Helmut BrandtCDU/CSU - Staatsangehörigkeitsrecht
Sehr geehrter Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist noch gar nicht so lange her, da dominierte die Überzeugung, dass Einwanderer, die die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben, vor allem Kinder und Nachfahren, den deutschen Pass nur unter Aufgabe ihrer ursprünglichen Staatsangehörigkeit erwerben bzw. behalten können. Ausdruck dieser Überzeugung waren unter anderem internationale Verträge zur Vermeidung doppelter Staatsangehörigkeit. Dafür gab und gibt es gute Gründe. Aber wir leben in einer globalisierten, mobilen Welt, und der Doppelpass wird weltweit zunehmend zur Realität. Deutschland hat sich sukzessive zu einem Einwanderungsland entwickelt mit einem heute bestehenden hohen Bedarf an Fachkräften.
(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)
Doch worin besteht denn nun eigentlich der Wert eines Passes – für uns Politiker, aber insbesondere für die Bürgerinnen und Bürger? Staatsangehörigkeit bedeutet unter anderem Sicherheit und Schutz vor einer Reihe staatlicher Maßnahmen. Sie bedeutet uneingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt, Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen, Recht auf Bildung und Teilhabe, Gesundheitsversorgung und nicht zuletzt – auch ein wichtiger Aspekt – das Recht auf Familienzusammenführung. Die deutsche Staatsangehörigkeit erleichtert jedem das Reisen; das ist sicherlich ein zunehmend wichtiges Gut. Das alles sind sehr praktische Gründe. Die Frage, die sich mir allerdings aufdrängt, ist, ob eine Staatsangehörigkeit tatsächlich auch einen integrationspolitischen Wert hat, ob sie das Gefühl der Zugehörigkeit stärkt und damit unser Zusammenleben fördert.
Abgeordnete von der Linken und vom Bündnis 90/ Die Grünen behaupten immer wieder, die Optionspflicht sei integrationsfeindlich. Woher das genommen wird, erschließt sich mir, offen gesagt, nicht. Der Wert eines Gutes steigt bekanntlich nicht, wenn es leichter zu erwerben ist.
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Leute haben das erworben! Es geht doch nicht um den Erwerb!)
Eine Staatsangehörigkeit, die man bekommt – Herr Beck, Sie haben ja eben lange genug geredet –, ohne die Staatsangehörigkeit des Herkunftslandes aufgeben zu müssen, wird womöglich gerade nicht wertvoller, sondern „billiger“.
Herr Beck, Sie zitieren ja so gerne die juristische Fachliteratur und den Deutschen Anwaltverein. Mein Repetitor hat immer gesagt: Was nichts kostet, ist auch nichts wert.
(Heiterkeit der Abg. Dr. Eva Högl [SPD])
Das lag daran, dass man den Repetitor bezahlen muss und damit offensichtlich der Wert der Anhörung steigt.
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gut, gegen Gebühr erkläre ich Ihnen das dann noch mal!)
Steigert nicht gerade die Auseinandersetzung mit der Frage, welche Staatsangehörigkeit man denn nun gerne behalten möchte, den Wert einer solchen, und fördert man nicht gerade dadurch die Integration, wenn am Ende einer solchen Auseinandersetzung das klare Bekenntnis zur deutschen Staatsangehörigkeit steht? Welchen höheren Wert muss zum Beispiel ein junger Mensch seinem deutschen Pass beimessen, der sechs Jahre in Deutschland zur Schule ging, dann aber – aus welchenGründen auch immer – in das Heimatland seiner Eltern zurückkehrt und dort lebt? Sicher, er möchte und wird den Pass aus praktischen Gründen gerne behalten, zum Reisen und als Sicherheitsgarantie. Aber das ist doch nicht der Sinn einer Staatsangehörigkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Eva Högl [SPD])
Gestatten Sie mir deshalb an dieser Stelle eine weitere Frage: Sollte es nicht unser Ziel sein, dass Menschen, die in Deutschland leben und hier bleiben möchten, den deutschen Pass haben möchten, weil sie sich uns zugehörig fühlen und von unserem Land überzeugt sind? Das ist der Maßstab, den jedenfalls ich an die Staatsangehörigkeit anlege.
