Özcan MutluDIE GRÜNEN - Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Wawzyniak, wir nehmen Ihr Gesprächsangebot gerne an.
(Beifall bei der LINKEN – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Danke!)
Bündnis 90/Die Grünen ist nämlich die Partei, die sich seit ihrer Gründung konsequent für die Stärkung und die Erweiterung der direkten Demokratie in Deutschland eingesetzt hat und sich auch weiter dafür einsetzen wird. So haben wir seit 2002 in mehreren Anläufen in diesem Hohen Hause für eine Mehrheit geworben, damit das Grundgesetz geändert werden kann und bundesweite Volksentscheide möglich werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Unser letzter Anlauf ist an der Mehrheit von CDU/CSU und FDP, um nicht zu sagen: an der Verweigerung dieser Parteien, leider gescheitert. So wird es vermutlich auch Ihrem Gesetzentwurf ergehen. Ich bin auf die Debatten im Ausschuss gespannt.
Meine Damen und Herren, auch wenn es Teile des Hohen Hauses wohl immer noch nicht wahrhaben wollen: Die Ergänzung unserer parlamentarischen Demokratie durch direktdemokratische Entscheidungsmöglichkeiten ist auf kommunaler wie auf Landesebene eine Erfolgsstory, ein Erfolgsmodell. Ich bin mir ziemlich sicher: Sie wird bei richtiger Ausgestaltung auch auf Bundesebene ein Erfolgsmodell werden.
Weil wir hier verschiedene Kollegen gehört haben, sei mir an dieser Stelle noch folgende Randbemerkung erlaubt: Gerade diejenigen, die hier am lautesten immer wieder gegen Plebiszite argumentieren und die gegen die Schaffung von Volksentscheiden auf Bundesebene sind, gerade diese verstehen es am besten, auf kommunaler Ebene und auf Landesebene Volksentscheide zu nutzen und sie für ihre parteipolitischen Zwecke zu instrumentalisieren.
(Michael Frieser [CDU/CSU]: Falsch!)
Als Berliner Abgeordneter kann ich Ihnen da gerne zwei Beispiele nennen:
Ich erinnere an den Volksentscheid gegen die Schließung des Flughafens Tempelhof,
(Michael Frieser [CDU/CSU]: Ah!)
wo die CDU Berlin an vorderster Front marschiert ist, obwohl sie immer gegen Volksentscheide war.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was, die haben Volksentscheide gemacht?)
Das andere Beispiel aus Berlin ist die Einführung des Schulfachs Ethik; auch da hat die CDU mit erhobener Fahne an vorderster Front im Rahmen eines Volksentscheids gegen die Einführung dieses Schulfachs gekämpft.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört! – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Die haben eine Fahne? – Dr. Tim Ostermann [CDU/CSU]: Weil sie recht hat!)
Kollege Ostermann hat das Stichwort „Stimmungsmacher“ in den Raum gestellt. Da sage ich: Schaut nach Bayern! Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
(Dr. Tim Ostermann [CDU/CSU]: Von Bayern lernen heißt siegen lernen! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Seehofer will keine Konkurrenz!)
Meine Damen und Herren, uns ist bewusst, dass eine Entscheidung noch Zeit braucht, und wir werden weiter an diesem dicken Brett bohren, vielleicht auch mit den Linken, vielleicht auch mit den Sozialdemokraten. Dennoch können wir – da muss ich die Freude leider schon stoppen – dem Gesetzentwurf der Linken in der vorliegenden Form nicht zustimmen.
(Michael Frieser [CDU/CSU]: Oh!)
Wir lehnen die von Ihnen vorgeschlagene Regelung ab, dass vertragliche Grundlagen der Europäischen Union, die das Grundgesetz ändern, zukünftig per Volksabstimmung angenommen werden müssen. Diese Regelung kann durchaus europafeindlich wirken und birgt die Gefahr, parteipolitisch instrumentalisiert zu werden.
(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Hä? Verstehe ich nicht!)
Zugleich ist dieser Gesetzentwurf für mich – auch wenn Sie das jetzt nicht gerne hören – irgendwie auch ein Ausdruck des Fremdelns der Linken mit der Europäischen Union.
(Michael Frieser [CDU/CSU]: Das ist sehr vorsichtig formuliert! – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das müssen Sie noch einmal erklären!)
– In der Rede haben Sie nichts dazu gesagt; aber ich lese das aus Ihrem Gesetzentwurf.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Dieses Gefühl teilen wir ganz und gar nicht. Wir Grüne sind eine entschieden proeuropäische Partei.
(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Wir auch!)
Wir finden es richtig, dass das Grundgesetz – wir haben heute den 65. Jahrestag seines Inkrafttretens gefeiert – die Verankerung Deutschlands und die immer tiefere Integration Europas substanziell festschreibt. Die Europaoffenheit unseres Grundgesetzes, der darin festgeschriebene Auftrag der europäischen Integration, das ist keine Schwäche, sondern eine Stärke unseres Grundgesetzes.
(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Sehen wir auch so!)
– Das ist sehr schön; dann werden wir ja sehen, was Sie in den Ausschussberatungen sagen.
Deshalb können wir dem Gesetzentwurf der Linken in dieser Form nicht zustimmen. Wir finden sehr wohl, dass europäische Angelegenheiten auch europäisch – von allen Bürgerinnen und Bürgern Europas – entschieden werden müssen. Wir Grüne wollen die Bürgerinnen und Bürger in Europa – und auch in Deutschland selbstverständlich – stärken. Wir wollen mit dem Ziel einer weiteren Demokratisierung Europas die Institutionen Europas und die Entscheidungsrechte des Europäischen Parlaments stärken, statt sie durch nationale Vorbehalte einzuschränken.
(Beifall der Abg. Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])
In unseren Augen ist der Konflikt zwischen den Elementen direkter Demokratie und den Werten und Zielen einer proeuropäischen Politik nur auflösbar, wenn und indem wir mit aller Konsequenz daran arbeiten, die Entscheidungsprozesse auf europäischer Ebene weiter zu demokratisieren und zu festigen.
Denken Sie an Ihre Redezeit!
Ich denke an meine Redezeit.
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Zu wenig!)
Ich hoffe, ich konnte ein wenig deutlich machen, Frau Präsidentin, liebe Linke,
(Heiterkeit)
wie wichtig uns diese Punkte sind und was wir als schädlich für die weitere Entwicklung Europas ansehen.
Ein letzter Satz sei mir erlaubt,
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Da werden die Satzzeichen plötzlich ganz wichtig!)
weil ich Berliner bin: Am Sonntag wählt Berlin nicht nur das Europäische Parlament, in Berlin steht auch ein Volksentscheid an. Das ist eine exzellente Gelegenheit, zu zeigen, wie gut direkte Demokratie funktionieren kann. Als Berliner Abgeordneter wünsche ich mir, dass viele Berlinerinnen und Berliner am Sonntag zur Wahl gehen –
Das wünschen wir auch – und dass Sie jetzt zum Ende kommen.
– und sich für die nachhaltige Zukunft des Tempelhofer Feldes einsetzen.
Danke sehr, Frau Präsidentin.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)
Danke, Herr Kollege. – Nächster Redner: Dr. Lars Castellucci für die SPD.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3443577 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 37 |
Tagesordnungspunkt | Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid |