Franz ThönnesSPD - Regierungserklärung zu EU-Treffen und G7-Gipfel
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zehn Wahlbeobachter des Deutschen Bundestages waren am 25. Mai in Kiew und in anderen Teilen der Ukraine unterwegs. Am Ende stellen alle fest – auch Kollege Hunko hat es gerade wiedergegeben –: Diese Wahl hat eindeutig den vereinbarten Prinzipien entsprochen, die die OSZE zu bewerten hatte. Vielleicht war es sogar mit die demokratischste Wahl, die bisher in der Ukraine stattgefunden hat. Die Wahl folgte einem eindeutigen, klaren, demokratischen Verfahren und hat ein Ergebnis gebracht, das denjenigen zugutekommt, die die Wahlen unter schwierigen Umständen vorbereitet haben; sie verdienen unsere Anerkennung. Dem neuen Präsidenten Petro Poroschenko ist zu gratulieren.
(Beifall der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Vor der Wahl gab es von Russland Erklärungen, die besagten, man werde das Ergebnis akzeptieren. Man muss sagen: Angesichts der Spannungen war das schon ein wichtiger Schritt. Aber eigentlich haben wir alle darauf gewartet, dass auch Moskau nach der Wahl deutlich sagt: Wir erkennen die Entscheidung des ukrainischen Volkes eindeutig an.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Dazu gehört auch die Erwartung, dass ein entsprechend hochrangiger Gast aus Russland teilnimmt, wenn Präsident Poroschenko am kommenden Samstag in das Amt eingeführt wird. Auch dadurch könnte die Anerkennung der Wahlentscheidung zum Ausdruck gebracht werden. Deutschland bringt sie zum Ausdruck; ich denke, es ist gut, dass Bundespräsident Gauck in Kiew dabei sein wird.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die Wahlbedingungen waren natürlich eine große Herausforderung. Im Osten sind die Wahlen zum großen Teil von Extremisten, von bewaffneten und gewalttätigen Gruppen, behindert worden, die teilweise Wahlurnen zerschlagen haben, die Menschen in Wahllokalen bedroht und an der Ausübung ihres Wahlrechts gehindert haben. Das zeigt ganz klar und eindeutig, welches Verhältnis diese Gruppen zur Demokratie haben; sie stehen nicht für eine gute Zukunft der Ukraine. Doch in anderen Teilen des Landes hat es geradezu einen Wahlenthusiasmus gegeben: Menschen, die bei 30 Grad zwei oder zweieinhalb Stunden vor dem Wahllokal in der Schlange stehen, um von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen, nachmittags um 16 Uhr schon 60 Prozent Wahlbeteiligung, in einigen Regionen bis zu 80 Prozent. Welch ein glaubhaftes Zeichen, wie wichtig man die Demokratie in diesem Land nimmt!
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die Menschen sind im Kern – das müssen wir als Wahlbeobachter der OSZE sagen – am Ende ihre eigenen demokratischen Wahlbeobachter geworden, weil sie genau sehen konnten, dass jeder seinen Ausweis vorzeigen musste, dass man den Empfang der Wahlzettel quittieren musste. Ich denke, das war ein gutes Zeichen. Es war ein eindrucksvolles Beispiel für lebendige Demokratie, und es war – das ist wichtig – ein deutliches Bekenntnis dazu, dass man eine geeinte und keine gespaltene Ukraine haben will.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Auch ich sage es jetzt hier – das muss man wahrscheinlich wiederholen –: Es war auch ein eindeutiges Zeichen gegen rechts, ein eindeutiges Votum gegen rechts. Man will die Zukunft der Ukraine nicht mit Nationalisten, nicht mit Faschisten, nicht mit Antisemiten gestalten. Das Votum war eindeutig dagegen gerichtet.
(Zurufe von der LINKEN)
Damit sagt keiner, dass die rechte Bewegung weg wäre; sie ist weiterhin entschieden mit demokratischen Mitteln zu bekämpfen. Sie dürfen aber auch nicht negieren, dass das Abkommen vom 21. Februar eine inklusive Regierung vorsah, sodass die damals existierenden Kräfte einzubeziehen waren,
(Zuruf des Abg. Andrej Hunko [DIE LINKE])
und dass das Parlament, das vom Volk demokratisch legitimiert worden ist, diese Regierung gewählt hat. Also müssen so schnell wie möglich Neuwahlen in der Ukraine erfolgen, mit einem vergleichbaren Resultat, sodass keine Antisemiten, keine Faschisten und keine Nationalisten im Parlament sitzen. Das ist die richtige Antwort.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Sehr wahr!)
