Aydan ÖzoğuzSPD - Staatsangehörigkeitsrecht
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Bundespräsident Joachim Gauck hat am 22. Mai 2014 eine bemerkenswerte Rede bei einer Einbürgerungsfeier im Schloss Bellevue gehalten. Ich habe mich sehr über seine Worte gefreut; denn sie haben auf den Punkt gebracht, dass wir unverkrampft mit der Vielfalt in unserem Land umgehen sollten, auch im Staatsangehörigkeitsrecht.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich zitiere ihn:
Es war überdeutlich für alle, die dort gewesen sind: Bundespräsident Gauck hat dabei allen Anwesenden aus der Seele gesprochen. Ein schönes und richtiges Signal aus dem Schloss Bellevue, wie ich finde.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Liebe CDU, das ist auch euer Präsident!)
In Deutschland sprechen wir in diesen Tagen sehr viel über Einwanderung. Wir werden sogar gelobt, zum Beispiel von der OECD, dass Deutschland nun ein sehr beliebtes Einwanderungsland geworden sei, auch für Menschen, die es sich aussuchen können, wohin sie gehen wollen. Das war lange Zeit nicht so, wie wir wissen.
Leider unterscheiden wir aber gerade in solchen Zeiten viel zu wenig, wer bei uns eigentlich alles zu dieser Kategorie Migrant zählt und was uns dabei von der Zählweise anderer Länder unterscheidet. Denn auch wenn wir in diesen Tagen sagen, dass unsere Quote zeigt, wir seien das beliebteste Land gleich nach den USA, muss doch hinzugefügt werden, dass in dieser Quote auch viele Kriegsflüchtlinge enthalten sind, die es sich nicht aussuchen können, wohin sie denn nun fliehen. Und: Die USA zählen keine jungen Menschen, die dort geboren werden, zu Migranten. Die Second Generation, wie sie dort genannt wird, gilt als einheimisch-amerikanisch – ohne Wenn und Aber. Bei uns sind solche Menschen zum Teil Deutsche, aber mit Migrationshintergrund. Dass sie überhaupt zum Teil Deutsche sein können, verdanken wir der Einführung des Geburtsortprinzips, also des Ius soli, das im Jahr 1999 durch die rot-grüne Bundesregierung eingeführt wurde.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Damals war die große Neuerung: Wer unter bestimmten Voraussetzungen – es wurde ja gesagt, welche Voraussetzungen das sind – als Kind ausländischer Eltern in Deutschland geboren wurde, sollte neben seiner Ursprungsidentität eben auch deutscher Staatsbürger sein können. Das war bis dahin nicht der Fall. Ich finde, man muss schon noch daran erinnern: Es galt das Staatsangehörigkeitsrecht von 1913. Nach diesem Gesetz aus der Kaiserzeit konnte nur derjenige Deutscher sein, der Kind eines Deutschen war, nicht einmal einer Deutschen. Auch das möchte ich betonen: Deutsche Frauen zählten an dieser Stelle nicht. Eine deutsche Frau konnte ein Kind in Deutschland bekommen, das als Ausländer galt, nämlich wenn der Vater nicht deutsch war. 1974 hat man immerhin erkannt, dass auch deutsche Frauen das Recht haben sollten, die Staatsangehörigkeit zu vererben.
Ich möchte noch einmal daran erinnern, dass Bundestagsabgeordnete von heute wie Cemile Giousouf, Sevim Dagdelen – die gerade gesprochen hat –, Cem Özdemir oder Mahmut Özdemir allesamt in Deutschland geboren wurden, als – vielleicht war das bei Mahmut Özdemir schon anders; er ist ja der Jüngste von allen – kaum jemand daran dachte, dass die Gesellschaft der Nachkriegszeit sich erheblich verändern würde.
Heute machen wir nun nach 1999 den nächsten großen Schritt.
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na! Das ist allenfalls ein Katzensprung!)
Wer in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, soll nicht bis zur Volljährigkeit Deutscher unter Vorbehalt sein und dann womöglich zum Ausländer in Deutschland erklärt werden – wie es ja bereits einigen ergangen ist. Es wird zukünftig nicht vom Herkunftsland abhängen, ob bei in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Kindern die Mehrstaatigkeit hingenommen wird.
