05.06.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 39 / Tagesordnungspunkt 5

Günter Krings - Staatsangehörigkeitsrecht

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Warten Sie erst einmal ab! – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Schuster! Ich will zu Beginn meiner Ausführungen nicht versäumen, den Herrn Bundesinnenminister zu entschuldigen. Er hätte die Rede zur Einbringung des Gesetzentwurfs zur Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts gern selber gehalten. Durch die Teilnahme am Justiz-und-Inneres-Rat der Europäischen Union ist er allerdings heute in Luxemburg gebunden. Ich bitte dafür um Verständnis, will aber ergänzen: So gern der Minister die Rede selber gehalten hätte, so gern vertrete ich ihn heute hier.

Meine Damen und Herren, Deutschland war lange Zeit ein Land mit geringer Zuwanderung aus anderen Staaten. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mensch sein gesamtes Leben in der Region, in der Stadt oder gar in dem Dorf verbrachte, in dem er geboren wurde, war für viele Generationen vor uns jedenfalls dann sehr groß, wenn sie nicht etwa Opfer von Krieg und Vertreibung wurden.

Heute leben wir in einer Gesellschaft, die mobiler ist denn je. Die Menschen wechseln ihren Lebensmittelpunkt über regionale und nationale Grenzen hinweg: zur Ausbildung, um eine Familie zu gründen, aus wirtschaftlicher Not oder der Karriere wegen. In Deutschland wohnen über 15 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. Das entspricht fast einem Fünftel der deutschen Wohnbevölkerung.

Damit einher geht die Frage: Was ist Heimat? Und ich meine hier „Heimat“ nicht in einem nostalgischen Bedeutungssinn. Das Wort „Heimat“ war bis zu seiner romantischen Verklärung ein eher nüchterner, im Grunde juristischer Begriff zur Bezeichnung eines Aufenthaltsstatus, des Heimatrechts: Man hatte besondere Rechte – etwa das Recht auf Aufenthalt und Armenpflege – und Pflichten in der Gemeinde, zu der man gehörte. Daraus hat sich dann die Staatsangehörigkeit moderner Prägung historisch entwickelt.

Beide Ansätze des Staatsangehörigkeitsrechts, das ius sanguinis und das ius soli, hatten dasselbe Ziel: festzulegen, wer zu einer Gemeinde, wer zu einem bestimmten Staat gehört, wobei man annahm, dass er oder sie dort verwurzelt sei und in aller Regel einen dauerhaften Bezugs- oder Lebensmittelpunkt haben würde. Da die individuelle Mobilität geringer war als heute, liefen Abstammung und Geburtsort eben häufig auf dasselbe hinaus.

Seither hat die grenzüberschreitende Mobilität die Verhältnisse verkompliziert, nicht nur was die nostalgische Seite des Begriffs „Heimat“ betrifft – wenn sich der Einzelne heute fragen mag, wo er eigentlich zu Hause ist –,sondern auch was seine einstmals juristische Bedeutung betrifft: das Heimatrecht als eine besondere Rechtsstellung zu einem bestimmten Gemeinwesen. Die mitunter heftigen Diskussionen um die doppelte Staatsangehörigkeit spiegeln genau das wider.

Die Lebensgewohnheiten haben sich in den vergangenen Jahrzehnten rasant verändert, in Deutschland wie überall. Dem trägt die Bundesregierung Rechnung, indem sie für die Optionspflicht im Staatsangehörigkeitsrecht eine neue Regelung vorschlägt. Das haben wir so auch in der Koalitionsvereinbarung zwischen CDU, CSU und SPD beschlossen, und diesen Auftrag setzen wir mit dem Gesetzentwurf um.

Der Entwurf findet einen Ausgleich zwischen den Interessen junger Deutscher mit mehrfacher Staatsangehörigkeit auf der einen Seite und auf der anderen Seite dem staatlichen Interesse, die Staatsangehörigkeit als eine besondere Loyalitäts- und Verantwortungsbeziehung zwischen Gemeinwesen und Bürger zu erhalten.

