Herr Präsident Hintze! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir in diesen Tagen mit Bürgermeistern und Landräten in unseren Wahlkreisen sprechen, dann werden wir sehr häufig auf die steigenden Zahlen von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern angesprochen. Die Kommunen müssen Unterkünfte bereitstellen. Die Bürgerinnen und Bürger fragen uns besorgt: Geht dieser Anstieg immer weiter?
2009 waren es 28 000 Asylbewerber in der Bundesrepublik Deutschland. Im letzten Jahr waren es knapp 100 000 mehr: 127 000. Innerhalb von fünf Jahren gab es also fast eine Verfünffachung der Asylbewerberzahlen in der Bundesrepublik Deutschland. Dabei ist der Anstieg von Asylbewerbern aus den Balkanstaaten besonders groß: Fast jeder fünfte Bewerber kommt aus Serbien, Mazedonien oder Bosnien-Herzegowina.
Diese Entwicklung ist kein Anlass für Alarmismus. Ich finde, dass die Koalition heute einen maßvollen Vorschlag macht. Eines, liebe Kolleginnen und Kollegen, wollen wir auch: Wir wollen vor allem sicherstellen, dass wir unsere Anstrengungen für syrische Flüchtlinge aufrechterhalten und ausbauen können; denn wenn Flüchtlinge aus Syrien zu uns kommen und ein Asylverfahren durchlaufen, dann liegt die Schutzquote bei 100 Prozent. Bei Flüchtlingen aus den Westbalkanstaaten liegt sie bei nahe 0 Prozent. Deswegen: Wer aus Syrien kommt – Herr Kollege Veit, das möchte ich auch dem Koalitionspartner, der SPD, zusagen –, dem wollen wir effektiv helfen. Hier wollen wir den Schutz im Zweifel sogar ausbauen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Dafür, meine Damen und Herren, ist es aber erforderlich, dass wir unsere Kräfte bündeln und die Ressourcen, die nicht unbegrenzt sind, entsprechend gezielt einsetzen. Deswegen verfolgt der Gesetzentwurf der Bundesregierung zwei zentrale Ziele:
Erstens. Wir wollen, dass Asylbewerber und geduldete Ausländer schneller arbeiten können, nämlich schon nach drei Monaten. Damit soll die Abhängigkeit von Sozialleistungen reduziert werden. Sie sollen mit ihrer eigenen Hände Arbeit ihren Lebensunterhalt oder jedenfalls einen Teil davon selbst bestreiten können, und sie sollen auch nicht verdammt sein, tatenlos in den Tag hineinleben zu müssen. Das ist ein konkreter Fortschritt, der auch geduldeten Ausländerinnen und Ausländern zugutekommt. Frau Kollegin Amtsberg, das sollten eigentlich auch die Grünen anerkennen.
(Beifall bei der CDU/CSU – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich ja auch gesagt!)
Wir wollen zweitens zügige Verfahren bei Bewerbern aus sicheren Herkunftsstaaten, damit solche aussichtslosen Asylanträge schneller bearbeitet werden und die Menschen schneller in ihre Heimatländer zurückkehren können. Das ist ein Kernanliegen, das wir mit diesem Gesetzentwurf verfolgen; denn wir brauchen zügig – zügig! – eine Verbesserung unseres Asylsystems. Wir erwarten, dass wir damit auch dem eigentlichen Ziel unseres Asylsystems, den tatsächlich politisch Verfolgten Schutz und einen sicheren Rechtsstatus gewähren zu können, einen Schritt näher kommen.
(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Sie ignorieren auch die UN-Richtlinie für Asyl! Das ist ja unglaublich!)
Das bedeutet konkret: Die steigende Zahl von Bewerbern stellt unsere Kommunen vor große Herausforderungen. Ich will Ihnen zwei Beispiele nennen: Stuttgart investiert augenblicklich 21 Millionen Euro in sogenannte Systembauten, in denen 1 000 Asylbewerber unterkommen sollen. Aber das ist nicht nur ein Problem für die großen Städte, sondern auch eines für den ländlichen Raum. Im Ostalbkreis in Baden-Württemberg rechnet man mit 1 000 Asylbewerbern am Ende dieses Jahres. Der Landrat und die Kommunalpolitiker arbeiten intensiv daran, Unterkünfte zu erstellen. Deshalb brauchen wir eine Entlastung der Kommunen. Unser Gesetzentwurf leistet dazu einen wichtigen Beitrag.
Den Kommunen ist am meisten damit geholfen, wenn die Bewerberzahlen aus Staaten zurückgehen, in denen offensichtlich keine politische Verfolgung stattfindet.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD])
Das ist offensichtlich bei Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina der Fall. Ich möchte nicht auf jedes Land im Einzelnen eingehen, aber lassen Sie mich zu Serbien Folgendes anmerken:
Vor einem Jahr hat der Europäische Rat die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Serbien beschlossen. Diese Verhandlungen mit Serbien haben im Januar dieses Jahres begonnen. Die EU verhandelt mit Serbien auch deshalb, weil man davon ausgeht, dass Serbien inzwischen ein bestimmtes Maß an Rechtsstaatlichkeit erreicht hat und dort eben keine politische Verfolgung stattfindet.
