04.06.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 38 / Tagesordnungspunkt 1

Edelgard Bulmahn - Regierungserklärung zu EU-Treffen und G7-Gipfel

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will unterstreichen, was die Bundeskanzlerin zu Recht betont hat: Die Ukrainer haben Petro Poroschenko bei einer Wahlbeteiligung von deutlich über 60 Prozent im ersten Wahlgang mit 54 Prozent zu ihrem Präsidenten gewählt. Das ist ein starkes Zeichen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion gratuliert Herrn Poroschenko zu diesem wichtigen Sieg. Er tritt eine äußerst schwierige Aufgabe an.

Die Debatte, die wir hier führen, verwundert mich schon etwas. Es lohnt sich aber nicht, darauf weiter einzugehen.

Herr Schäfer hat zu Recht allen gedankt, die als Wahlbeobachter dabei waren. Frau Dagdelen, Mitglieder Ihrer Fraktion waren an der OSZE-Wahlbeobachtermission beteiligt, und sie haben diese Wahl als frei und fair bezeichnet. Wenn Ihnen, Frau Dagdelen, nun das Ergebnis nicht passt – Sie haben wörtlich von einer „sogenannten Präsidentschaftswahl“ gesprochen –, dann zeigt dies, dass Sie noch nicht in der Demokratie angekommen sind. Sie sind nach wie vor zutiefst von totalitärem Denken geprägt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch der Abg. Sevim Dagdelen [DIE LINKE])

Ich will auch auf einen anderen Umstand ausdrücklich hinweisen. Herr Poroschenko ist in allen Wahlkreisen des gesamten Landes mit deutlicher Mehrheit gewählt worden – selbst in den umkämpften Orten im Osten. Da dies in der Vergangenheit anders war – die Wahlergebnisse der führenden Kandidaten zeigten im Osten und im Westen deutliche Unterschiede –, hat dieses Wahlergebnis einen ganz besonderen politischen Stellenwert. Herr Poroschenko ist der Präsident aller Ukrainer. Das ist das wichtige Ergebnis der Wahl vom 25. Mai.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der Präsidentenwahl setzen die Ukrainer ein klares Zeichen. Es ist der unmissverständliche Auftrag, für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Korruptionsbekämpfung sowie für die politische, wirtschaftliche und soziale Einheit des Landes zu sorgen. Die Ankündigung des gewählten Präsidenten, zuerst in den Osten der Ukraine zu reisen und sich um die Stärkung der Wirtschaft und um die Verbesserung der sozialen Lage dort zu kümmern, ist dafür eine sehr wichtige Botschaft. Es muss darum gehen, dass die Menschen im Osten der Ukraine wieder Vertrauen in die Politik finden, die in Kiew gemacht wird, zumal es in der Vergangenheit leider auch gravierende Fehler mit Blick auf die Menschen im Osten des Landes gegeben hat.

Gerade die Menschen im Osten der Ukraine müssen schnell von den Wirtschafts- und Finanzhilfen des IWF und der EU profitieren; denn dort ist die wirtschaftliche und soziale Lage besonders schwierig. Dies wäre auch eine wichtige Antwort an die Separatisten. Denn dann lautet die Botschaft für die Menschen in den umkämpften Gebieten: Während die Separatisten für Unsicherheit und Terror sorgen, während Moskau Waffen und Kämpfer schickt, leistet Kiew auch mithilfe der EU und mit unserer Unterstützung konkrete Beiträge, damit es den Menschen in der Ostukraine Stück für Stück besser geht und ihre Region wirtschaftlich modernisiert wird. Die Menschen dort wollen endlich sicher und in Frieden leben. Dazu brauchen sie unsere Unterstützung.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Herr Kollege Schockenhoff, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Nein.

Das Wahlergebnis ist deshalb auch ein starkes Signal gegen die Gewalt der Separatisten und Terroristen und gegen die Einmischung von außen. Die Ukrainer wollen ihren eigenen, selbstbestimmten Weg gehen. Mit den Stimmzetteln haben sie allen russischen Destabilisierungsaktivitäten der letzten Wochen eine klare Absage erteilt. Das sollte Moskau endlich akzeptieren.

Doch was ist die Realität des russischen Handelns? Inzwischen sprechen die Separatisten ganz offen davon, dass sie von russischen Soldaten unterstützt werden und sich ihrem Kommando unterstellt haben. Letzte Woche haben wir aus dem Sicherheits- und Verteidigungsrat der Ukraine Zahlen dazu erhalten: Circa 800 russische Berufssoldaten befinden sich allein in den Städten Lugansk, Slowjansk und Donezk. Weiterhin sind dort 600 russische Freiwillige – vor allem pensionierte oder aus der Armee ausgeschiedene russische Soldaten. Diese Zahlen dürften in der Zwischenzeit weit höher sein; denn wir hören jeden Tag von neuen Militärkonvois, die aus Russland in die Ukraine einsickern. Der russische Grenzschutz schaut dem tatenlos zu.

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstützt deshalb nachdrücklich die Aufforderung der Staats- und Regierungschefs der EU von Anfang der Woche an Moskau, „seinen Einfluss auf die bewaffneten Separatisten zu nutzen, um die Lage in der Ostukraine zu deeskalieren und vorrangig zu verhindern, dass Separatisten und Waffen in die Ukraine gelangen“. Aber wir müssen feststellen, dass Russland dazu bisher nicht bereit ist. Wenn russische Soldaten und andere mit modernsten russischen Waffen ausgerüstete Kämpfer mit Billigung der russischen Grenztruppen und damit mit Billigung Moskaus in die Ukraine eindringen können, dann ist dies auch eine Form militärischer Intervention Russlands in der Ukraine.