Der Gesetzentwurf geht von der Einführung der sogenannten Ius-soli-Regel im deutschen Staatsangehörigkeitsrecht vor über einem Jahrzehnt aus: Hat ein Elternteil seit mindestens acht Jahren seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, so erwirbt das in unserem Land geborene Kind die deutsche Staatsangehörigkeit eben unabhängig von der Staatsangehörigkeit der Eltern.

Nach bisheriger Rechtslage mussten sich diese Kinder aber spätestens mit Vollendung des 23. Lebensjahres zwischen der deutschen Staatsangehörigkeit und der Staatsangehörigkeit der Eltern entscheiden.

(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat das verzapft?)

Die jungen Erwachsenen, die eine solche Entscheidung bisher treffen mussten, haben sich ganz überwiegend für die deutsche Staatsangehörigkeit entschieden. Ich halte das für einen großen Vertrauensbeweis für unseren Staat und für die Bestätigung einer erfolgreichen Integrationspolitik. Ich meine: Als Politiker, die wir für unser Gemeinwesen Verantwortung tragen, können wir darauf stolz sein.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Dennoch dürfte diese Entscheidung nicht allen Betroffenen leichtgefallen sein. Genau aus diesem Grund sieht unser Gesetzentwurf eine deutliche Einschränkung der sogenannten Optionspflicht vor: Wer in Deutschland geboren ist und hier auch aufwächst, braucht sich nicht mehr zwischen zwei Staatsangehörigkeiten zu entscheiden. Nur für den, der als Kind ausländischer Eltern in Deutschland geboren wird, dann aber nicht hier aufwächst, gilt weiterhin die Optionspflicht. Nach der Neuregelung muss der Optionshinweis bis zum 22. Lebensjahr zugestellt werden. Ab Zustellung hat der Betroffene dann zwei Jahre Zeit, zu optieren. Das heißt, spätestens vor dem 24. Geburtstag muss er dann diese Entscheidung treffen.

Diese Lösung folgt einer plausiblen Abwägung: Diejenigen, die hier zur Welt kommen und hier aufwachsen, bauen hier eine prägende Bindung auf. Sie sind bei uns verwurzelt. Deutschland ist ihre Heimat – im ursprünglichen Bedeutungssinn und hoffentlich auch dem Gefühl nach.

(Zuruf des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir gestehen ihnen aber die Mehrstaatigkeit als Teil ihrer persönlichen Biografie zu. Wir wollen ihnen die Entscheidung zwischen ihren Staatsangehörigkeiten ersparen, und zwar nicht, um ihre Integration zu fördern, sondern weil wir gerade davon ausgehen, dass sie bei uns bereits gut integriert sind.

Bei denjenigen, die durch Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit erworben haben, die dann aber nicht hier aufgewachsen sind, überwiegt allerdings weiterhin das Interesse, Mehrstaatigkeit zu vermeiden. Denn mehrfache Staatsangehörigkeit birgt auch Komplikationen und Konflikte. Diese wiegen im Regelfall schwerer als ein gewisser, aber eben sehr überschaubarer Verwaltungsaufwand, der mit der Feststellung verbunden ist, ob jemand in Deutschland aufgewachsen ist oder nicht.

(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Ich möchte gern mal Argumente dazu hören!)

Diese Komplikationen haben wir sogar jüngst bei Mehrstaatigkeit innerhalb der EU mit Blick auf die Wahlen zum Europäischen Parlament erlebt. Auch wenn die Unionsbürgerschaft innerhalb der EU gleichsam das Dach für die 28 nationalen Staatsangehörigkeiten bildet und die Hinnahme der Mehrstaatigkeit innerhalb der Europäischen Union schon von daher nicht weiter begründungsbedürftig ist, so entstehen selbst in dieser Konstellation wegen der Mehrstaatigkeit offenbar besondere Probleme, die wir in diesem konkreten Fall – vorzugsweise durch ein einheitliches europäisches Wahlrecht – einer Lösung zuführen können.

