23.05.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 37 / Tagesordnungspunkt 21

Lars CastellucciSPD - Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid

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Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Kolleginnen! Meine Damen und Herren! Das ist ein guter Tag, um über Demokratie zu sprechen; denn wir haben noch ein weiteres Geburtstagskind

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das Grundgesetz!)

– neben dem Grundgesetz –, nämlich die SPD. Sie wird heute 151 Jahre alt.

(Zurufe von der SPD: Ganz schön jung! – Das sieht man ihr aber nicht an! – Michael Frieser [CDU/CSU]: Knapp vor der Rente! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Jetzt verstehe ich die Rente mit 63!)

Ich gehe davon aus, dass wir jetzt nicht singen, Frau Präsidentin.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Was müssten wir denn dann jetzt singen? – Das tun wir jetzt aber nicht; nein, das lassen wir.

Das üben wir noch.

Brüder, zur Sonne, zur Freiheit, und die Frauen putzen die Fenster. – Nein, Entschuldigung.

Gut. – Die Geschichte der SPD ist eine Demokratisierungsgeschichte: Die Arbeiterbewegung hat einst das allgemeine, freie und gleiche Wahlrecht erkämpft, später kam das Frauenwahlrecht dazu.

Willy Brandt ist heute schon sehr oft zitiert worden: „Wir wollen mehr Demokratie wagen.“ Das ist nicht nur unsere Geschichte, sondern auch unser Auftrag. Deshalb unterstützen wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten auch, dass es mehr Mitwirkungsmöglichkeiten für die Menschen in Deutschland geben soll. Wir sind für die Einführung von Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheiden auf Bundesebene.

(Beifall der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE])

Wir wollen auch das Wahlalter auf 16 Jahre senken, wir wollen die Menschen direkter in die vielfältigen Formen der Bürgerbeteiligungsverfahren einbeziehen, und wir wollen auch, dass Gruppen, die heute noch nicht wählen können, die Möglichkeit dazu erhalten. Denken wir zum Beispiel an die Menschen mit ausländischem Pass. Wir glauben, dass die generelle Hinnahme der Mehrstaatlichkeit ein geeigneter Schlüssel sein kann, um hier Schritte nach vorne zu gehen. Im Koalitionsvertrag haben wir uns daneben immerhin vorgenommen, dass wir für diejenigen, die umfassend betreut werden, die rechtlichen Hemmnisse zur Ausübung des Wahlrechts abbauen wollen. Wir müssen miteinander besprechen, wie das gehen kann.

Demokratie ist also ein sehr wichtiges Thema. Deswegen ist es auch grundsätzlich sehr gut, dass wir heute diese Debatte führen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Gleichzeitig handelt es sich ja um eine Übung, die schon eine gewisse Wiederholung kennt, weil leider mit der Union nichts zu machen ist.

(Dr. Tim Ostermann [CDU/CSU]: Was? – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Mit uns ist viel gelungen!)

Auch in den Koalitionsverhandlungen haben wir daran nichts ändern können.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was wir heute schon alles gemeinsam gemacht haben! – Richard Pitterle [DIE LINKE]: Die Betonung liegt auf „nichts“!)

Heute war ja schon einmal von Carlo Schmid, einem unserer Verfassungsväter, die Rede. Carlo Schmid berichtet in seinen Memoiren von einer Begegnung mit Adenauer. Adenauer sagte ihm – ich zitiere –:

– also Schmid und Adenauer –:

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wer soll das gesagt haben?)

Das ist zwar etwas entfernt von einem christlichen Menschenbild, aber man kann bei der Biografie des Altkanzlers vielleicht Respekt vor dieser Meinung haben. Man sollte möglicherweise aber nicht bei Adenauer stehen bleiben.

Wir haben heute wirklich viel Grund dazu, die Beteiligungsmöglichkeiten der Menschen auszuweiten, und, anders als Herr Ostermann gesagt hat – man findet immer die Umfrage, die man gebrauchen kann –, wünschen sich die Menschen auch die Beteiligungsmöglichkeiten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Michael Frieser [CDU/CSU]: Wieder Applaus von der falschen Seite!)

Nach einer Umfrage der Bertelsmann-Stiftung sind es 80 Prozent.

Passen Sie jetzt einmal auf: Es gibt sogar Hinweise, dass Ihre Wählerinnen und Wähler das nicht nur wollen, sondern dass sie bei diesen direkten Verfahren sogar verstärkt zur Abstimmung gehen würden, womit Sie einen weiteren Hebel in der Hand hätten, Ihre Politik durchzusetzen.