(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!)
Das, meine Damen und Herren, ist ein riesengroßer Schritt, den wir machen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Hunderttausende Jugendliche werden damit endlich von der belastenden Entscheidung befreit, sich mit dem Erreichen des Erwachsenenalters entweder gegen ihre familiäre Herkunft oder gegen Deutschland entscheiden zu müssen. Es ist einfach lebensfremd, dass wir junge Menschen in unserem Land vor diese Wahl stellen.
(Zuruf der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE])
Das haben wir auch immer wieder betont. Ich weiß aus unzähligen Gesprächen der letzten Jahre – erst vor kurzem habe ich optionspflichtige Jugendliche ins Bundeskanzleramt eingeladen, um direkt von ihnen noch einmal Meinungen und Gefühle zu hören; der Tenor war eindeutig –: Die Jugendlichen verstehen nicht, warum wir ihnen diese Entscheidung abnötigen; sie empfinden es anders; ihre Realität und Lebenswirklichkeit ist, in mehreren Kulturen zu Hause zu sein. Das bekommen sie übrigens von der Gesellschaft auch immer wieder zu spüren: dass sie Deutsche sind, aber eben auch etwas anderes.
Frau Dagdelen, diese jungen Menschen haben das, was wir machen, als einen riesigen Schritt empfunden; die haben nicht das gesagt, was Sie hier gerade kundtaten; die freuen sich, dass wir endlich noch einen Schritt weitergehen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer weiß, was Sie denen erzählt haben!)
Die Zahlen brauche ich jetzt nicht weiter zu untermauern – es wurde schon gesagt –: 15,3 Millionen Menschen – also jeder Fünfte in unserem Land – hat familiär eine Zuwanderungsgeschichte. Wichtig ist, dass mehr als die Hälfte, 55 Prozent der Menschen mit Migrationshintergrund, die in Deutschland einst geboren wurden, minderjährig sind und ein Teil dieser jungen Menschen – das wurde schon richtig gesagt – ohnehin beide Pässe behalten darf. Für die anderen ist unser Gesetzentwurf wichtig; denn wir zeigen, um es noch einmal mit den Worten von Bundespräsident Gauck zu sagen, dass wir lernen, „vielschichtige Identitäten“ zu akzeptieren – genau das ist es, was wir heute tun – und „niemanden zu einem lebensfremden Purismus“ zu zwingen.
(Beifall bei der SPD)
In den Koalitionsverhandlungen haben wir uns – das möchte ich natürlich nicht unerwähnt lassen – nach harten und langen Verhandlungen – alle wissen: das war wohl morgens um fünf oder halb sechs – auf die Formulierung geeinigt: Für in Deutschland geborene und aufgewachsene Kinder ausländischer Eltern entfällt in Zukunft der Optionszwang.
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fordern Sie jetzt mildernde Umstände für Übernächtigte? – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist keine Entschuldigung!)
– Das habe ich auch nicht gesagt.
Die Union hatte bekanntlich auf dem Kriterium des Aufwachsens in Deutschland bestanden. Da mussten wir uns erst einmal einige Zeit überlegen, wie das nun messbar sein soll, zumal – das möchte ich dann schon erwähnen – keine Zahlen vorlagen, die belegt hätten, dass reihenweise Kinder nicht in Deutschland aufwachsen würden. Auch das Bundesinnenministerium konnte solche Zahlen nicht vorlegen.
Von diesem Pult aus wurde immer wieder erklärt, das sei eine große Gefahr für unser Land. Ich bitte, wenn man solche Aussagen macht, sie auch zu belegen. Doch genau das war nicht möglich.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Mit dem Gesetzentwurf setzen wir nun das um, worauf wir uns im Koalitionsvertrag geeinigt haben. Ich bin überzeugt, dass das Kriterium des Aufwachsens eine gute Lösung ist, auch wenn wir uns diesbezüglich vielleicht nicht einig sind. Bis zum 21. Lebensjahr muss der Jugendliche acht Jahre in Deutschland gelebt haben oder sechs Jahre die Schule besucht haben oder einen deutschen Schul- oder Berufsbildungsabschluss besitzen.