Hinter unserer bisherigen Skepsis gegenüber der doppelten Staatsangehörigkeit stand – das gebe ich offen zu – selbstverständlich auch die Frage, ob wir im Gegenzug zur Staatsangehörigkeit auf die Loyalität der Doppelstaatler zählen können. Schließlich reden wir hier über die deutsche Staatsangehörigkeit und nicht über eine Parkerlaubnis, wie der Kollege Strobl in der letzten Debatte über dieses Thema so markant sagte. Staatsangehörigkeit umfasst ein Bündel an Pflichten und Rechten, darunter das Wahlrecht und den Zugang zu öffentlichen Ämtern bis hin zum Beamtentum. Das ist übrigens ein Punkt, den ich für äußerst wichtig halte. Unser Bestreben muss sein, mehr Menschen mit Migrationshintergrund in das Beamtentum zu bekommen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Selbstverständlich müssen wir uns vor diesem Hintergrund fragen, wer in den Genuss dieser Rechte kommen soll und muss, und wir sollten so weit wie möglich sicherstellen, dass diese Rechte nicht missbraucht werden.
Sie haben es selbst erwähnt, Frau Dagdelen: Weil Menschen mit türkischem Hintergrund den proportional größten Anteil ausmachen, möchte ich – das habe ich vorhin etwas vermisst – auf Ihren bzw. auf den – Gott sei Dank nicht Ihren – Ministerpräsidenten Erdogan zu sprechen kommen.
(Sevim Dagdelen [DIE LINKE]: Das verbitte ich mir! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist doch nicht ihr Ministerpräsident!)
– Ich wollte von Ihnen ja nur die Bestätigung, dass es nicht Ihr Ministerpräsident ist.
(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das zeigt, wie Sie denken! Was hat das mit ihr zu tun?)
– Genau. Das frage ich sie auch. – Aber lassen Sie mich einfach einmal ausreden; Sie haben ja schon genug dazwischengerufen.
Erdogan hat bekanntlich eine Behörde ins Leben gerufen, die sich speziell an die im Ausland lebenden Türken wendet, und verfolgt damit offenkundig das Ziel, sie für seine speziellen Interessen zu gewinnen. Dass jedenfalls die aktuelle Regierung der Türkei im Vergleich zu uns eine andere Vorstellung von Demokratie hat, hat Präsident Erdogan in der jüngsten Vergangenheit mehr als einmal gezeigt. Sein jüngster Besuch in Köln zeigte einmal mehr, dass er völlig unbeeindruckt von zahlreichen hier lebenden türkischen Gegendemonstranten versucht, im Zuge des Wahlkampfes hier lebende Landsleute für seine Ziele zu gewinnen.
(Sevim Dagdelen [DIE LINKE]: Gerade deshalb sollten Sie sie nicht in die Arme von Erdogan treiben! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ohne Erfolg, wie Sie gesehen haben! 70 000 waren auf der Straße!)
– Sie müssen all das, was Sie dazwischenrufen, einmal zu Ende denken. Dann kommen Sie zu dem gleichen Ergebnis wie ich.
Dass ausländische Staatspräsidenten, noch dazu auf deutschem Boden, versuchen, Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft für ihre Ziele zu vereinnahmen, die nicht zwangsläufig mit unseren Wertvorstellungen übereinstimmen,
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im Gegensatz zu Ihnen habe ich gegen Erdogan demonstriert!)
empfinde ich als grotesk, Herr Beck, und Sie sollten das auch tun.
(Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie doch einmal etwas zu Obama! Was halten Sie von Obamas Rede? Der hat auch hier geredet!)
Das kann doch nicht in unserem Interesse sein. Man stelle sich nur vor, unsere Bundeskanzlerin würde demnächst als Parteivorsitzende Wahlkampf auf Mallorca machen. Ich würde gerne einmal sehen, was die Spanier zu einem solchen Auftritt sagten.
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die FDP hat das schon gemacht! Herr Möllemann!)
– Es gibt Leute, die vor nichts zurückschrecken, Herr Beck. Dazu gehören Sie auch.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unterirdisch! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ihre Rede ist auch ein großer Schrecken!)
– Sie können den Saal ja verlassen. In unserem Land gibt es die Freiheit, dass man sich alles anhören kann, aber nicht anhören muss.
Ich will ein weiteres Beispiel dafür anführen – das ist schon angeklungen –, welche Probleme die Doppelstaatigkeit mit sich bringt. Der Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo hat im Fernsehen offen bekundet, dass er bei der Europawahl sowohl in Deutschland als auch in seinem Konsulat gewählt hat.
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hätte er auch mit einem italienischen Pass gedurft! Sie sollten sich einmal im Europawahlrecht kundig machen!)
– Herr Beck, wir werden das prüfen lassen. – Ich glaube, 8 Millionen Menschen könnten von einer solchen Möglichkeit Gebrauch machen. Deshalb muss man sich doch die Frage stellen: Haben sie ein doppeltes Wahlrecht?
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das haben sie nicht!)