Mit der Wahl ist klar geworden: Die einseitige Propaganda, dass die ganze Maidan-Bewegung faschistisch wäre, wie wir es teilweise aus russischen Medien hören und es manchmal auch hier geäußert wird, ist widerlegt; ihr wurde der Nährboden entzogen. Wer im Zusammenhang mit der Ukraine mit Schwarz-Weiß-Bildern arbeitet, trägt nicht dazu bei, dass eine friedliche Lösung gefunden wird.
Spricht man mit den Menschen, die in der Schlange stehen, darüber, welche Erwartungen sie haben, so wird deutlich: Es geht um Demokratie, es geht um bessere Lebensbedingungen, es geht um einen Blick in Richtung Europa. Es geht auch um die aktive Bekämpfung der Korruption.
Der Präsident trägt nun große Verantwortung. Auch die Kraft der Versöhnung und des Verhandelns ist gefordert. Aber diese Kraft wird von allen Beteiligten erwartet. Es ist ein Lichtblick, dass Russland und die Ukraine zurzeit pragmatisch über Gaspreise verhandeln. Das ist ein wichtiger Schritt.
Dieser Pragmatismus ist auch notwendig, wenn es darum geht, dass wir von Russland erwarten, dass es sich wieder aktiv einschaltet, um die zwei OSZE-Teams aus der Geiselhaft zu befreien.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Dieser Pragmatismus wird erwartet, wenn es darum geht, dass auch von russischer Seite ein Beitrag dazu geleistet wird, dass die Gewalt, dass das Sterben in der Region beendet wird, dass Moskau die Separatisten aufruft, den Kampf, auch die Attacken gegen die ukrainischen Sicherheitskräfte und das Besetzen von Häusern, einzustellen.
All das zeigt: Es besteht die Notwendigkeit, die Kraft aufzubringen, um zu einer Verhandlungslösung beizutragen. Deswegen wird neben dem Truppenabzug, den Russland inzwischen wohl zu drei Vierteln geleistet hat, auch erwartet – diese Erwartung richtet sich auch an die ukrainische Regierung –, dass man gemeinsam pragmatisch etwas für die Grenzsicherung unternimmt, dass nicht permanent Wagenkolonnen von bewaffneten und militarisierten Menschen die Grenze passieren können, dass damit ein Beitrag geleistet wird, dass sozusagen der „Nachschub“ von Gewaltpotenzial endlich aufhört. Eigentlich müsste Moskau ein großes Interesse daran haben.
Wenn es Moskau mit der in den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eingebrachten Resolution ernst ist und wenn durch die Resolution auch noch die territoriale Integrität der Ukraine gewährleistet werden würde, dann wäre das ein gutes Zeichen, das zu mehr Glaubwürdigkeit beitragen würde. Das wäre ein ganz wichtiger und zentraler Schritt.
Vier zentrale Pfeiler sind meines Erachtens für die Stabilität in der Ukraine notwendig. Der erste Pfeiler war die Entscheidung für die jetzt abgehaltene Präsidentschaftswahl. Der zweite Pfeiler wird sein, den Verfassungsprozess zügig voranzutreiben. Der dritte Pfeiler wird sein, in der zweiten Jahreshälfte Neuwahlen auszurufen. Der vierte Pfeiler wird sein, eine neue Regierung zu wählen. Damit wäre für die Ukraine ein entscheidender Schritt auf dem Weg in eine gute Zukunft getan.
Abschließend möchte ich festhalten – das ist für uns ganz zentral; das wird auch in Zukunft so sein –: Die Bundesregierung, die Bundeskanzlerin und der Bundesaußenminister haben unsere Unterstützung bei dieser wichtigen Arbeit, mit Besonnenheit und mit Balance in Brüssel eine gemeinsame Antwort der Europäischen Union zu finden.
Heute ist das Friedensgutachten 2014 vorgelegt worden. Ich glaube nicht, dass es ein guter Ratschlag ist, Verteidigungsetats zu erhöhen. Eigentlich geht es darum, Verzicht auf Konfrontation und Festhalten am Dialog zu üben. Für Europa, die USA und auch für Russland gilt: So wie wir hierbei Verlässlichkeit zu bewahren haben, erwarten wir auch auf der anderen Seite Verlässlichkeit durch klar belegbare Handlungen.
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
Wir erwarten, dass die Schlussakte von Helsinki eingehalten wird. Wir erwarten von Russland, dass es garantiert: keine Androhung und kein Gebrauch von Gewalt, die Unverletzbarkeit der Grenzen, die territoriale Integrität der Staaten und eine friedliche Konfliktlösung. Für unsere gemeinsame Zukunft in Europa erwarten wir hierzu eine klare Antwort aus Moskau.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das Wort hat jetzt Manuel Sarrazin von Bündnis 90/ Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3485127 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 38 |
Tagesordnungspunkt | Regierungserklärung zu EU-Treffen und G7-Gipfel |