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das zeigt, dass diese Koalition in Europa nicht angekommen ist!)
Das wird auf über 95 Prozent zutreffen. Hier wurde von 90 Prozent gesprochen. Ich denke, es werden weit über 95 Prozent sein. Es wäre interessant, zu wissen, wie viele nicht betroffen sein werden. Ich finde, dass Hunderttausende Jugendliche ab dem Jahr 2018 nicht in die Ämter laufen müssen, wie es ursprünglich gedacht war, sondern nur im Bedarfsfall nachgefragt wird, ist ein ganz großer Schritt, den wir mit diesem Gesetzentwurf tun. Damit sind die Kinder faktisch mit acht Jahren von der Optionspflicht befreit, und mit acht Jahren diskutiert man in der Regel noch nicht darüber.
(Beifall bei der SPD)
Ich möchte unterstreichen, dass es mir wichtig ist, dass der Gesetzentwurf eine Härtefallklausel enthält. Die Juristen wissen es wahrscheinlich am besten: Wir können gar nicht so kreativ denken, wie manche Lebenswege verlaufen. Ich kann mir viele Beispiele vorstellen – hier wurden einige bereits genannt –, die deutlich machen, dass es wichtig ist, auf einzelne Fälle eingehen zu können
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und woher erfährt der kundige Bürger, dass er Einzelfall ist?)
– Sie kommen doch gleich dran, Herr Beck –, wo der Bezug zu Deutschland vielleicht sehr deutlich nachgewiesen werden kann, aber das Gesetz trotzdem nicht greift.
Mein Kollege Rüdiger Veit hat in der vergangenen Debatte darauf hingewiesen, dass im hessischen Koalitionsvertrag von Schwarz-Grün Folgendes zu lesen ist – Zitat –:
Es freut mich ausdrücklich, Herr Beck, dass Sie das tun wollen.
(Beifall bei der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aufhebung! – Zuruf des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])
Vielleicht haben Sie ja noch eine Idee dazu.
Ich möchte noch auf das eingehen, was Frau Dagdelen hier erwähnt hat. Es zeugt nicht von riesengroßer Kreativität, wenn man Anträge von einer Initiative dreier rot-grüner Bundesländer wortgleich abschreibt und hier einbringt. Ich glaube, das könnte man auch anders machen. Wir sind uns unter den Kollegen einig, dass auch Sie das machen dürfen.
(Beifall bei der SPD)
Wir sehen: Wir sollten den Gesetzentwurf rasch beraten. Wir dürfen keine Zeit verlieren; denn jeden Tag müssen Jugendliche nach dem alten Gesetz optieren. Jeden Tag droht einem jungen Menschen, der 23 wird, möglicherweise die Ausbürgerung, obwohl er oder sie hier geboren und aufgewachsen ist. Das sollten wir den jungen Menschen ersparen. Die Bundesländer warten darauf, dass wir hier endlich weiterkommen, weil sie den jungen Menschen genau das ersparen wollen.
Wir wissen, dass diese Abschaffung für einige zu spät kommt.
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür haben Sie keine Regelung!)
Es ist ganz wichtig, dass wir darüber sprechen. Es gibt ungefähr anderthalb Jahrgänge, die optieren mussten, also einen Pass abgeben mussten. Einige sind nun tatsächlich zu Ausländern in dem Land, in dem sie groß geworden sind, geworden. Diese jungen Menschen auszuschließen, nur weil sie zufällig ein oder zwei Jahre zu früh geboren wurden, halte ich für einen schwer vermittelbaren und unwürdigen Zustand. Da erhoffe ich mir eine Lösung im parlamentarischen Verfahren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich möchte zum Abschluss noch ein Zitat des Bundespräsidenten anfügen:
Ich hoffe, mit dieser Denke gehen wir in die parlamentarischen Verhandlungen.
Danke schön.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Nächster Redner für Bündnis 90/Die Grünen ist der Kollege Volker Beck.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3488598 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 39 |
Tagesordnungspunkt | Staatsangehörigkeitsrecht |