23.05.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 37 / Tagesordnungspunkt 21

Michael FrieserCDU/CSU - Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid

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Frau Präsidentin! Keine Angst, Sie bekommen keinen Ärger. Ich halte es kraft Persönlichkeit und Gewichts aus, als beides zu gelten: sowohl als Franke als auch als Bayer.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Notfalls als Deutscher!)

Auch ich möchte der SPD zu ihrem 151. Geburtstag gratulieren und sage dazu: Wir haben die Flexirente doch schon umgesetzt. Jetzt muss man doch langsam einmal ans Aufhören denken.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich halte diese Diskussion heute mit Blick auf den Geburtstag des deutschen Grundgesetzes für ideal. Es ist ein gutes Buch – Sie sollten es einmal lesen. Es stehen eine ganze Reihe von interessanten Sachen drin. Die einzigen Sätze, die in dem Gesetzentwurf der Linken stimmen, sind die Zitate aus dem Grundgesetz. Aber schon in Ihren ersten Sätzen heißt es sinngemäß: Artikel 20 des Grundgesetzes enthält den Grundsatz, dass die Souveränität vom Volke ausgeht. Da müssen wir Sie berichtigen: Die Souveränität in diesem Land geht immer vom Volk aus, und zwar ausschließlich. Das wird auch durch diesen Gesetzentwurf nicht geändert.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Nachdem wir über dieses Thema schon ein gutes Dutzend Mal beraten haben, sollten wir es abschließen dürfen.

(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Stimmen Sie zu?)

Das, was Sie uns vorlegen, ist alter Wein in alten Schläuchen. Das ist dann in Ordnung, wenn man alten Wein liebt. Wenn man genauer hinschaut, dann ist klar: Das ist noch nicht einmal alter Wein, vielmehr wird er langsam zu Essig. Es gibt zwar guten Essig, aber davon kann an dieser Stelle nicht die Rede sein.

Es geht vor allem um eine fehlerhafte Staatstheorie. Wenn man den Gedanken des Artikels 20 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz mit dem in Satz 2 ins Verhältnis setzt, also die Sätze „Die Souveränität, also die Staatsgewalt, geht vom Volke aus“ und „Sie wird vom Volke in Wahlen und in Abstimmungen ausgeübt“ betrachtet, dann wird offensichtlich: Sie widersprechen sich, wenn Sie das in dieser Form umsetzen.

Jetzt fehlt der Zwischenruf von Herrn von Notz von den Grünen. Er müsste an dieser Stelle „Bayern“ rufen. Da der Zwischenruf nicht kommt, machen wir ihn eben selber. Darauf kommt es nicht an; das ist egal.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)

In Bayern gibt es wirklich eine direkte Demokratie, und sie funktioniert sogar. Seit 1956 wurden fast 50 Volksentscheide durchgeführt, knapp 20 davon haben es bis zur zweiten Stufe gebracht. Auf der Länderebene ist das eine sehr interessante Geschichte. Auch das Grundgesetz kennt den Volksentscheid: in ganz bestimmten Fällen, beispielsweise bei der Weitergabe von Kompetenzen an die EU. Glauben Sie mir: Als CSUler habe ich dafür durchaus Sympathien, besonders mit Blick auf den kommenden Sonntag.

Ich glaube, der vorliegende Gesetzentwurf hat auch etwas damit zu tun, dass am kommenden Sonntag Europawahlen sind; das könnte zumindest theoretisch sein. Es gibt bestimmt Themen, die für eine Volksabstimmung geeignet sein könnten. Aber man kann so etwas eben nicht als Buffet organisieren, sondern man muss schon konkret sagen, womit man die Menschen tatsächlich befassen will.

In dem Gesetzentwurf der Linken steht der entscheidende Satz: Wenn die in den Artikeln 1 und 20 enthaltenen Grundsätze tangiert werden, dann sind Volksentscheide oder Volksabstimmungen selbstverständlich nicht möglich.

(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Schon mal was von Ewigkeitsgarantie gehört?)

Herzlichen Glückwunsch! Das haben Sie nett formuliert. Das Bundesverfassungsgericht möge bitte einmal auslegen, was es mit den Grundsätzen der Artikel 1 und 20 auf sich hat.

(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Artikel 1 und 20, Ewigkeitsgarantie!)

Das Ergebnis wird sein: Sie nehmen genau das, was Ihnen in Ihrer Vorgehensweise, nämlich der Instrumentalisierung der Minderheiten, um zur Mehrheit zu kommen, gerade in den Kram passt. Die Folge wird ein Zeitgeistkatalog sein, der dann zur Abstimmung gestellt wird. Es geht in keiner Weise um eine Stärkung der direkten Demokratie.

Im Ergebnis läuft es doch immer darauf hinaus, dass man versucht, ein Thema, mit dem man in der repräsentativen Demokratie nicht weiterkommt, auf marktschreierische Art umzusetzen. Es ist doch Ihre Aufgabe als direkt bzw. über Listen gewählte Abgeordnete, darüber zu entscheiden und daran mitzuwirken, die Menschen über die Themen zu informieren und vor allem deren Sinn, Geist, Zweck und Anregungen mit aufzunehmen, sie hier zusammenzuführen und zu einem Ergebnis zu bringen. Das ist Ihre persönliche Aufgabe. Diese persönliche Aufgabe redelegieren Sie jetzt an den eigentlichen Gesetzgeber, nämlich den Souverän.

(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ja, an den eigentlichen Gesetzgeber! Richtig!)

Wenn die Linke der Auffassung ist, dass sie an der Willensbildung in diesem Land nicht mehr teilhaben will: Herzlichen Glückwunsch und auf Wiedersehen! Wir sehen uns an anderer Stelle wieder.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Vermissen werden wir sie nicht!)

