hat mir schon gefallen; denn er hat gesagt – ich zitiere –:

– da ist sie dann doch einmal, die Weimarer Republik –,

(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre aber nicht abstimmungsfähig!)

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Bayern hat das Grundgesetz 1949 abgelehnt! – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Da hat er recht! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, da hat er recht!)

Ja, wo er recht hat, hat er recht. – Vielen Dank, Herr Kollege.

Es gab mehrere Zwischenrufe in Bezug auf Bayern vom Kollegen Konstantin von Notz, der weit weg von Bayern, in Schleswig-Holstein, lebt. Ich glaube, Herr von Notz, ich kann Ihnen im Namen all meiner bayerischen Kollegen versichern, dass wir eine recht lebendige Demokratie bei uns haben, die auch ziemlich direkt ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: In Festzelten!)

Der nächste Redner in der Debatte: Özcan Mutlu, Bündnis 90/Die Grünen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3443576
Wahlperiode 18
Sitzung 37
Tagesordnungspunkt Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid
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