Nach der Annexion der Krim stellt Russland mit diesen militärischen Destabilisierungsaktivitäten im Osten der Ukraine auch weiterhin grundsätzliche Elemente der europäischen Friedensordnung und die über viele Jahre erarbeiteten Regelwerke einer europäischen Sicherheitsarchitektur infrage. Russland belastet durch sein Verhalten Frieden, Sicherheit und Stabilität in Europa weiterhin schwer.

Unsere Bündnispartner im Osten, insbesondere die baltischen Staaten und Polen, fühlen sich besonders bedroht. Ich sage ganz deutlich: Deren Sorgen sind auch unsere Sorgen. Deshalb ist es richtig, dass die NATO- Staaten bereits eine Verstärkung ihrer Streitkräfte und zusätzliche Truppen auf dem Boden unserer östlichen Partner und in der Ostsee beschlossen haben.

(Zuruf des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])

Ob dort darüber hinaus auch permanente Stationierungen erforderlich werden, wird bis zum NATO-Gipfel Anfang September zu prüfen sein. Das wird sehr davon abhängen, ob Russland sein unberechenbares und aggressives Verhalten, vor allem gegenüber der Ukraine, fortsetzt.

Ich sage aber auch – das ist von meinen Vorrednern bis auf eine Ausnahme bestätigt worden –: Wir alle wissen und sind überzeugt, dass dieser Konflikt militärisch nicht zu lösen ist. Deshalb wird es notwendig sein, dass die neue ukrainische Führung unter Beteiligung und mit Hilfe der USA und der EU das Gespräch mit Moskau sucht, um eine Lösung zu finden, die die Gewalttätigkeit beendet, die zur Entwaffnung der illegal bewaffneten Gruppen und zum Abzug der russischen Soldaten und Geheimdienstkräfte führt und die die Souveränität und Integrität der Ukraine sichert.

Es ist genauso notwendig, auf Moskau einzuwirken, damit es zu konstruktiven und lösungsorientierten Gesprächen bereit ist. Wir bedanken uns bei der Bundeskanzlerin und beim Außenminister für ihre Bemühungen, die wir auch weiterhin mit Nachdruck unterstützen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

In diesem Zusammenhang ein Wort zur völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland: Es gibt Menschen – auch ein ehemaliger Bundeskanzler gehört dazu –, die davon reden, dass die Krim – so wörtlich – für immer weg sei. Das ist nichts anderes als die Anerkennung von Landraub und Völkerrechtsbruch. Deswegen begrüßt und unterstützt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit Nachdruck, dass die Staats- und Regierungschefs der EU die unrechtmäßige Eingliederung der Krim in die Russische Föderation erneut scharf verurteilt und zum Ausdruck gebracht haben, dass sie diese Annexion nicht anerkennen werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, niemand weiß heute, unter welchen Voraussetzungen und wann die Krim wieder zur Ukraine gehören wird. Aber die Geschichte hat gezeigt, dass die Wiedervereinigung Deutschlands möglich war und dass die baltischen Staaten ihre Unabhängigkeit zurückgewinnen konnten. Warum sollte das nicht auch für die Krim möglich werden? Gerade wir Deutschen, die nach 40 Jahren unsere Einheit wiedererlangen konnten, sollten nicht so reden, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Menschen in der Ukraine haben große Erwartungen an ihren neu gewählten Präsidenten Poroschenko. Zugleich sind die Herausforderungen im Zusammenhang mit der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Veränderung enorm. Die Reformbemühungen im Bereich der Justiz, der Staatsanwaltschaft und im Sicherheitssektor sowie zur Bekämpfung von Korruption sind eine echte Herausforderung. Deshalb begrüßen wir sehr, dass die Europäische Union und auch die einzelnen Mitgliedstaaten der EU umfangreiche Unterstützung zugesagt haben bzw. bereits konkrete Hilfe leisten.

Herr Poroschenko möchte so bald wie möglich den Handelsteil des Assoziierungsabkommens unterschreiben. Auch das sollten wir nachdrücklich unterstützen, zumal alle russischen Vorwürfe, dieses Abkommen würde der russischen Wirtschaft schaden, in sich zusammengebrochen sind. Russland hat in den Verhandlungen mit der Europäischen Union dazu keinerlei Belege vorlegen können.

Um es klar zu sagen: Wir müssen die Zusammenarbeit zwischen der EU und der Ukraine zu einer Erfolgsgeschichte machen. Wir müssen dabei den schwierigeren Weg gehen: mit den Mitteln der Soft Power und des Völkerrechts gegen russische militärische Destabilisierung und Völkerrechtsbruch.

Dies ist kein Konflikt fern im Osten der Ukraine. Dies ist ein Konflikt, der uns direkt angeht.

(Zuruf von der LINKEN: Das ist wahr!)

Es geht um Frieden, um Sicherheit und die Stärke des Rechts in ganz Europa.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Jetzt erhält zunächst Herr Hunko das Wort zu einer Kurzintervention.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3485123
Wahlperiode 18
Sitzung 38
Tagesordnungspunkt Regierungserklärung zu EU-Treffen und G7-Gipfel
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