Unsere Definition von Politik ist definitiv eine andere.

(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Sie lehnen alles ab, was wir machen!)

Unsere Definition ist, dass wir Abgeordnete nicht nur aus praktischen Gründen, sondern auch, weil wir ausschließlich unserem Gewissen unterworfen sind, für die jeweiligen Themen eintreten, die wir mit unseren Grundsätzen abstimmen müssen, um sie dann zu einem konsensualen Ergebnis zu bringen. Das ist Gesellschaftspolitik. Das übersetzt letzten Endes die Staatstheorie in gelebte Politik für die Bürger und damit für die Menschen in diesem Land.

(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Aber das funktioniert doch nicht!)

Aber wir wollen – und dazu fordern wir Sie auch auf –, dass man an dieser Stelle mitwirkt.

Da wir immer wieder das pädagogische Prinzip der Wiederholung anwenden müssen, halte ich fest: Eine Volksabstimmung als solche, die Sie auf einen Grundsatz verknappen müssen, damit die Menschen mit Ja oder Nein abstimmen können, kann bei bestimmten Themen nicht funktionieren. Eine Aushöhlung der repräsentativen Demokratie, in der Ihre persönliche Verantwortung im Vordergrund steht, wird nicht dazu führen, dass Sie am Ende mehr Politikbeteiligung erreichen. Sie werden sie vielmehr zergliedern und wahrscheinlich sogar in gewisser Weise ad absurdum führen, weil es Ihnen um die Etablierung einer Dagegen-Demokratie geht.

Herr Frieser, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung?

Sofort, wenn ich meinen Gedanken zu Ende gebracht habe.

Alles klar.

Für die Dagegen-Demokratie gibt es ein schlimmes Beispiel. Wer hat das erfunden? Die Schweizer haben es erfunden. Kollege Schuster hat völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass bei den Volksabstimmungen in der Schweiz die niedrigste Wahlbeteiligung herrscht. – In Bayern ist es ähnlich – jetzt vermisse ich wieder einen Zwischenruf von Herrn von Notz –: Dort gibt es dieses wunderbare Element der direkten Demokratie. Was ist die Folge? Eine niedrigere Wahlbeteiligung bei diesen Abstimmungen.

Das sollte uns zu denken geben. Eine Volksabstimmung als solche kann nicht das alleinige Heilmittel sein. Wir müssten die entsprechenden Regelungen klar und genau formulieren, wie es das wunderbare Grundgesetz bereits macht.

Bitte, Frau Kollegin.

Danke, Herr Frieser. – Frau Wawzyniak.

Herr Frieser, ich bin mit Ihnen einer Meinung, dass wir uns in einzelnen Punkten durchaus verständigen und einigen könnten. Ich frage Sie deshalb, wie Sie es sich erklären, dass es uns bei bestimmten Themen, in denen wir uns einig sind und wir als Linke Formulierungen vorlegen, die wortgleich mit Ihren sind, unmöglich ist, einen gemeinsamen Antrag zustande zu bringen, weil es in Ihrer Fraktion offensichtlich eine Kauder-Doktrin gibt, nach der wir nicht mit Ihnen gemeinsam Anträge vorlegen können. Können Sie mir das erklären, wenn Sie sagen, dass alles so gut funktioniert?

Abgesehen von der Tatsache, dass das ein bisschen von der Diskussion ablenkt, will ich mich gerne auf die Frage einlassen. Ich widerspreche selbstverständlich dem Begriff „Kauder-Doktrin“. Eine solche Doktrin gibt es in keiner Weise. In dieser Frage gibt es in der CDU/ CSU-Fraktion noch nicht einmal einen Fraktionszwang.

Sie müssen es uns schon selbst überlassen, mit wem wir als Demokraten entweder erklärtermaßen kraft Verträgen oder aber manchmal aus Sympathie gemeinsame Anträge einbringen. Wenn die CDU/CSU-Fraktion zu einem Ergebnis kommt und das, was sie in einen Antrag aufnimmt, für richtig hält, bin ich der Auffassung, dass es dafür nicht unbedingt des Briefkopfes der Linken bedarf. Es gibt in diesem Hause aber sehr wohl auch Gruppenanträge, in denen Abgeordnete unabhängig von ihrer Fraktionszugehörigkeit übereinstimmen.

Frau Kollegin, ich muss trotzdem sagen: Damit täuschen Sie über den Grundgedanken und das Problem, über das wir diskutieren, nicht hinweg. Im Ergebnis bleibt es dabei. Sie können die deutsche Politik nicht nach Buffetart organisieren, indem Sie sagen: Das passt mir gerade in mein Konzept der marktschreierischen Politik. – Sie tun damit nicht nur der Politik und den Menschen keinen Gefallen, sondern Sie vergehen sich ein Stück weit auch – ausgerechnet am heutigen Gedenktag – am Grundgesetz. Das wollen wir nicht. Deshalb bleibt es bei unserer ablehnenden Haltung gegenüber Ihrem Gesetzentwurf. Ich glaube, das ist ganz gut so.

(Beifall bei der CDU/CSU – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Wir sehen uns nächste Sitzungswoche!)

Danke, Herr Kollege Frieser. Ich wünsche Ihnen eine schöne Fußballsaison. Das ist Ausdruck meines Mitleids.

(Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: FC Augsburg!)

– Ja, wir sind auf Platz acht.

(Michael Frieser [CDU/CSU]: Wir bereuen nicht nur die Liebe nicht, sondern auch das Mitleid nicht!)

Der letzte Redner in dieser Debatte ist Matthias Schmidt für die SPD.

(Beifall bei der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3443615
Wahlperiode 18
Sitzung 37
Tagesordnungspunkt Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid
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