06.06.2014 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 40 / Tagesordnungspunkt 27

Albert WeilerCDU/CSU - Sanktionen bei Hartz IV und Sozialhilfe

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Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Kipping, ich selbst habe nach meinen Ausbildungen bei der Eisenbahn Klos geputzt, ich habe Wagen gereinigt, aus den Aschenbechern Kaugummis herausgekratzt und fühlte mich dabei nicht unwohl; denn das war meine Arbeit, und ich wollte nicht arbeitslos werden. Sicherlich wollte ich das nicht auf Dauer machen, aber ich habe es gemacht, weil ich nicht arbeitslos werden wollte. Ich fühle mich von Ihnen diffamiert. Keine Arbeit ist schändlich. Jeder soll für seine Arbeit geehrt werden. Das ist wichtig. Ich ehre jeden, egal was er tut, auch wenn er, wie ich es getan habe, Aschenbecher saubermacht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Es ist wieder einmal so weit. Der obligatorische Antrag der Linken zur Abschaffung der Sanktionen bei Hartz IV ist da. Zum wiederholten Mal beschäftigt sich der Deutsche Bundestag mit diesem Antrag der Linken.

(Katja Kipping [DIE LINKE]: Wir hören auf, sobald Sie zustimmen!)

Es war sicherlich nicht das letzte Mal.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Er kommt so lange, bis die Sanktionen weg sind!)

Ich habe recherchiert. Allein in den letzten zwei Wahlperioden ist immer wieder ein derartiger Antrag von Ihnen eingebracht, diskutiert und abgelehnt worden. Ich sehe, dass Ihre Führungsspitze nicht da ist; dann ist das wohl auch Ihnen gar nicht so wichtig. Das ist eher Wahlkampfpropaganda. So werden wir auch heute wieder damit verfahren. Lassen Sie uns also die bekannten Argumente, die wir schon so oft ausgetauscht haben, noch einmal austauschen. Ich bin gerne bereit dazu.

Kopfschütteln und Kommentare wie „Schwachsinn“, „Geht’s noch?“ und „Man nimmt uns damit das letzte Mittel, das wir haben“ waren nur ein Teil der Reaktionen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Jobcentern in Berlin und Thüringen, denen ich Ihren Antrag vorgelegt habe und die ich gebeten habe, diesen zu bewerten. Das Gespräch mit den Fachleuten in den Jobcentern hat mich darin bestärkt, dass ich mit meinem Gefühl der Ablehnung Ihres Ansinnens doch richtig liege.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um Argumente, nicht um Gefühle!)

Überall sind Regeln notwendig, in der Schule, im Verkehr, so auch in der Politik wie hier im Deutschen Bundestag. Es hat mit Fairness, Gerechtigkeit und Verantwortung zu tun, dass wir ein solches Sanktionssystem haben. Wir müssen ein solches haben; denn wenn unser Sozialsystem nicht ausgenützt würde, dann brauchten wir solche Sanktionen nicht.

Das ist Fairness gegenüber den Arbeitnehmern und Arbeitgebern, die diesen Sozialstaat erst ermöglichen, und – das wird oft vergessen – gegenüber den arbeitslosen Menschen, die sich regelkonform verhalten. Die Jobcentermitarbeiter bestätigten mir, dass gegenüber 97 Prozent der Hartz-IV-Bezieher keine Sanktionen verhängt werden bzw. verhängt werden müssen. Dieser Großteil will ernsthaft aus seiner Notsituation herauskommen und einen Job finden. Lediglich 3 Prozent der Hartz-IV-Empfänger sind von Sanktionen betroffen. Wir sprechen hier wahrlich nicht von einem Massenphänomen, wie Sie es immer wieder darstellen,

(Katja Kipping [DIE LINKE]: Wie ich in meiner Rede sagte: Die anderen erleben es als Bedrohung!)

um Wahlkampfpropaganda zu betreiben. Wir haben schließlich in Thüringen und Sachsen wieder Wahlkampf. Jetzt versuchen Sie, die Randgruppen noch weiter an den Rand zu drängen, um zu zeigen, dass Sie die Guten sind, die gewählt werden sollen. Das tun Sie in dem Wissen, dass man nichts erreicht; aber Sie wollen nur Stimmen fischen.

Ich würde mir sehr wünschen, dass die Linken endlich damit aufhören, Politik vom Rand aus zu betreiben und so zu tun, als sei die Mehrheit der Gesellschaft von diesem Problem betroffen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Katja Kipping [DIE LINKE]: Von Wohnungslosigkeit sind auch nicht alle betroffen! Wieso interessieren Sie die dann?)

Wir nehmen die gesamte Gesellschaft in den Blick und sorgen dafür, dass mit unserer Politik die guten Rahmenbedingungen erhalten bleiben.

Wann bedankt sich die Partei Die Linke eigentlich bei den über 42 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern,

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir haben nicht 42 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer! Wir haben 29 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer!)

die durch ihr fleißiges Tun und ihre Steuern und Abgaben erst ermöglichen, dass wir überhaupt Hartz IV zahlen können?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Schauen wir uns doch einmal die Zahlen an. Worüber reden wir hier eigentlich? 2013 wurden laut Statistik der Bundesagentur für Arbeit rund 1 Million Sanktionen gegenüber Menschen mit Hartz-IV-Bezug verhängt. Circa 726 000 Personen melden sich einfach nicht auf Schreiben der Jobcenter. Frau Kipping hat versucht, das kleinzureden.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie hat es gut erklärt!)

