Dagmar SchmidtSPD - Sanktionen bei Hartz IV und Sozialhilfe
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Bevor ich zu den Sanktionen direkt komme, möchte ich etwas Grundsätzliches zum Sozialstaatsverständnis sagen, weil Sie diesen Punkt nicht nur in Ihrem Antrag, sondern auch in Ihrer Rede angesprochen haben.
Es ist für uns selbstverständlich, dass der Sozialstaat ein menschenwürdiges Existenzminimum sichern muss. Aber es sollte genauso selbstverständlich sein, dass alle Menschen, die es können, auch ihren Beitrag zur Entwicklung und zum Wohlstand unserer Gesellschaft leisten und sich bemühen, ihren Lebensunterhalt selbstständig zu verdienen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Wir sind uns wahrscheinlich einig, dass die ganz große Mehrheit genau das auch möchte.
Die Menschen sind unterschiedlich. Sie haben unterschiedliche Voraussetzungen und befinden sich in unterschiedlichen Lebenslagen. Man kann nicht von allen das Gleiche erwarten. Aber dass man etwas von den Menschen erwartet, das hat auch etwas mit Respekt zu tun. Ich will keine Grundsatzdebatte zum bedingungslosen Grundeinkommen führen. Ich will aber ein paar kleine Worte dazu verlieren, weil es in Ihrem Antragstext zumindest angedeutet ist.
Chancengleichheit stellt man nicht dadurch her, dass man Menschen bedingungslos alimentiert, sondern durch eine aktive, gute und gerechte Bildungspolitik, die individuell fördert mit Ganztagsschulen und die einen Nachteilsausgleich für sozial Schwächere vorsieht, und durch eine gute Familienpolitik, die Familien mit Zeit, Geld und guter Betreuung unterstützt.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Man verändert Arbeitsbedingungen nicht dadurch, dass man alle Menschen alimentiert und eine eigenständige Existenzsicherung überflüssig macht, sondern durch solidarisches gewerkschaftliches Handeln und durch gute gesetzliche Rahmenbedingungen. Einen großen Schritt in die richtige Richtung haben wir gestern mit der Verabschiedung des Tarifpakets bereits gemacht.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Statt den Menschen Scheinfreiheit unbegrenzter ehrenamtlicher Arbeit zu geben, wollen wir ihnen die Freiheit geben, durch eigenes Einkommen ihr Leben selber in die Hand zu nehmen. Aus Ihrer Sicht ist Fördern und Fordern Ausdruck eines paternalistischen Sozialstaates, aus unserer Sicht ist es Ausdruck eines emanzipatorischen Sozialstaats.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der LINKEN)
Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe hat für viele Menschen die Tür zu Hilfe und Unterstützung geöffnet. Wir wollen keinen Sozialhilfestaat mehr, der Menschen alimentiert und dann links liegen lässt. Fördern und Fordern heißt: Wir brauchen alle, wir wollen alle, wir erwarten von allen etwas, aber wir geben auch allen Hilfe und Unterstützung.
Damit komme ich zu den Sanktionen. Entscheidend dafür, dass es gelingt, Arbeitslose in gute Jobs zu bringen, ist neben dem eigenen Engagement eines jeden Einzelnen – wir lassen da auch keinen raus – all das, was wir zur Förderung und Unterstützung zur Verfügung stellen. „ Wir lassen den Einzelnen nicht raus“ heißt aber auch, dass wir Sanktionen nicht grundsätzlich abschaffen wollen. Ob sie in der jetzigen Form aber die Ziele erreichen, die wir damit erreichen wollen, ist fraglich. Darüber muss geredet werden. Deswegen haben wir gemeinsam im Koalitionsvertrag verabredet, dass wir uns vor allem mit der Überprüfung der Sanktionsregelungen und der Sanktionspraxis für die unter 25-Jährigen beschäftigen wollen.
Wir haben darüber hinaus beschlossen, dass wir uns mit den Ergebnissen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Rechtsvereinfachung im SGB II beschäftigen werden,
(Katja Kipping [DIE LINKE]: Dann bekommen wir eine Verschärfung!)
und zwar dahin gehend beschäftigen werden – das steht auch so im Koalitionsvertrag –, dass wir Verbesserungen sowohl für die Arbeitslosen als auch für die Verwaltung erreichen wollen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Diese Ergebnisse werden bald auf dem Tisch liegen und sicher eine gute Grundlage für eine spannende und heftige Debatte werden.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist richtig!)