Ist die Europawahl damit noch gültig?
Wie ich eingangs bereits sagte, leben wir in einer globalisierten Welt, und der Doppelpass wird zunehmend selbstverständlich. Die Bundesregierung hat nun einen Gesetzentwurf vorgelegt, der junge Menschen nicht mehr in die für sie – jedenfalls teilweise – offensichtlich unangenehme Situation bringt, sich zwischen zwei Staatsbürgerschaften entscheiden zu müssen, wenn sie hier geboren und aufgewachsen sind. Die Entscheidung zwischen der deutschen Staatsangehörigkeit und der des Herkunftslandes der Eltern, ist – zumindest zum Teil – ein Problem für diese jungen Migranten, die hier geboren sind und hier leben wollen. Diese Gruppe wollen wir durch diese Neuregelung entlasten.
Bei aller Erleichterung aufseiten der vehementen Befürworter der doppelten Staatsangehörigkeit sollten wir eines aber nicht vergessen: Das Problem, um das es hier eigentlich geht, nämlich die Integration dieser jungen Menschen, ist kein politisches, sondern ein gesellschaftliches Problem. Integration ist nicht durch einen Verwaltungsakt zu erreichen und kann auch nicht verordnet werden. Integration findet in den Schulen, im Arbeitsleben, in der kulturellen und gesellschaftlichen Praxis und nicht zuletzt natürlich in der eigenen Familie statt.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind Sie denn jetzt für das Gesetz oder dagegen? Ich verstehe gar nichts!)
– Frau Künast, wenn Sie es nicht verstehen, sage ich es für Sie gleich vielleicht noch einmal deutlicher.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, gerne! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir verstehen Sie auch nicht!)
– Sie können noch so viel brüllen: Es nutzt nichts. Sie müssen sich meine Argumente trotzdem anhören.
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche Argumente?)
Seit 2005 haben wir als CDU/CSU gemeinsam mit unseren jeweiligen Koalitionspartnern sehr viel für Zuwanderer getan. Mit Blick auf die demografische Entwicklung haben wir in den letzten Jahren begonnen, Zuwanderung aktiv zu steuern und klare gesetzliche Vorgaben zu schaffen, um Zuwanderern den Start in Deutschland zu ermöglichen und ihren Integrationsprozess zu fördern. Seitdem sind über 1 Milliarde Euro in Integrationsmaßnahmen und Sprachkurse geflossen, und zwar mit steigender Tendenz. Diesen Weg wollen und müssen wir fortsetzen.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Studentin an der Humboldt-Uni braucht gar keinen Sprachkurs! Die kann doch besser Deutsch als wir!)
– Das trifft auf eine Gruppe von Menschen zu, natürlich. Aber Herr Beck spricht ja immer von den Minderheiten. Es gibt eben auch Zuwanderer, die Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache haben.
Eines steht fest: Das Wohlergehen und der Zusammenhalt einer Gesellschaft werden gestärkt, wenn alle Beteiligten, seien sie Einheimische oder Zuwanderer, ein Gefühl der Zugehörigkeit empfinden. Staatsangehörigkeit auf eine Weise zu verleihen, die uns bei diesem Ziel voranbringt, ist die eigentliche Herausforderung, der wir uns stellen müssen, wenn wir auch in Zukunft eine stabile soziale und ökonomisch erfolgreiche Gesellschaft sein wollen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wenn wir nun die hier lebenden jungen Migranten, die hier geboren sind und hier leben wollen, entlasten können, indem wir die Optionspflicht durch eine praktikable Neuregelung ihrer Lebenswirklichkeit anpassen, dann sollten wir dies tun.
Trotzdem wollen und müssen wir sicherstellen, dass die betroffenen Personen einen konkreten Bezug zu Deutschland haben. Ich kann darin beim besten Willen, Herr Beck, keine Zumutung für die Betroffenen erkennen. Ich fände es im Gegenteil völlig realitätsfern, unangemessen und gefährlich, wenn wir dies an keine Voraussetzungen binden würden. Wir wollen und brauchen hier Menschen, die gut integriert sind, die die deutsche Sprache sprechen, die unsere Werte nicht nur kennen, sondern sie auch teilen. Das ist die Zukunft für uns und unser Land.
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und da ist die österreichische Matura schädlich?)
Es ist ein guter Kompromiss, den die Koalition hier gefunden hat. Ich bitte um Ihre Zustimmung.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Christina Kampmann [SPD])
Ich erteile jetzt das Wort für eine Kurzintervention dem Kollegen Volker Beck.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3488648 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 39 |
Tagesordnungspunkt | Staatsangehörigkeitsrecht |