Aber wenn ich Arbeit habe, dann muss ich mich auch melden, wenn ich krank bin oder nicht kommen kann. Andere weigern sich sogar, eine Arbeit anzunehmen. Ich habe selbst auf Stellen gearbeitet, auf denen man nicht unbedingt arbeiten will, aber ich habe es getan.

Manche weigern sich, eine Ausbildung aufzunehmen. Rund 5 000 von den vollsanktionierten Personen sind unter 25 Jahre. Es sind also junge Leute, die nicht arbeiten wollen. Das geht nicht.

Die Sanktionen fallen nicht plötzlich und unangekündigt vom Himmel. In jeder Einladung zu einem Gespräch mit dem Betreuer im Jobcenter wird schriftlich darauf hingewiesen, dass bei unentschuldigtem Nichterscheinen oder bei Ausbleiben einer Rückmeldung eine Kürzung von 10 Prozent der Leistungen droht. Dem, der es dann noch nicht verstanden hat, drohen noch mehr Kürzungen. Zudem werden die Rechtsbelehrungen immer wieder mündlich im persönlichen Gespräch zwischen dem Betreuer und dem Empfänger vorgetragen. Es ist sogar so, dass Betreuer und Empfänger gemeinsam eine Vereinbarung unterzeichnen, in der explizit auf die Möglichkeit von Sanktionen hingewiesen wird.

Es kann mir keiner erzählen, dass man keine Rückmeldung auf eine Einladung zum Gespräch im Jobcenter geben kann. Jeder Arbeitnehmer muss sich beim Arbeitgeber melden, wenn er krank ist oder einen wichtigen Termin wahrnehmen muss. Das ist, liebe Freunde, ganz einfach Ausdruck gesunden Menschenverstands. Den würde ich Ihnen gerne unterstellen. Im Moment fällt es mir schwer.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn man sich nicht bewerben will, folgen Sanktionen, und das halte ich für richtig. Schließlich muss es das Ziel sein, einen Arbeitslosen wieder in Arbeit zu bringen. Es ist nun einmal so, dass die Arbeit nicht vom Himmel fällt. Ohne Bewerbung kein Job! Deshalb wollen wir den Betroffenen helfen, durch Bewerbungen wieder Arbeit zu finden.

(Katja Kipping [DIE LINKE]: Was sagen Sie zu den von mir angeführten statistischen Daten?)

Das Stichwort „Mitwirkungspflichten“ findet sich in allen Zweigen des Sozialgesetzbuches. Ohne die Mitwirkung der Menschen, für die die Leistungen des Sozialstaats angeboten werden – das ist gut so –, können keine Anträge gestellt, kann keine Untersuchung stattfinden, kann kein Anspruch geprüft werden, kann aber auch kein Geld ausgezahlt und keine Leistung erbracht werden. Es kann doch nicht sein, meine Damen und Herren, dass ich einen angebotenen Job ablehne oder zu Terminen unentschuldigt nicht erscheine und trotzdem unkontrolliert Steuermittel von fleißigen Arbeitern einkassiere. Das geht nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das ist der Kern des Ganzen: In einer guten Gesellschaft muss jeder seinen Beitrag leisten. Regeln müssen von allen eingehalten werden. Gegen Regeln zu verstoßen und weiter Geld einzukassieren, ist in unserem Sozialstaat Gott sei Dank verboten. Das ist nicht lediglich eine rechtliche Frage, sondern betrifft auch das Funktionsprinzip der Solidarität. Sie gilt für alle Seiten.

An dieser Stelle gilt mein besonderer Dank den vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den deutschen Jobcentern, die eine hervorragende Arbeit machen. Sie sind in einem sehr sensiblen Bereich tätig; denn sie haben es mit arbeitslosen Menschen zu tun, die sich teilweise in einer sehr schwierigen persönlichen Situation befinden, und sie müssen sich individuell auf diese Arbeitslosen einstellen. Das ist für beide Seiten nicht einfach. Dafür noch einmal vielen Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jobcenter!

(Beifall bei der CDU/CSU)

An die Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die Linke gerichtet – passen Sie noch einen Moment auf; ich bin gleich fertig –:

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir sind ganz Ohr!)

Nur weil man einen Antrag immer wieder hervorholt, wird er nicht besser und nicht richtiger. Noch viel schlimmer: Mit Umsetzung dieses Antrags würde nicht ein einziger Langzeitarbeitsloser in Arbeit gebracht.

(Katja Kipping [DIE LINKE]: Mit Ihrer Rede aber auch nicht!)

Gerade das muss unser Ziel sein.

Bitte sorgen Sie dafür, dass sich Firmen in unserem Land ansiedeln, und bringen Sie Leute in Arbeit. Dann tun Sie mehr, als nur den Betrieb zu stören.

(Katja Kipping [DIE LINKE]: Also das entscheiden wir in einer Demokratie noch selbst, was für einen Antrag wir einbringen! Was für ein Parlamentsverständnis! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ganz dünnes Eis!)

Gerne diskutieren wir hier mit Ihnen, wie wir Menschen ohne Arbeit wieder in Lohn und Brot bringen. Ein Antrag aber, der auf Spaltung der Gesellschaft fokussiert ist und nur der Wahlpropaganda dient, ist falsch und muss daher, auch wenn wir Wahlkampf haben, heute zum wiederholten Male abgelehnt werden, egal wie leid Ihnen das tut.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU – Katja Kipping [DIE LINKE]: Aber Sie wissen schon, dass das die erste Lesung ist? Ihr Parlamentsverständnis ist ja sowieso fragwürdig!)

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Bündnis 90/Die Grünen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/3492346
Wahlperiode 18
Sitzung 40
Tagesordnungspunkt Sanktionen bei Hartz IV und Sozialhilfe
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