(Zuruf des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das ist aber nur ein Beispiel dafür, dass Mehrstaatigkeit rechtlich mit einem Verlust an Eindeutigkeit einhergeht. Deswegen ist es richtig, Mehrstaatigkeit im Regelfall zu vermeiden, wo es keine echte inhaltliche Rechtfertigung dafür gibt. Und deswegen dürfen wir gerade von denen, die nicht schon mit ihrer Biografie beweisen, dass sie ein plausibles Interesse daran haben, die deutsche Staatsangehörigkeit auf Dauer zu erhalten, erwarten, dass sie dieses Interesse dokumentieren, indem sie die Staatsangehörigkeit ihrer Eltern dann aufgeben.

Mit meinem Verständnis von Staatsangehörigkeit wäre es nicht vereinbar, wenn wir auf die Optionspflicht auch bei den Ius-soli-Deutschen verzichten würden, die seit ihrer Geburt kaum etwas mit Deutschland zu tun hatten, hier vielleicht nur wenige Jahre oder Monate gelebt haben. Wer bis zu seinem 21. Geburtstag keine signifikante Beziehung zu Deutschland aufgebaut hat, kann nicht verlangen, lebenslang zwei Staatsangehörigkeiten zu behalten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Volker Beck?

Ich freue mich immer über die Verlängerung meiner Redezeit und ganz besonders, wenn das durch Herrn Volker Beck geschieht.

Verehrter Herr Staatssekretär, Sie haben gerade davon gesprochen, dass man sich zwischen den beiden Staatsangehörigkeiten entscheiden soll, wenn keine intensivere Beziehung zu Deutschland besteht. Haben Sie dabei bedacht, dass die deutsche Staatsangehörigkeit auch zur EU-Freizügigkeit berechtigt und dass es sein kann, dass jemand seine EU-Bürgerschaft und damit auch sein Aufenthaltsrecht innerhalb der EU aus dem deutschen Pass ableitet? Ihre Regelung hätte zur Folge, dass jemand, der sich mit seinen Eltern in Griechenland, in Frankreich, in Portugal aufgehalten hat und deshalb nicht die Zeiten erreicht, die in Ihrem Gesetz stehen, den deutschen Pass verlieren würde. In einigen Mitgliedstaaten würde sich dann unter Umständen die Frage stellen, ob er als Drittstaatler überhaupt innerhalb der Europäischen Union noch aufenthaltsberechtigt ist. Halten Sie diese Konsequenz nicht auch wie ich für unverhältnismäßig?

Selbstverständlich haben wir diese europarechtlichen Implikationen geprüft. Aus gutem Grund ist das Staatsbürgerschaftsrecht primär nationales Recht. Dabei soll es bleiben. Ich glaube nicht, dass es gut wäre, dies zu einem rein europäischen Recht zu machen. Das ist der erste Teil meiner Antwort auf Ihre Frage.

(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben die Frage nicht verstanden!)

Zweitens. Natürlich hat es derjenige in der Hand, diese Konsequenz auszuschließen, indem er sich für die deutsche Staatsbürgerschaft entscheidet. Er muss diese Konsequenz also gar nicht tragen. Nur wenige Hundert haben sich anders entschieden. Das habe ich eben ausgeführt.

Drittens. Ich komme gleich noch dazu, was das Kriterium „aufgewachsen“ heißt und welche Bedingungen es dafür gibt, zwei Staatsbürgerschaften zu erhalten. Wir haben beispielsweise auch eine Härtefallklausel vorgesehen.

