06.06.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 40 / Tagesordnungspunkt 26

Claudia RothDIE GRÜNEN - Asylrecht

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es war mein Vater, der mir als Kind erklärt hat, was unser Grundgesetz, die Grundrechte bedeuten: dass die Menschenwürde kein Konjunktiv ist, dass die Menschenwürde ganz ohne Adjektiv auskommt und dass die Grundrechte jedem einzelnen Menschen gehören. So verhält es sich auch mit dem Grundrecht auf Asyl. Es ist ein individuelles Recht. Kein Staat, keine Regierung kann mich einfach enteignen, und wenn ich es für mich beanspruche oder einklagen will bzw. muss, dann bin nicht ich die Missbraucherin. Vielmehr missbrauchen diejenigen den Geist unserer Verfassung, die Menschen, die sich um Asyl bewerben, kriminalisieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jan Korte [DIE LINKE])

Unser Asylrecht wird seit 20 Jahren malträtiert. Herr de Maizière, es soll jetzt weiter entleert und in sein Gegenteil verkehrt werden. Nichts anderes passiert doch, wenn per Gesetz sichere Herkunftsstaaten definiert werden, wenn per Gesetz politische Verfolgung sowie unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung ausgeschlossen und als nicht existent dekretiert werden. Ganz in kafkaesker Logik braucht es dann ja auch keinen vorläufigen Rechtsschutz mehr; denn das Recht hat gerade Sicherheit definiert. Man nennt das unter Juristen, so habe ich mir sagen lassen, „normative Vergewisserung“. Ich nenne das: Umdefinition der Realität in eine Welt, die es zwar so gar nicht gibt, die aber perfekt ins politische Kalkül passt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Was sind denn das für sonderbare Juristen bei den Grünen? Welche Juristen haben Sie denn da gefragt?)

Ich wundere mich schon, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Sie sich nicht einmal ein bisschen schämen, das auch noch schwarz auf weiß zu benennen. Da steht geschrieben: „Deutschland soll … weniger attraktiv werden.“ Also geht es wieder einmal um die Anreizminderung, aber nicht um die Gründe, warum Menschen ihre Heimat verlassen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Es wird eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufgemacht: Weniger Asylbewerber bedeuten mehr Geld in den Kassen von Bund, Ländern und Kommunen. – Ich befürchte, dass diese kalte Rechnung uns sehr teuer zu stehen kommen wird, weil wir damit das verlieren, was Humanität, Schutzgewährung und Schutzverantwortung ausmachen: unseren moralischen Imperativ nach dem Naziterror, der 500 000 Sinti und Roma das Leben gekostet hat.

Ich lese im Gesetzentwurf, dass Menschen aus Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina angeblich – ich zitiere – „aus nicht asylrelevanten Motiven“ kommen. Lieber Herr Minister, waren Sie eigentlich schon einmal persönlich unter der Autobahnbrücke in Belgrad, wo die Roma zu überleben versuchen, die ihrer Menschenwürde beraubt wurden? Waren Sie im Lager von Deponija in Belgrad, wo die Menschen, die Roma, wie Abfall behandelt werden? Waren Sie schon einmal persönlich in Skopje, in Šutka, der wohl größten Romasiedlung weltweit, einem grauenhaften Ort, der an Bangladesch, aber nicht an Europa erinnert? Ich war vor Ort; ich habe die Not gesehen, ich habe die Verzweiflung erlebt, die Angst der Menschen vor rassistischer Gewalt, vor pogromartigen Angriffen.

„Nicht asylrelevante Motive“? Trotz Diskriminierung, trotz versperrten Zugängen zur Gesundheitsversorgung, zum Bildungssystem, zur Arbeit, zur Ausbildung, trotz einer zehn Jahre geringeren Lebenserwartung? „ Nicht asylrelevante Motive“? Trotz Verweigerung elementarster Teilhaberechte für Menschen, die oft aus dem Kosovo vertrieben wurden und alles, aber wirklich alles verloren haben? Keine gruppenspezifische Verfolgung, Herr Minister de Maizière? Ich bin, nachdem ich dort war, wirklich davon überzeugt: Wenn Sie in einem so menschenverachtenden Umfeld leben würden, dann würden auch Sie alles dafür tun, Ihre Kinder, Ihre Familie zu retten und ihnen eine Zukunft in Sicherheit zu eröffnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Richard Pitterle [DIE LINKE])

Eine vorgestern veröffentlichte Studie zum Rechtsextremismus in unserem Land, die schon genannt worden ist, hat erschreckende Auffassungen belegt: Über 50 Prozent der Deutschen glauben, dass Sinti und Roma kriminell sind; über 50 Prozent wollen nicht in ihrer Nähe leben. Verantwortliche Politik – da gebe ich Ihnen recht – muss Ängste und Vorurteile sehr ernst nehmen, aber sie darf sie nicht schüren. Doch genau das tut Ihr Gesetzentwurf nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Deshalb sage ich: Bitte, bewahren wir unser Grundrecht auf Asyl! Das macht uns als Gesellschaft reich. Und bitte, spielen wir nicht Flüchtlinge aus Syrien gegen Flüchtlinge aus anderen Ländern aus!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Errichten wir keine zusätzlichen Mauern, sondern bewahren wir unser Grundrecht, und schaffen wir endlich ein modernes Einwanderungsrecht!

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abgeordneten Stephan Mayer, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3492268
Wahlperiode 18
Sitzung 40
Tagesordnungspunkt Asylrecht
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