(Michael Frieser [CDU/CSU]: Schauen Sie nach Bayern!)

Das habe ich Ihnen jetzt natürlich nicht verraten, aber vielleicht gibt Ihnen das zu denken.

Es ist sicherlich falsch, von einer Krise der Demokratie zu sprechen. Wir haben heute zu Recht darauf hingewiesen, dass sich die repräsentative Demokratie bewährt hat. Gleichzeitig bangen wir alle und fragen uns, wie hoch die Wahlbeteiligung am Sonntag werden wird.

(Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Das ist bei Volksentscheiden nicht besser!)

Die Mitgliederzahlen der Parteien sinken. Deswegen sind wir gut beraten, zu überlegen, wie wir die Demokratie lebendig halten und mehr Menschen für sie begeistern können.

Verehrte Kollegen von den Linken, an dieser Stelle möchte ich einen Punkt aus Ihrem Antrag herausgreifen, bei dem ich glaube, dass Sie damit dem Wunsch, Begeisterung auszulösen, zuwiderhandeln.

Sie schlagen vor, dass, wenn es einen Volksentscheid gibt, jede Fraktion im Deutschen Bundestag ihren Vorschlag gleichzeitig auch zur Abstimmung stellen kann.

(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das können wir verhandeln!)

Damit leisten Sie der direkten Demokratie einen Bärendienst. In Wahrheit werden damit die Rechte von Parlamentsfraktionen ausgeweitet, und das ist eigentlich das Gegenteil von mehr Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger.

(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Verhandelbar! Das können wir verhandeln!)

Wie können wir für Demokratie begeistern? Wie können wir in die Demokratie mehr Leben bekommen? Das gelingt in erster Linie dadurch, dass wir bessere Politikergebnisse erzielen. Hierfür ist es wichtig, dass wir die unterschiedlichen Formen von Demokratie – direkte Demokratie, repräsentative Demokratie und auch Bürgerbeteiligung – nicht gegeneinander ausspielen, sondern dass wir ihre Chancen nutzen.

Ich erinnere an den letzten SPD-Antrag für mehr direkte Demokratie. Da sehen Sie, dass dort die Möglichkeit eines Kompromisses gegeben ist: Diejenigen, die den Volksentscheid eingebracht haben, und der Bundestag können sich auf einen gemeinsamen Vorschlag einigen. Das halte ich für ein gutes Verfahren, gemeinsam zu besseren Lösungen zu kommen. Das könnte auch der Demokratie guttun.

(Beifall bei der SPD – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Auch das können wir aufnehmen! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Aber die Wahlbeteiligung bei Volksbefragungen ist doch deutlich geringer als bei Wahlen!)

Es hilft nichts, wenn wir hier zustimmen würden. Wir warten also auf die Union. Wir warten hier immerhin nicht auf Godot. Bekanntermaßen kam er nie.

(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er wird auch nie kommen!)

Man wusste nicht, ob es ihn überhaupt gibt. Sie dagegen sind sehr real.

Ich möchte Ihnen Folgendes zu denken geben: Sie waren einmal für Atomenergie, und jetzt sind Sie gegen Atomenergie. Sie waren einmal für das dreigliedrige Schulsystem, und jetzt sind Sie häufig daran beteiligt, es abzuschaffen.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch Sie waren mal für Atomenergie und für Gentechnik!)

Sie haben die Wehrpflicht befürwortet, und jetzt haben Sie sie mit abgeschafft. Deswegen ist auch in dieser Sache das letzte Wort noch nicht gesprochen.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie waren doch immer für Gentechnik und für Atomenergie! Sie müssen sich schon mal Ihre Geschichte angucken!)

Irgendwann kommt auch beim Thema direkte Demokratie Bewegung in Ihre Reihen. Ich wünsche uns dafür Geduld und gute Beratungen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Kollege, und von Herzen Glückwunsch zu einem bemerkenswerten Geburtstag. – Jetzt kommt als nächster Redner ein Vertreter Bayerns – nein, Entschuldigung: ein Vertreter Frankens; wir müssen schon korrekt sein, sonst bekomme ich Ärger –:

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Michael Frieser für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3443613
Wahlperiode 18
Sitzung 37
Tagesordnungspunkt Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid
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