Es gibt also drei Antworten auf Ihre Frage. Jede für sich wäre eine überzeugende Antwort. Wir haben das Problem somit dreifach gelöst, lieber Herr Kollege.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Man kann – hier sind wir beim Thema der konkreten Ausgestaltung – darüber streiten, was die Formulierung in unserem Koalitionsvertrag „in Deutschland … aufgewachsen“ konkret heißt. Darüber haben wir in den letzten Monaten diskutiert. Der Gesetzentwurf zieht aus meiner Sicht eine sehr überzeugende Linie. In Deutschland aufgewachsen ist danach jeder, der hier eine Schul- oder Berufsausbildung abgeschlossen hat. Wer hier keinen Abschluss gemacht hat, der muss bis zu seinem 21. Geburtstag über acht Jahre hier gelebt haben oder sechs Jahre eine deutsche Schule besucht haben. Das sind einfache Regeln. Gerade der Nachweis des Schulabschlusses wird in den meisten Fällen die einfachste Möglichkeit sein. Selbst derjenige, der sein Zeugnis verloren hat, wird noch wissen, wo seine Schule war, und sich ein neues besorgen können. Wer hierin Bürokratie sieht, hat die Regelung nicht richtig verstanden. Damit sind in Zukunft voraussichtlich über 90 Prozent der Ius- soli-Deutschen von der Optionspflicht befreit.

Die neue Regelung lässt sich in der Praxis einfach umsetzen. Diese Voraussetzungen sind in aller Regel einfach nachweisbar. Oft genügen der Blick ins Melderegister oder die Vorlage eines Schul- oder Berufsschulabschlusszeugnisses. Ein einfacher Weg, sich in diesen Fällen die doppelte Staatsangehörigkeit dauerhaft zu erhalten.

Meine Damen und Herren, die Staatsangehörigkeit ist – da sind wir uns hoffentlich in weiten Teilen des Hauses einig – mehr als ein nützliches Papier in Form eines Passes, das mir die Einreise erleichtert oder ein Aufenthaltsrecht garantiert. Sie ist ein besonderes Verhältnis zwischen Staat und Bürger, geprägt durch Verantwortung und Loyalität. Dem muss jede Neuregelung der Optionspflicht Rechnung tragen. Wer meint, man könne Mehrstaatigkeit generell und voraussetzungslos hinnehmen, ignoriert das Wesen und die Bedeutung der Staatsangehörigkeit. Und wer darauf setzt, dass notfalls solche Veränderungen in dem eben dargestellten Sinn auch mit knappen politischen Mehrheiten durchzusetzen wären, versündigt sich an einem Kerngedanken der Demokratie.

Das Staatsangehörigkeitsrecht ist aufgrund seiner besonderen Bedeutung für unser Gemeinwesen auf einen breiten Konsens angewiesen. Über die Staatsangehörigkeit definiert unsere Verfassung, wer zum Staatsvolk gehört, wer der Souverän ist. Neben anderen Rechtswirkungen vermittelt die Staatsangehörigkeit das Recht, über unser Gemeinwesen mitzubestimmen. Aus diesem Grunde ist es nicht klug, zu versuchen, parteipolitische Maximalpositionen durchzusetzen. Keine Parlamentsmehrheit sollte je in den Verdacht geraten, das Volk, das sie demokratisch trägt, auf streitigem Wege neu zusammenzustellen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollten mal den Textbaustein ändern, er ist aus einer anderen Zeit!)

Mit der Neuregelung der Optionspflicht haben wir eine gute Chance zu einem breiten Konsens. Wenn wir diesen Konsens auch gemeinsam aktiv vertreten, ist er eine klare Botschaft an die jungen Menschen, deren Eltern oder Großeltern einst nach Deutschland kamen, dass sie voll und ganz zu Deutschland gehören.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Nächste Rednerin ist Sevim Dagdelen von der Linken.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3488560
Wahlperiode 18
Sitzung 39
Tagesordnungspunkt Staatsangehörigkeitsrecht
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