(Beifall des Abg. Gunther Krichbaum [CDU/CSU])
Serbien ist auf dem Weg in die europäische Wertegemeinschaft. Deswegen finde ich es sehr bemerkenswert und begrüße es, dass Serbien selbst um Aufnahme in die Liste der sicheren Herkunftsländer gebeten hat. Diesem Wunsch sollten wir doch auch entsprechen. Er deckt sich im Übrigen, Frau Staatsministerin Böhmer, mit den Analysen des Auswärtigen Amtes.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir sind dabei, Frau Kollegin Amtsberg, auch nicht allein in Europa:
(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist das Schlimme! – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht es nicht besser!)
Großbritannien, Frankreich, die Schweiz, Österreich stufen Serbien als sicheres Herkunftsland ein.
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum denn?)
Wir befinden uns also in guter Gesellschaft. Ich weise zurück, dass Frankreich, Großbritannien und Österreich europäisches Recht brechen, wenn sie Serbien in die Liste der sicheren Herkunftsstaaten aufnehmen. Wir können es auch tun.
(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit denen, die eine höhere Schutzquote haben, Belgien zum Beispiel?)
Es gibt neben den drei Westbalkanstaaten auch andere europäische Staaten, aus denen immer mehr Asylbewerber nach Deutschland kommen. Herr Kollege Veit, wir sollten diese Entwicklung im Blick behalten und bei den anstehenden parlamentarischen Beratungen auch genau analysieren, wie sich etwa die Situation in Montenegro und in Albanien darstellt.
2010 waren es 39 Asylanträge von Albanern, in den ersten Monaten dieses Jahres aber schon über 3 000. Die Zahlen schießen durch die Decke.
(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Sie wollten doch keinen Alarmismus betreiben!)
Uns ist bewusst – darauf hat Kollege Veit auch hingewiesen –, dass die Schutzquote bei Albanern in den letzten Jahren über den Quoten der übrigen Westbalkanstaaten lag. Im Augenblick liegt sie bei 2,7 Prozent. Aber sie geht deutlich nach unten. Albanien ist in Frankreich seit Dezember 2013 auf der Liste der sicheren Herkunftsstaaten. Die Zahlen albanischer Bewerber sind in Frankreich deutlich zurückgegangen. Bei uns allerdings sind sie dramatisch angestiegen. Das zeigt aber: Die Einstufung als sicherer Herkunftsstaat wirkt entlastend.
Albanien ist im Übrigen seit 2009 NATO-Mitglied. Die Europäische Kommission hat gerade dieser Tage empfohlen, Albanien den Status eines Beitrittskandidaten für die Europäische Union zu verleihen. Auch hier gehen wir in einem anderen Kontext, bei dem es nicht um Asyl geht, davon aus, dass sich Albanien unserer Wertegemeinschaft annähert, auch wenn bei rechtsstaatlichen Standards und bei der Bekämpfung von Korruption sicherlich noch einiges zu tun ist. Wir sollten aber die Entwicklung Albaniens wie auch die Montenegros genau im Blick behalten und uns ernsthaft fragen, ob nicht eine Einstufung als sichere Herkunftsstaaten auch für diese beiden Länder infrage kommt.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, viele Asylbewerber kommen aus Syrien. Dafür haben wir und dafür haben die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land großes Verständnis. Was in Syrien täglich geschieht, erfüllt uns mit Trauer und mit Schrecken. Deshalb begrüßen wir von der Koalition es ausdrücklich, dass der Bundesinnenminister Thomas de Maizière mit den Ländern über die weitere Aufnahme syrischer Flüchtlinge verhandelt. Herr Innenminister, wir stehen bei diesen Verhandlungen als Koalition hinter Ihnen und ermutigen Sie ausdrücklich zu diesen Verhandlungen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Rüdiger Veit [SPD]: Das höre ich gern!)
Aber nimmt man die drei Balkanstaaten, um die es hier und jetzt geht, zusammen, dann muss man sagen, dass von dort derzeit mehr Asylbewerber kommen als aus Syrien, nämlich 11 600 Bewerber in den ersten vier Monaten dieses Jahres gegenüber rund 7 500 Asylbewerbern aus Syrien: 11 600 Bewerber aus dem westlichen Balkan, bei denen die Anerkennungsquote nahe null ist, 7 500 Syrer, bei denen die Anerkennungsquote, die Schutzquote 100 Prozent ist. Das ist unseren Bürgerinnen und Bürger schwer zu vermitteln.
Damit bin ich beim zweiten Grund, warum wir die Liste der sicheren Herkunftsstaaten maßvoll erweitern wollen: Wir wollen unsere Kapazitäten in Deutschland für alle wirklich politisch Verfolgten wie etwa die aus Syrien nutzen. Das sind wir den Verfolgten, den tatsächlich politisch Verfolgten, und unseren Bürgerinnen und Bürgern auch schuldig. Nur wenn unser Asylsystem die wirklich politisch Verfolgten und die, die aus asylfremden Motiven zu uns kommen, klar differenziert und es auch unterschiedliche asylrechtliche Konsequenzen gibt, dann bleibt der Rückhalt in der Bevölkerung für unser Asylsystem vorhanden. Dann können wir unseren Verpflichtungen als humaner Rechtsstaat nachkommen. Das wollen wir alle zusammen gerne tun.
Danke fürs Zuhören.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Sevim Dagdelen, Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3492263 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 40 |
Tagesordnungspunkt | Asylrecht |