Ich persönlich kann mir vorstellen, dass wir uns an der Stelle vor allem über die Frage der Gleichbehandlung der unter und über 25-Jährigen unterhalten; denn die Unterscheidung in Altersgruppen hat sich weder als gerecht noch als zielführend erwiesen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich möchte an der Stelle der Debatte noch nicht vorgreifen, aber zumindest möchte ich einen kurzen Eindruck davon vermitteln, was nach meinen Vorstellungen noch auf den Tisch kommen müsste. Auch mit der Frage, ob die Sanktionen auf den Bereich der Kosten der Unterkunft ausgedehnt werden sollten, müssen wir uns beschäftigen. Dies ist nämlich ein Punkt, der ganz hart in die Existenz von Menschen eingreift.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Wir werden uns darüber unterhalten, welche Sanktion wofür angemessen und was an dieser Stelle zielführend ist.
Zum Weg in die selbstständige Existenzminderung gehört Förderung genauso wie eigenes Engagement. Es gehört dazu, Erwartungen zu formulieren und sich dann auf Vereinbarungen verlassen zu können. Wenn nicht, dann muss man auch mit Sanktionen rechnen. Das ist in anderen gesellschaftlichen Bereichen nicht anders. Wer Vereinbarungen, wer Verträge, wer Verabredungen bricht, muss mit Konsequenzen rechnen. Das ist nicht paternalistisch, sondern hat etwas mit einem normalen und respektvollen Umgang miteinander zu tun.
(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)
Aber entscheidend ist dabei doch: Handelt es sich um eine Verabredung oder eine Verordnung? Deshalb finde ich andere Fragen viel entscheidender als die Frage der Sanktion.
Nehmen wir als erstes Beispiel einmal die Eingliederungsvereinbarung. Ich finde, eine Eingliederungsvereinbarung ist ein Schlüsselinstrument, um Menschen den Weg in den Arbeitsmarkt zu ebnen, und zwar dann, wenn eine echte Verständigung stattfindet, die den Wünschen der Arbeitsuchenden genauso gerecht wird wie sie den realistischen Möglichkeiten entspricht, und sich die Arbeitsuchenden mit ihr auch identifizieren können. Dann ist sie ein Erfolgsinstrument. Aber sind die Voraussetzungen dafür überall geschaffen? Lässt der Betreuungsschlüssel an allen Stellen eine so intensive Betreuung und Beratung zu, dass es wirklich klappt? Stimmt die Chemie zwischen den Beratern und denen, die Beratung wünschen? Was passiert, wenn das nicht der Fall ist? Wer hat dann welche Rechte? Das sind für mich die viel interessanteren Fragen
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und: „Gibt es ausreichend Angebote?“!)
als die, ob man grundsätzlich für oder gegen Sanktionen ist.
Der zweite Punkt – Sie haben es angesprochen –: Sind die Schriftstücke, die informieren und darüber aufklären sollen, welche Rechte und Pflichten man hat, für alle wirklich immer so verständlich, dass daraus das richtige Handeln resultieren kann?
Mit diesen Fragen möchten wir uns gerne in Zukunft beschäftigen.
Die Reform des SGB II ist ein steter Prozess. Wir alle haben die Aufgabe, zu überprüfen, ob die angewandten Mittel die bestmöglichen sind, um zu den Zielen zu führen, die wir erreichen wollen. Unser sozialpolitisches Ziel ist es aber eben nicht, Arbeitslosigkeit zu bezahlen und uns mit Ihnen über die Höhe der Transferleistungen zu streiten. Unser Ziel ist es, Menschen in Arbeit zu bringen, und zwar zu guten Bedingungen und so, dass sie sich und ihre Familien ernähren können.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Die allermeisten Menschen wollen arbeiten und stolz auf das Geschaffene sein.
Wir sind der Auffassung, dass „Menschen in Arbeit zu bringen“ Ausdruck eines emanzipatorischen Sozialstaatsverständnisses ist. Wir wollen alles dafür tun, die notwendige Hilfe und Unterstützung zu gewährleisten, auch und gerade für die, die es besonders schwer haben; frei nach Abraham Lincoln:
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Nächster Redner ist der Kollege Professor Dr. Matthias Zimmer, CDU/CSU.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Katja Kipping [DIE LINKE]: Kommt Lafargue gleich am Anfang Ihrer Rede oder nicht?)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/3492350 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 40 |
Tagesordnungspunkt | Sanktionen bei Hartz IV und Sozialhilfe |